Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Meer, Moor und Blaues Land
Von Ahrenshoop über Murnau bis Worpswede: Viele Dörfer, in denen berühmt gewordene Maler einst das besondere Licht und die Stille suchten, ziehen kreative und kunstsinnige Urlauber an.
Ob an der Ostsee oder in Oberbayern, im Teufelsmoor bei Bremen oder in so märchenhaften Fachwerkdörfern wie Willingshausen in Nordhessen und Schwalenberg im Lipperland: Es waren Künstler mit gemeinsamen Interessen, vor allem Maler, die diese Orte vor mehr als 100 Jahren besuchten, später zum Teil sogar weltberühmt gemacht haben. Auf der Suche nach neuen Lebensformen, nach dem besonderen Licht, unberührter Natur und „unverdorbenen Menschen“, wie sie die zumeist armen Bauern und Fischer vor Ort nannten, entstanden Künstlerkolonien.
Heute, mehr als 100 Jahre später, sind diese Dörfer beliebte Reise- und Ausflugsziele. Kunstsinnige Urlauber ohne eigenen Ehrgeiz entdecken Galerien mit Geheimtipp-Charakter und Ausstellungen in Museen, die sich trotz oder gerade wegen ihrer Großstadtferne einen guten Ruf erworben haben. Ambitionierte Amateure zieht es überdies, wie einst ihre Vorbilder, hinaus in die Landschaft, besonders gern auch ans Meer. Die Wolken, die Farben und immer wieder die Weite inspirieren sie zu erholsamen Aktivitäten. In der Künstlerkolonie Ahrenshoop an der Ostsee nennen sie das „Seele streicheln und Sinne salzen“.
Mit einer Wanderung hoch über dem Meer, von der Halbinsel Fischland zur Halbinsel Darß, die eine in Mecklenburg, die andere in Vorpommern, hat dort um 1890 herum alles angefangen. Der Maler Paul Müller-Kaempff war an einem Sommertag auf der Steilküste unterwegs von Wustrow nach Ahrenshoop, von einem ärmlichen Fischerdorf zum anderen. Viele Jahre später, als er schon einen Kreis etablierter Künstler um sich geschart hatte, erinnerte er sich an seine ersten Eindrücke: „... die Dorfstraße breit und sandig ... die grauen
Weiden und die grauen Dünen gaben dem ganzen Bilde einen Zug vollkommener Unberührtheit ...“ www.ostseebadahrenshoop.de
Auch in Worpswede, neben Ahrenshoop wohl die bekannteste Künstlerkolonie im Norden, erklärt sich bis heute die Anziehungskraft aus einer Art geheimnisvollen Aura der Natur. Dort, auf dem schmalen Streifen zwischen Meer und flachem Boddengewässer, in der inspirierend-düsteren Moorlandschaft, haben damals die Maler der ersten Stunde das Gesamtkunstwerk gesehen: Fritz Mackensen, Otto Modersohn, seine Frau Paula Modersohn-Becker, Hans am
Ende, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler gehören zu den bekanntesten „Worpswedenern“. Überraschend ähnlich wie Müller-Kaempff an der Ostsee, notierte auch Otto Modersohn seine ersten Eindrücke: „... herrlicher, grauer Tag; ... der hügelige sandige Boden, die bemoosten Strohdächer ...“
www.worpswede.de
Auf ganz andere Weise großartig ist die Kulisse in Murnau, nicht weit von Garmisch-Partenkirchen. Hier, in Bilderbuch-Bayern, hat sich vor dem Ersten Weltkrieg der Blaue Reiter etabliert, die berühmt gewordene Gruppe um Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Ließen sich im Norden die Künstler eher von den Impressionisten aus Frankreich anregen, so gilt Murnau als früher Hort des Expressionismus.
Anders als in Ahrenshoop und in Worpswede, hatten es allerdings die Maler in Murnau, die ihre Region wegen angeblich vorherrschender bläulicher Lichtstimmungen das Blaue Land nannten, zunächst nicht leicht von den Einheimischen akzeptiert zu werden. Längst aber hat sich man sich mit den „g’schlamperten“Nachbarn von einst arrangiert, die ihr Ländchen in den Atlas der Weltkunst gebracht haben. www.schlossmuseummurnau.de
Auch Willingshausen, Deutschlands ältestes Künstlerdorf, im idyllischen Kulturraum Schwalm bei Kassel in Nordhessen gelegen, gehört dazu. Dort fanden sich schon vor fast 180 Jahren die ersten Maler zu einer Gruppe zusammenfanden. Gerhardt von Reutern war ihr Spiritus Rector, er stand im Briefkontakt mit Goethe, war mit den Märchensammlern Wilhelm und Jakob Grimm befreundet, die in dieser Region wanderten und wirkten.
www.malerkolonie.de Ähnlich malerisch, im doppelten Sinne des Wortes, darf man Schwalenberg im südlichen Lipperland nennen. Es waren vorwiegend Berliner Künstler, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in dieser Fachwerkidylle ihre Sommerfrische fanden. Heute zieht sie vor allem Freizeitkünstler aus den großen Städten des Rheinlands und Ruhrgebiets an. www.malerkolonieschwalenberg.de
Noch viel mehr Künstlerkolonien gibt es in vielen Orten in Deutschland zu entdecken, großstadtnahe wie Kronberg bei Frankfurt am Main, andere in beliebten Ferienregionen wie Prien am Chiemsee in Bayern oder Ferch am Schwielowsee, südlich von Potsdam in Brandenburg. Sie alle regen zur Beschäftigung mit Kunst an: theoretisch in den Museen oder mit Pinsel und Staffelei auf den Spuren der kunstschaffenden Pioniere.