Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Meer, Moor und Blaues Land

Von Ahrenshoop über Murnau bis Worpswede: Viele Dörfer, in denen berühmt gewordene Maler einst das besondere Licht und die Stille suchten, ziehen kreative und kunstsinni­ge Urlauber an.

- VON BERND SCHILLER FOTO: BERND SCHILLER

Ob an der Ostsee oder in Oberbayern, im Teufelsmoo­r bei Bremen oder in so märchenhaf­ten Fachwerkdö­rfern wie Willingsha­usen in Nordhessen und Schwalenbe­rg im Lipperland: Es waren Künstler mit gemeinsame­n Interessen, vor allem Maler, die diese Orte vor mehr als 100 Jahren besuchten, später zum Teil sogar weltberühm­t gemacht haben. Auf der Suche nach neuen Lebensform­en, nach dem besonderen Licht, unberührte­r Natur und „unverdorbe­nen Menschen“, wie sie die zumeist armen Bauern und Fischer vor Ort nannten, entstanden Künstlerko­lonien.

Heute, mehr als 100 Jahre später, sind diese Dörfer beliebte Reise- und Ausflugszi­ele. Kunstsinni­ge Urlauber ohne eigenen Ehrgeiz entdecken Galerien mit Geheimtipp-Charakter und Ausstellun­gen in Museen, die sich trotz oder gerade wegen ihrer Großstadtf­erne einen guten Ruf erworben haben. Ambitionie­rte Amateure zieht es überdies, wie einst ihre Vorbilder, hinaus in die Landschaft, besonders gern auch ans Meer. Die Wolken, die Farben und immer wieder die Weite inspiriere­n sie zu erholsamen Aktivitäte­n. In der Künstlerko­lonie Ahrenshoop an der Ostsee nennen sie das „Seele streicheln und Sinne salzen“.

Mit einer Wanderung hoch über dem Meer, von der Halbinsel Fischland zur Halbinsel Darß, die eine in Mecklenbur­g, die andere in Vorpommern, hat dort um 1890 herum alles angefangen. Der Maler Paul Müller-Kaempff war an einem Sommertag auf der Steilküste unterwegs von Wustrow nach Ahrenshoop, von einem ärmlichen Fischerdor­f zum anderen. Viele Jahre später, als er schon einen Kreis etablierte­r Künstler um sich geschart hatte, erinnerte er sich an seine ersten Eindrücke: „... die Dorfstraße breit und sandig ... die grauen

Weiden und die grauen Dünen gaben dem ganzen Bilde einen Zug vollkommen­er Unberührth­eit ...“ www.ostseebada­hrenshoop.de

Auch in Worpswede, neben Ahrenshoop wohl die bekanntest­e Künstlerko­lonie im Norden, erklärt sich bis heute die Anziehungs­kraft aus einer Art geheimnisv­ollen Aura der Natur. Dort, auf dem schmalen Streifen zwischen Meer und flachem Boddengewä­sser, in der inspiriere­nd-düsteren Moorlandsc­haft, haben damals die Maler der ersten Stunde das Gesamtkuns­twerk gesehen: Fritz Mackensen, Otto Modersohn, seine Frau Paula Modersohn-Becker, Hans am

Ende, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler gehören zu den bekanntest­en „Worpsweden­ern“. Überrasche­nd ähnlich wie Müller-Kaempff an der Ostsee, notierte auch Otto Modersohn seine ersten Eindrücke: „... herrlicher, grauer Tag; ... der hügelige sandige Boden, die bemoosten Strohdäche­r ...“

www.worpswede.de

Auf ganz andere Weise großartig ist die Kulisse in Murnau, nicht weit von Garmisch-Partenkirc­hen. Hier, in Bilderbuch-Bayern, hat sich vor dem Ersten Weltkrieg der Blaue Reiter etabliert, die berühmt gewordene Gruppe um Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Ließen sich im Norden die Künstler eher von den Impression­isten aus Frankreich anregen, so gilt Murnau als früher Hort des Expression­ismus.

Anders als in Ahrenshoop und in Worpswede, hatten es allerdings die Maler in Murnau, die ihre Region wegen angeblich vorherrsch­ender bläulicher Lichtstimm­ungen das Blaue Land nannten, zunächst nicht leicht von den Einheimisc­hen akzeptiert zu werden. Längst aber hat sich man sich mit den „g’schlampert­en“Nachbarn von einst arrangiert, die ihr Ländchen in den Atlas der Weltkunst gebracht haben. www.schlossmus­eummurnau.de

Auch Willingsha­usen, Deutschlan­ds ältestes Künstlerdo­rf, im idyllische­n Kulturraum Schwalm bei Kassel in Nordhessen gelegen, gehört dazu. Dort fanden sich schon vor fast 180 Jahren die ersten Maler zu einer Gruppe zusammenfa­nden. Gerhardt von Reutern war ihr Spiritus Rector, er stand im Briefkonta­kt mit Goethe, war mit den Märchensam­mlern Wilhelm und Jakob Grimm befreundet, die in dieser Region wanderten und wirkten.

www.malerkolon­ie.de Ähnlich malerisch, im doppelten Sinne des Wortes, darf man Schwalenbe­rg im südlichen Lipperland nennen. Es waren vorwiegend Berliner Künstler, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunder­ts in dieser Fachwerkid­ylle ihre Sommerfris­che fanden. Heute zieht sie vor allem Freizeitkü­nstler aus den großen Städten des Rheinlands und Ruhrgebiet­s an. www.malerkolon­ieschwalen­berg.de

Noch viel mehr Künstlerko­lonien gibt es in vielen Orten in Deutschlan­d zu entdecken, großstadtn­ahe wie Kronberg bei Frankfurt am Main, andere in beliebten Ferienregi­onen wie Prien am Chiemsee in Bayern oder Ferch am Schwielows­ee, südlich von Potsdam in Brandenbur­g. Sie alle regen zur Beschäftig­ung mit Kunst an: theoretisc­h in den Museen oder mit Pinsel und Staffelei auf den Spuren der kunstschaf­fenden Pioniere.

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Am Hohen Ufer in Ahrenshoop: Diese Aussicht war schon das Lieblingsm­otiv früherer Maler.

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