Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Auf bruchstimmung beim Neustart
Wie wird es mit den Theatern in NRW nach der Corona-Pandemie weitergehen? Mit dieser Frage hat sich Studentin Lilly Schäfer bei einem besonderen Seminar an der Universität zu Köln beschäftigt. Die Resultate sind ebenso vielfältig wie spannend.
Theater und Museen, die monatelang geschlossen waren, Musiker, die nicht spielen durften, Tänzer, Sänger, Schauspieler, die nicht vor Publikum auftreten konnten: Die Kultur in Deutschland lag während der Corona-Pandemie brach, das Virus ließ gemeinsamen Genuss von Kunst nicht zu. Wie geht es der Kulturbranche? Und wie wird sie aus dieser Krise hervorgehen? Mit dieser Frage haben sich Studierende des Master-Studiengangs „Theorien und Praktiken professionellen Schreibens“der Uni Köln in einem besonderen Seminar beschäftigt: „Mit unserem Dozenten Jonas Reese haben wir eine virtuelle Redaktion gegründet mit dem Ziel, ein Online-Magazin zu erstellen“, sagt Studentin Lilly Schäfer. „Wir haben Themenkonferenzen gemacht, Rechercheansätze gesucht und dann Interviews geführt und Texte geschrieben.“
So entstand ein Online-Magazin, das sich mit Gaming-Bars und Techno-Kollektiven in der Pandemie ebenso beschäftigt wie mit einem historischen Blick auf die Spanische Grippe gegen Ende des Ersten Weltkriegs und ihrem Einfluss auf die damalige Kultur. Ein Blick in die Zukunft, wie im Beitrag „Wie Kunst plötzlich kreativ wird“, zeigt neue Perspektiven auf. Außerdem hat sich die Redaktion die Frage gestellt, was es für eine Generation bedeutet, ohne Kultur aufzuwachsen.
Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Luisa Berlinicke hat Lilly Schäfer sich in einem Artikel dem Thema „Ablenkung oder Aufarbeitung? – Was uns nächste Spielzeit auf den Theaterbühnen erwartet“gewidmet und dafür mit verschiedenen Akteuren der NRW-Bühnen gesprochen. „Mir war zuvor schon aufgefallen, dass viel darüber geschrieben wird, was die Pandemie strukturell, finanziell mit der Kulturszene macht – aber wenig darüber, was uns wohl inhaltlich erwartet“, sagt die 24-Jährige. „Mich hat interessiert, ob die Bühnen als Spiegel der Gesellschaft die Pandemie aufarbeiten werden oder ob sie das Thema nicht aufgreifen und somit auf Ablenkung setzen.“
Fünf Theater in Köln, Düsseldorf und Bonn haben Luisa Berlinicke und Lilly Schäfer für das Online-Magazin ihres Master-Studiengangs befragt. Ein spannendes Ergebnis:
Es gibt keine einheitliche Linie, wie die Theater mit der Pandemie inhaltlich umgehen wollen. „Das Bonner Theater Marabu zum Beispiel möchte sich unbedingt mit den aktuellen Problemen der Krise beschäftigen“, sagt Schäfer. „Schließlich müsse diese Zeit aufgearbeitet werden. Das Tiefrot-Theater in Köln dagegen möchte das auf keinen Fall. Dort ist man der Meinung, dass die Leute das Wort Corona nicht mehr hören können.“
Einig seien sich die Bühnen darüber, dass das Theater vor einer neuen Phase der Politisierung stehe: „Die Pandemie hat so viele Missstände aufgezeigt, dass die Häuser dies in jedem Fall thematisieren wollen“, so die Studentin. Das Düsseldorfer Schauspielhaus lege seinen Fokus nächste Spielzeit auf gesellschaftliche Herausforderungen wie Geschlechteridentität, Rassismus oder die ungerechte Einkommensverteilung. Diese seien in der Krise nämlich vollkommen unterrepräsentiert gewesen oder noch verstärkt ans Licht gekommen. Auch an der Studiobühne Köln will man sich kaum mit der Pandemie beschäftigen, haben die Studentinnen in ihren Interviews herausgefunden: „Geplante Stücke handeln stattdessen von der katholischen Kirche oder dem politisch inkorrekten Sprachgebrauch im Deutschrap.“
Grundsätzlich haben die Studierenden der Uni Köln die Stimmung in der Kulturszene als optimistisch erlebt: Es sei angesichts der zeitweise deutlich sinkenden Inzidenzen „sehr viel Zuversicht da. Alle waren glücklich und in Aufbruchstimmung“, sagt Schäfer: „Die Spielpläne spiegeln in ihrer Breite eine Gesellschaft wider, die es nicht erwarten kann, die Pandemie hinter sich zu lassen und diese dennoch nicht vergessen wird. Die Programme zeigen, dass die Theaterszene darauf brennt, ihr Publikum zurückzuholen, und dabei vor allem auf Komödien setzt. Kritisch und durchdacht, aber dabei locker und leicht, so lautet die Devise.“Was bleiben werde, sind die neu geschaffenen, digitalen Formate, so die Recherche der Studentinnen: „Technisch gesehen haben sich in den vergangenen Monaten neue Vermittlungs- und Theaterformen entwickelt. Es gibt Stücke, die extra darauf ausgelegt sind, sowohl vor Ort als auch digital konsumiert zu werden. Die Änderungen und Anpassungen, die aus der Not geboren wurden, werden weiterhin als Möglichkeiten wahrgenommen und umgesetzt.“
Für Schäfer war das Sommersemester in Köln übrigens auch eine Art Aufbruch: Es war ihr erstes Master-Semester in NRW – ursprünglich kommt sie aus München: „Für mich ganz persönlich war dieser Neustart in der Corona-Pandemie natürlich nicht ganz so einfach. Ich bin für ein Praktikum in einem Kulturinstitut an den Rhein gekommen und hatte zunächst überhaupt keinen Plan, wie es danach weitergehen könnte. In dieser Zeit, wo man zu niemandem leicht Kontakt aufnehmen kann, etwas Neues wie dieses Studium zu beginnen, war eine Herausforderung. Natürlich hat Köln als Stadt viel zu bieten – aber von meinen Kommilitonen habe ich zunächst niemanden persönlich kennengelernt. Auch das Seminar zu unserem Kulturmagazin fand ausschließlich online statt. Ich habe alle nur am Bildschirm gesehen. Heißt: Es war am Anfang schon ziemlich einsam.“
Zum Glück habe sie aber durch ihre ehrenamtliche Arbeit beim Kulturinstitut schon nach kurzer Zeit Anschluss gefunden. „Und auch dieses Seminar, in dem wir alle so eng zusammen an unserem Magazin gearbeitet haben, hat zusammengeschweißt. Es sind auch einige Erstsemester im Sommersemester gestartet, da war ich also nicht die Einzige“, sagt Schäfer.