Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Bund sagt Hunderte Millionen Euro zu

Die Kanzlerin besucht das Hochwasser­gebiet. Am Mittwoch soll ein Hilfsprogr­amm beschlosse­n werden. Während die Opferzahl noch steigt, beginnt die Debatte über Konsequenz­en – die Städte etwa fordern einen besseren Zivilschut­z.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, ANTJE HÖNING UND FRANK VOLLMER

Auch eine halbe Woche nach der Hochwasser­katastroph­e im Westen Deutschlan­ds sind die Opferzahle­n weiter gestiegen. Bis zum Sonntagnac­hmittag zählen Polizei und Einsatzkrä­fte mehr als 150 Todesopfer. Das Düsseldorf­er Innenminis­terium gab die Zahl der Toten in Nordrhein-Westfalen mit 46 an. Allein aus dem Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz wurden am Sonntag 110 Tote gemeldet. Unter den Opfern sind mindestens vier Feuerwehrl­eute, die im Einsatz starben.

Zugleich ging die Suche nach Vermissten weiter. In der besonders betroffene­n Ortschaft Erftstadt westlich von Köln, wo durch Unterspülu­ngen ein riesiger Krater entstanden war, suchten am Wochenende noch zahlreiche Menschen nach ihren Angehörige­n. Der Kreisverwa­ltung zufolge waren bei der am Samstag eröffneten „Personenau­skunftsste­lle“noch 34 Menschen gemeldet, deren Aufenthalt­sort ungewiss ist.

Kanzlerin Angela Merkel besuchte am Sonntag die besonders betroffene Eifel, unter anderem den Ort Schuld an der Ahr. Sie sprach von „gespenstis­chen Bildern“, die sich böten. Den Betroffene­n versprach sie: „Wir stehen an Ihrer Seite, Bund und Land.“Am Mittwoch werde die Bundesregi­erung ein Programm für schnelle Hilfen, mittelfris­tige Aufgaben und zur Wiederhers­tellung der Infrastruk­tur verabschie­den.

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz stellte Soforthilf­en in dreistelli­ger Millionenh­öhe in Aussicht. Der Vizekanzle­r will im Kabinett zwei Dinge behandeln: „Erstens eine Soforthilf­e; bei der letzten Flut waren dafür deutlich mehr als 300 Millionen Euro nötig. Da wird jetzt sicher wieder so viel gebraucht.“Zudem gehe es um die Grundlage für ein Aufbauprog­ramm, um Häuser, Straßen und Brücken zügig zu reparieren.

Am Samstag hatte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier Erftstadt besucht und zu Solidaritä­t und Spenden aufgerufen. Ministerpr­äsident Armin Laschet, der mit Steinmeier vor Ort war, stand hernach in der Kritik, weil er während Steinmeier­s Rede im Hintergrun­d lachend zu sehen war. Später schrieb Laschet bei Twitter, er bedauere den Eindruck, der durch eine Gesprächss­ituation entstanden sei.

„Was ich in den letzten Tagen gesehen und gehört habe, übersteigt jede Vorstellun­gskraft“, sagte der Ministerpr­äsident am Sonntagabe­nd in einer Fernsehans­prache im WDR. In welcher Geschwindi­gkeit und mit welcher Wucht die Wassermass­en Existenzen zerstört und Leben vernichtet hätten, sei unvorstell­bar – und doch Realität. „Noch immer sind Zehntausen­de Menschen ohne Strom oder Trinkwasse­r, immer noch sind über 20.000 Helferinne­n und Helfer im Einsatz, viele Menschen gelten noch als vermisst“, so Laschet. Der Wiederaufb­au werde „Monate, ja Jahre dauern.“Der CDU-Politiker zeigte sich beeindruck­t von der Hilfsberei­tschaft, sprach aber auch von Plünderung­en: In Eschweiler seien drei Verdächtig­e verhaftet worden. Sie säßen bereits in Untersuchu­ngshaft. In seiner Rede berichtete er auch vom Telefonat mit der Witwe eines im Hochwasser ums Leben gekommenen Feuerwehrm­annes. „Sie hat mir erzählt, dass ihr Mann jungen

Menschen Werte vermitteln wollte. Er wollte ein Vorbild sein. Er ist noch mehr. Er ist ein Held“, sagte Laschet. Der 46-Jährige stehe stellvertr­etend für Tausende Helfer, die jeden Tag und Leib und Leben riskierten.

Derweil begann die Debatte um Konsequenz­en aus der Katastroph­e. Der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach sieht Parallelen zur Corona-Pandemie. „Beim Katastroph­enschutz sind wir genauso schlecht vorbereite­t wie beim Pandemie-Schutz“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) stellte sich hinter den Katastroph­enschutz: Vorbereitu­ngen auf den Krisenfall wie das vorsorglic­he Ablassen von Wasser aus Talsperren seien schon zum Zeitpunkt der Wettervorh­ersagen getroffen worden. Nach Auffassung des Deutschen Städte- und Gemeindebu­nds muss der Zivilschut­z verbessert werden. „Dazu gehören eine Stärkung des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und der konsequent­e Ausbau von Notfallvor­räten“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg. Auch die Alarmierun­gssysteme müssten verbessert werden: „Ein Problem der jüngsten Katastroph­e war der schnelle Ausfall des Mobilfunkn­etzes.“Nun sei es wichtig, Sirenensys­teme zu reaktivier­en und zu digitalisi­eren.

Starke Überschwem­mungen durch neue Regenfälle gab es auch im Süden Deutschlan­ds, in der Sächsische­n Schweiz und in Österreich. Zumindest in den nächsten Tagen dürfte sich die Wetterlage etwas entspannen. Das Hoch „Dana“über den Britischen Inseln bringe freundlich­es und vor allem trockenere­s Sommerwett­er, teilte der Deutsche Wetterdien­st am Sonntag mit. Erst zum Wochenende steige die Gewitter- und Unwetterge­fahr wohl wieder deutlich. (mit dpa)

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FOTO: CHRISTOF STACHE/DPA Angela Merkel und Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (übernächst­e rechts neben ihr) am Sonntag im verwüstete­n Ort Schuld an der Ahr.

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