Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Kollege Computer wartet schon
Knapp 34 Prozent aller beruflichen Tätigkeiten in Deutschland können inzwischen auch von digitalen Helfern erledigt werden. Die Tendenz ist steigend. Das heißt aber nicht zwingend, dass einfache menschliche Arbeit auf Dauer wegfällt.
Wer in deutschen Supermärkten einkauft, sieht sie immer häufiger: Sogenannte „SelfCheckout-Kassen“. Kunden können dort ihre Ware selbst scannen, bezahlen – der Einkauf ist erledigt. Das Warenband fällt in diesem Fall weg. Und damit auch der Mensch, der an der Kasse sitzt. Er wird ersetzt – durch Maschinen. Die neuesten Zahlen dazu stammen von 2019, erhoben hat sie das EHI Retail Institute. Demnach waren in deutschen Supermärkten und Discountern im August 2019 2540 „SelfCheckout-Kassen“im Einsatz. Dem gegenüber standen zwar 235.000 reguläre Kassen, die Tendenz ist aber klar: Der nicht-menschliche Kassierer wird immer häufiger.
„Kassierer sind seit einigen Jahren zu 100 Prozent theoretisch ersetzbar“, sagt Katharina Dengler vom Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB). Dengler hat untersucht, wie sich der Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung verändert. Ihre Ergebnisse zeigen: Immer mehr menschliche Tätigkeiten sind ersetzbar. Der Kassierer ist also kein Einzelfall.
Was das genau heißt, hat Dengler zusammen mit ihrer Kollegin Britta Mathes im IAB-Kurzbericht zusammengefasst, der diese Woche erschienen ist. Dort untersuchten sie die Substituierbarkeits-Potenziale beruflicher Tätigkeiten in Deutschland. Also, wie viele Berufe – oder wie viele Arbeitsgebiete bestimmter Berufsbilder – durch die Digitalisierung ersetzt werden können. Das Ergebnis: 34 Prozent der Berufe in Deutschland haben ein hohes Substituierungspotenzial. 70 bis 100 Prozent der Tätigkeiten in diesen Berufen können von Maschinen erledigt werden. Im Jahr 2016 lag der Anteil hier noch bei 25 Prozent.
Auffällig im neuen Bericht des IAB ist vor allem, dass auch immer komplexere Tätigkeiten automatisiert werden können. So ist es zum Beispiel mithilfe des Einsatzes von virtueller Realität möglich, dass – vereinfacht gesagt – alle Beteiligten eines Bauprojekts Zugriff auf verschiedene Faktoren haben: auf die Kosten, die Zeitplanung eines Bauprojekts, auf ein dreidimensionales Baumodell. „Durch den Einsatz dieser Technologien können etwa Konstruktions- und Planungsaufgaben
(z. B. Anlagen-, Produktionsund Bauausführungsplanung), aber auch Managementaufgaben (z. B. Personaleinsatz- und Finanzplanung) automatisiert werden“, schreiben Dengler und Matthes im IAB-Bericht.
Einen Überblick über die Digitalisierung einzelner Berufe bietet der Job-Futuromat des IAB. Er ist eine Art Suchmaschine, auf der sich anzeigen lässt, wie viele Tätigkeiten eines bestimmten Berufs sich ersetzen lassen.
So ist zum Beispiel der Beruf einer Steuerfachangestellten zu 100 Prozent durch Maschinen ersetzbar, bei einem KfZ-Mechatroniker können Maschinen demnach 60 Prozent der Arbeit übernehmen. Erzieher dagegen bleiben laut dem
IAB auf absehbare Zeit menschlich. „Ob diese Potenziale jedoch ausgeschöpft werden, hängt von vielen Faktoren ab: Eher nicht substituiert wird, wenn menschliche Arbeit wirtschaftlicher, flexibler oder von besserer Qualität ist“, schreiben die
Autorinnen der Studie in ihrem Bericht. Sowieso könne man aus der Möglichkeit, dass die Digitalisierung Berufe ersetzen kann, nicht schließen, dass das auch wirklich passiert, sagt Arbeitsmarktforscherin Dengler. Die Potenziale sagen also nur etwas über die technische Machbarkeit – nicht darüber, ob sie auch wirklich ausgeschöpft werden. Anders ausgedrückt: Auch heute werden in Supermärkten ja noch Kassierer gebraucht – und auch neu eingestellt.
Diese Sichtweise bestätigt auch der Handelsverband Deutschland. „Ich kann junge Menschen weiter ermutigen, eine Ausbildung im Einzelhandel zu beginnen“, sagte ein Sprecher unserer Redaktion. Ob sich „Self-Checkout-Kassen“durchsetzen werden, hänge aber auch davon ab, wie groß der Bedarf seitens der Kunden sei. Manche Kunden wollten eben auch weiterhin an der Kasse mit Menschen kommunizieren, der Einsatz der nicht-menschlichen Kassierern sei nicht überall geboten. Zumindest noch nicht. Außerdem gebe es noch weitere Tätigkeiten im Einzelhandel als das reine Kassieren.
„Es gibt immer die Ängste, die Roboter kommen und nehmen allen die Arbeitsplätze weg. Das bestätigt sich in unseren Studien nicht“, sagt Dengler. Vielmehr werden auch viele neue Arbeitsplätz hinzukommen. Insgesamt sei das ein „Nullsummenspiel“.