Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Was für ein irres Land!
Als die Bauernhof-Erlebnisoase 1999 in Kevelaer eröffnete, gab es für Besucher nicht viel mehr zu erleben als ein paar Tiere und ein Maislabyrinth. Heute bräuchte man zwei Tage, um alle Attraktionen zu testen.
Wo sind die Kattas? Laut Parkplan müssten sie sich zwischen dem „Ponte Romano“und dem „Olymp“aufhalten. Tun sie aber nicht, auch nicht in dem Pavillon, wo wir sie später beim Fressen beobachten können. Die Primaten sind ausgebüxt. Klettern irgendwo in den Bäumen herum, wo man sie nicht sehen kann. Meinem Sohn Jonar (7) ist das schnurzpiepegal. Er hat es nicht so mit Tieren, interessiert sich weder für die entlaufenen Lemuren noch für die Eulen, die Ponys, die Esel, die Hühner, die Kühe, die Ziegen, die Waschbären oder die Schafe. Wenn schon Tiere, dann der auffällige Paradiesvogel, der eigentlich ein altes Transportflugzeug ist, eine Transall C-160 um genau zu sein, und aus dessen Bauch eine lange Rutsche wächst.
Nun mag man sich die Frage stellen, was ein Junge, der sich nicht besonders für Tiere interessiert, in der angeblich größten Bauernhof-Erlebnisoase Europas, als die sich das „Irrland“in Kevelaer bezeichnet, zu suchen hat. Dazu muss man wissen, dass die Betonung längst nicht mehr auf „Bauernhof“, sondern vielmehr auf den Zusatz „Erlebnis“liegt. Als das „Irrland“1999 die ersten Gäste empfing, hatte das Betreiber-Ehepaar Johannes und Josi Winkels-Tebartz van Elst nicht viel mehr zu bieten als einen Streichelzoo, ein paar Spielgeräte und ein Maislabyrinth.
Im Laufe der Jahre wurde der Park kontinuierlich um neue Flächen erweitert. Mittlerweile gibt es drei große Bereiche: „Irrland Nord“, der verrückte Bauernhof, mit dem alles angefangen hat, „Irrland Süd“und „Irrland West“, die allesamt durch Tunnel miteinander verbunden sind. Insgesamt erstreckt sich der Park auf 300.000 Quadratmetern.
Das ist verflixt groß, und selbst mit Plan dauert es eine Weile, bis man sich zurechtgefunden hat. Es ist ein Paradies für Kinder, die noch nicht in der Pubertät stecken – und für ihre gebeutelten Eltern, denen in der Corona-Zeit die Ideen für Unternehmungen ausgegangen sind.
Das Irre an diesem „Irrland“ist auch das mediterrane Flair. Wer durch die gepflegte, palmengesäumte Anlage flaniert, vorbei an den zahlreichen Grillplätzen, glaubt beinahe, er wäre irgendwo in Italien gelandet: mal in der fließenden Landschaft der Toskana, mal in einer überfüllten Metropole. Es gibt sogar einen internationalen Airport mit begehbaren Flugzeugen und Hubschraubern, die über den Park verstreut sind.
Was das „Irrland“nun mit den alten Römern zu tun hat, erschließt sich zwar nicht sofort. Vielleicht liegt es ja daran, dass sich der Ärchäologische Park Xanten, wo die Reste der früheren Stadt Colonia Ulpia Traiana besichtigt werden können, ganz in der Nähe befindet. Oder daran, dass das Rheinische Amt für Bodenpflege vor einigen Jahren in dem Gebiet zwischen Weeze und Kervenheim eine ländliche Siedlung aus römischer Zeit ausgegraben hat. Jedenfalls gibt es ein Kastelöl, ein Kolosseum, die „Piazza della Pizza“, den Circus Maximus, die Festung Troja und den Hügel des Sisyphos – und, bei unserem Besuch noch nicht ganz fertig, ein Aquädukt mit Kletterpark und 120 Meter langer Wasserrutsche. Außerdem treffen Besucher überall im Park auf römische Legionäre, die auf ein paar Spielregeln hinweisen, zum Beispiel, dass Personen mit einem Gewicht von mehr als 60 Kilo nichts auf den Hüpfkissen zu suchen haben.
Wenn man Jonar Glauben schenken darf, geht nichts, absolut gar nichts über die Rutschen. Diejenigen, die ihre Badesachen eingepackt haben, können sich bei sommerlichen Temperaturen auf einer der Wasserrutschen vergnügen. Alle anderen schnappen sich einen Rutschsack, und ab geht die Post. Gleich neben dem „Irrland-Flughafen“ist der Rutschen-Tower. Wer in diesem Jahr nicht in die Berge kommt, weil er seinen Urlaub wegen der unsicheren Corona-Lage noch einmal verschoben hat, kommt hier auf seine Kosten.
Der Turm ist etwa 15 Meter hoch und besteht aus zahlreichen Treppenstufen. Jonar kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus. „Boah“ist das wohl am häufigsten gehörte Wort an diesem Tag. „Boah, ist das hoch! Boah, ist die lang! Boah, ist das krass!“Sieben verschiedene Rutschen stehen allein am „Power-Tower“. Nachschub gibt es im „Irrland Nord“. Nicht nur Jonars Kopf bekommt allmählich eine tomatenähnliche Färbung. Auch ich stöhne, als ich mich erneut die Treppenstufen hochquäle. Aber was für ein Blick! Und erst die Abfahrt! Boah, ey.
Eine Tageskarte reicht kaum aus, um alle 80 Attraktionen ausgiebig zu testen. Besser wäre eine Zwei-TagesKarte. Muss man halt noch mal wiederkommen. „Boah, die Hüpfburg! Boah, die Kartbahn! Boah, eine ganze Halle nur mit riesigen Lego-Bausteinen!“So geht das andauernd.
Dass man im Irrland gewesen ist, erkennt man übrigens an den weiß gepuderten Klamotten, nachdem man aus dem „Trocken“-Schwimmbad gestiegen ist. Gefüllt ist es mit rund 120 Tonnen Mais, die man körnerweise mit nach Hause schleppt. Die Tiere damit zu füttern, ist verboten. Gut, dass aber auch die Kinder verrückt danach sind – zumindest nicht zum Essen. Stattdessen stapfen sie wild darin herum und kippen es in Rohre. Das weiße Zeug an der Kleidung ist Maisstaub. So nimmt jeder noch ein Andenken mit nach Hause.