Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Ausgebremst
Djamila Böhms Olympia-Traum ist geplatzt. Der Körper der Hürdenläuferin spielt nicht mit. Ihre Vermutung: Die Corona-Impfung hat sie geschwächt. Beweisen kann die Medizin das nicht. Das Impfen befürwortet Böhm nach wie vor.
Bei ihrem ersten Lauf in diesem Jahr lief Djamila Böhm eine Zeit von 57,85 Sekunden – eine gute Zeit, wie die 400-Meter-Hürden-Läuferin aus Düsseldorf findet. „Das war mein schnellster Saison-Einstieg jemals, ich war nur eine Zehntelsekunde hinter der aktuellen Deutschen Meisterin Carolina Krafzik“, sagt Böhm bei einem Treffen Anfang Juli in Düsseldorf. Mit 14 Jahren kam sie zur Leichtathletik, ihren ersten großen Erfolg erzielte sie 2016 mit dem ersten Platz bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften. Ein Jahr später folgte der Titel als Deutsche Meisterin.
Den guten Saisonstart wertete Böhm dann auch als Top-Voraussetzung für die anstehende Olympia-Qualifikation. „In diesem Jahr wurde die Norm hochgestuft, aber gleichzeitig qualifiziert sich die Hälfte der Athletinnen und Athleten über das World Ranking. Da stand ich im Winter noch auf Platz 41. 40 kommen in meiner Disziplin mit“, erklärt sie. Und die Saison hatte ja gerade erst angefangen. „Ich wusste, das kann ich packen“, sagt die
27-Jährige, die seit Anfang des Jahres für die Läuferhochburg TV Wattenscheid startet. Davor war sie beim ART, nachdem sie zum Studium von Köln nach Düsseldorf gezogen war.
Ihr Optimismus hielt nur bis Mitte Mai an. „Alle Athletinnen und Athleten, die für Tokio in Frage kamen, haben Anfang Mai kurzfristig vom
Deutschen Olympischen Sportbund das Angebot bekommen, sich impfen zu lassen. Es war schon klar, dass es eigentlich zu spät war, andere Länder haben früher geimpft“, erzählt sie. Immerhin sei die Saison zu der Zeit schon gestartet. Und so zögerte sie zunächst, ob sie das Impfangebot – eine einmalige Impfung mit dem Wirkstoff von Johnson und Johnson – annehmen sollte. „Letztlich hab ich mich dafür entschieden. Es war klar, dass ich viel zu Wettkämpfen reisen muss für meine Position im World Ranking. Da wollte ich auf Nummer sicher gehen.“Eine Infektion mit dem Coronavirus und daraus resultierend möglicherweise langfristige Folgen habe sie nicht riskieren wollen.
„Mein Trainer und ich sind davon ausgegangen, dass ich nach der Impfung etwa eine Woche nicht groß trainieren kann“, erinnert sich Böhm. Starke Impfreaktionen blieben bei ihr zunächst aus. Zurück im Training habe sie jedoch bemerkt, dass ihre Leistung stark eingeschränkt war. Und sie selbst führt das für sich auf die Impfung zurück. „Ich kann im Training eigentlich alles machen“, sagt Böhm. „Sprints, Kraft – alles kein Problem. Aber wenn es um Ausdauer oder große Belastung geht – und das ist bei der Strecke über 400 Meter der Fall – dann geht bei mir nichts. Es ist, als wäre ich in einem fremden Körper, als hätte ich nicht trainiert.“
Eine Prognose zu geben, wann sie zu ihrer gewohnten Belastungsstärke
zurückkehren kann, sei schwierig, sagt sie. „Das ist eine super individuelle Geschichte.“Von anderen Sportlern wisse sie jedoch, dass sie nicht die einzige ist, der es nach einer Corona-Impfung so ergangen ist. „Jetzt wird gesagt, dass es etwa sechs bis sieben Wochen nach der Impfung zu solchen Folgen kommen kann.“Den Fußball-Mannschaften sei aufgrund solcher Erfahrungswerte vor der EM von einer kurzfristigen Impfung abgeraten worden. „Das ist schon deprimierend zu lesen. Man weiß es jetzt, weil es uns so ergangen ist. Ich hätte das damals auch gerne schon gewusst.“
Ungewöhnlich an diesem Fall ist, dass solche zeitlich versetzten Folgen bei Corona-Impfungen nach derzeitigem Wissensstand die absolute Ausnahme sind. In seltenen Fällen kann jede Impfung eine sogenannte Autoimmunantwort provozieren. Es ist auch nicht bekannt, ob Djamila Böhm nicht parallel oder nach der Impfung einen anderen Infekt erlitten hat, der sie nun schwächt. Eine genaue Blutuntersuchung könnte hier Aufschluss geben.
Bei Wettkämpfen nach der Impfung, wie zum Beispiel der Deutschen Meisterschaft im Juni in Braunschweig, sei sie Zeiten gelaufen, die drei bis vier Sekunden unter ihrer Bestleistung liegen. „Das ist natürlich frustrierend“, sagt Böhm. „Wir haben dann gesagt, dass es sich nicht mehr lohnt und ich habe die Saison abgebrochen.“Unlängst verkündete die Athletin ihre Entscheidung auf Instagram. „Das ist so schwer“, schrieb sie dazu.
„Ich habe jahrelang auf Olympia hin gearbeitet“, sagt sie. „Nachdem ich die Spiele in Rio 2016 verfolgt habe, war für mich klar: Das kann ich auch schaffen. Das will ich schaffen.“Im vergangenen Jahr sei es dann bereits ein erster Rückschlag gewesen, als die Spiele verschoben wurden. Mit ihrem frühzeitigen Saison-Ende muss Böhm ihren Olympia-Traum nun vorerst begraben. „Man macht alles, guckt auf alle Kleinigkeiten, man richtet alles auf dieses Ziel aus. Und dann wurde mir die Möglichkeit zur Qualifikation einfach genommen.“Ob sie die Impfung deswegen bereut? „Jetzt gerade bereue ich es. Aber wenn ich zurückdenke, war es schon die richtige Entscheidung, für mich, aber auch aus einer sozialen Verantwortung heraus.“
Ihr einziger Trost – wenn auch nur ein kleiner, wie sie sagt – ist die Tatsache, dass die Spiele in diesem Jahr ohnehin nicht wie immer sein werden. „Für die Sportlerinnen und Sportler leben die Spiele ja von diesem besonderen Erlebnis, dass alle am selben Ort sind. Von dem Olympischen Geist wird aber wegen der Pandemie nicht viel da sein.“
Trotz ihrer Frustration über die verpasste Olympia-Chance blickt Djamila Böhm jetzt nach vorne. „Ich gehe nicht davon aus, dass diese Impf-Nebenwirkungen langfristig bleiben werden. In den letzten Jahren bin ich konstant gut gelaufen, deswegen mache ich mir jetzt keine Sorgen, dass ich wieder an die Leistung anknüpfen kann. Immerhin habe ich vor der Impfung optimal trainiert. Das wird mir auch nächstes Jahr was bringen.“Und dann möchte sie bei den Europameisterschaften in München starten. Wie es danach weitergeht, kann sie noch nicht abschätzen. „Aber Paris 2024 ist jetzt ja auch nur noch drei Jahre hin“, sagt sie. Hoffentlich dann ohne eine Pandemie.