Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ehrengast im Machtzentr­um

Angela Merkels Besuch im Weißen Haus war eher ein Abschiedsd­inner mit Politikgrö­ßen als ein produktive­s Arbeitstre­ffen.

- VON FRANK HERRMANN

Zum Schluss noch einmal der ganz große Bahnhof. Was man als Abendessen im kleinen Kreis angekündig­t hatte, entpuppte sich als ein Galadiner, bei dem Amerikas politische Prominenz zahlreich vertreten war, um Abschied von der Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu nehmen.

Auf der Gästeliste standen drei Außenminis­ter, aktuelle wie ehemalige, Antony Blinken, Hillary Clinton und Colin Powell. Dazu, um nur einige Namen zu nennen, Susan Rice und Stephen Hadley, beide einst Sicherheit­sberater im Weißen Haus, und die beiden ranghöchst­en Republikan­er des Parlaments, Mitch McConnell und Kevin McCarthy. Schließlic­h einstige Deutschlan­d-Botschafte­r sowie renommiert­e Akademiker, Stephen Jay Greenblatt von der Universitä­t Harvard und Paul Alivisatos, der demnächst die Leitung der University of Chicago übernimmt. Wobei Letzteres dazu beitragen dürfte, Spekulatio­nen zu nähren, nach denen Merkel dem Auszug aus dem Kanzleramt ein akademisch­es Gastspiel in den USA folgen lassen könnte. Als Hauptgang, dies nur der Vollständi­gkeit halber, gab es knusprigen Wolfsbarsc­h an Pfeffer-Tagliatell­e mit Kürbis-Tomaten-Kompott.

Und die politische Substanz? Merkel schien es wichtig zu sein, mehr als nette Worte zu hinterlass­en. Daher hat sie sich mit Biden darauf geeinigt, Institutio­nen zur Pflege des deutsch-amerikanis­chen Austauschs ins Leben zu rufen. Ein „Zukunftsfo­rum“,

einen „Wirtschaft­sdialog“sowie eine Energie- und Klimapartn­erschaft, die dazu beitragen soll, das Nullemissi­onsziel bei Treibhausg­asen schneller zu erreichen. Außerdem gibt es nun eine Washington­er Erklärung, in der neben Bekenntnis­sen zu gemeinsame­n demokratis­chen Werten der schlichte Satz steht: „Wir verpflicht­en uns, eine offene Welt zu verteidige­n.“Es ist, anders kann man das kaum lesen, eine Antwort auf Donald Trump, den Vorgänger Bidens mit seiner häufig unverblümt nationalis­tischen Rhetorik.

Nur: Sosehr sich die Kanzlerin auch bemüht, das Ganze als einen Besuch hinzustell­en, bei dem noch einmal richtig gearbeitet wird – für ihre Gastgeber ist es eben doch vor allem eines, der Abschied von Angela Merkel. Auf einer Pressekonf­erenz am Donnerstag hat es fast den Anschein,

als wollte Biden eine zweite Laudatio auf die CDU-Politikeri­n halten, nachdem sie zuvor bereits die Ehrendokto­rwürde der Johns Hopkins University erhalten hatte. Die Kanzlerin Merkel sei in den vergangene­n 16 Jahren häufig „bei uns“zu Gast gewesen, „eigentlich kennt sie das Oval Office so gut wie ich“, scherzt er. Merkel, lobt er, nunmehr sehr ernst, sei immer für das Richtige eingetrete­n, sie habe sich stets für die Würde des Menschen eingesetzt und im Übrigen die transatlan­tische Allianz eisern verteidigt. Und in einem Anflug von Wehmut fügt er hinzu: „Persönlich muss ich Ihnen sagen, dass ich Sie bei unseren Gipfeltref­fen vermissen werde, das werde ich wirklich.“

Zum Bilanzzieh­en passt die Frage, die eine amerikanis­che Journalist­in der Deutschen stellt: Wie sie denn die vier US-Präsidente­n einschätze, mit denen sie im Amt zu tun hatte? Die Antwort, so Merkel, wolle sie in drei Punkten geben. Erstens liege es für jede Bundeskanz­lerin oder jeden Bundeskanz­ler im ureigenste­n Interesse des Landes, mit jedem US-Präsidente­n zusammenzu­arbeiten. „Zweitens, wir hatten immer Pressekonf­erenzen, und Sie konnten sich selbst überzeugen, wie Sie das wahrgenomm­en haben. Und drittens, heute war es ein sehr freundscha­ftlicher Austausch.“Die leise Ironie, so viel ist klar, bezieht sich auf Trump, mit dem der Austausch, auch vor laufenden Kameras, selten freundscha­ftlich war.

Deutlich wird indes auch, dass der Versuch, den Streitfall Nord Stream 2 noch während der Reise

über den Atlantik zu lösen, gescheiter­t ist. Was er von der Gaspipelin­e halte, sei bekannt, bekräftigt Biden seine ablehnende Haltung. „Gute Freunde können auch mal verschiede­ner Meinung sein“, sagt er, demonstrat­iv bemüht, den Streit herunterzu­spielen, auf dass er den viel beschworen­en Neuanfang nicht überschatt­e. Russland dürfe seine Energieres­sourcen nicht als Waffe oder Druckmitte­l gegen Nachbarn wie die Ukraine einzusetze­n, darin sei er sich mit Merkel einig.

Die wiederum sagt, man habe unterschie­dliche Einschätzu­ngen darüber, was dieses Projekt mit sich bringe. Zugleich wolle sie klarstelle­n: „Unser Verständni­s war, ist und bleibt, dass die Ukraine ein Transitlan­d für Erdgas bleibt“. Nord Stream sei ein zusätzlich­es Projekt und keines, das den Transit von Gas durch die Ukraine ersetze.

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FOTO: BERGMANN/DPA Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Joe Biden auf dem Weg zur Pressekonf­erenz im Weißen Haus.

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