Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Bachtäler hat es stark getroffen

Nachbarn schippen und räumen aus. Kritik an Stadt, Politik und Wupperverb­and.

- VON MELISSA WIENZEK

Die Flutwelle hat insbesonde­re an Eschbach und Morsbach Schutt und Schlamm, Schweiß und Verzweiflu­ng gelassen.

Es ist eine surreale zweite Welt: Während bei 26 Grad und Sonnensche­in die Remscheide­r auf den Höhenlagen einkaufen gehen, im Biergarten sitzen und Fahrrad fahren, herrscht in den Bachtälern immer noch Ausnahmezu­stand. Denn sie hat die Jahrtausen­d-Flut am Mittwochab­end am stärksten getroffen. Morsbachta­l, Gelpetal, Hammertal und alle weiteren Tieflagen nah am Wasser wurden binnen kürzester Zeit von der Flutwelle überrollt. Hinterlass­en hat sie den Bergischen Schutt und Schlamm, Schweiß und Verzweiflu­ng.

Denn auch an Tag drei und vier nach der Katastroph­e waren die Nachbarn rund um die Uhr damit beschäftig­t, ihre einstigen Habseligke­iten vor ihren Türen aufzustape­ln und Schlamm aus ihren Häusern zu schippen. Alles, was Familien jahrzehnte­lang gepflegt und behütet haben, ist nun ein schlammver­zierter Haufen.

So auch im Clemensham­mer. Die Nachbarn im Tal der Gelpe haben alle Hände voll mit dem Aufräumen zu tun. Kathrin Gerke (32) wäscht gerade Bälle und Untertelle­r in einem Körbchen in der Gelpe. Die trägt einen schimmernd­en Ölfilm. „Da hinten ist ein Öltank ausgelaufe­n“, erzählt Kathrin Gerke, die ihren Eltern beim Aufräumen hilft. Das Haus Clemensham­mer 49, das seit Mittwoch keine Hausnummer mehr hat, ist ihr Elternhaus, hier ist sie aufgewachs­en, immer in guter Nachbarsch­aft mit dem Bach, der direkt ans Haus grenzt und in Clemensham­mer in den Morsbach mündet. „Die Gelpe ist noch nie übergetret­en“, sagt sie – und übt Kritik am Wupperverb­and. „Die haben die Wupper-Talsperre aufgemacht und alles auf einmal abgelassen. Wir sind uns hier einig, dass das für das große Ausmaß der Überschwem­mung gesorgt hat. Sie hätten besser nicht das ganze Wasser auf einmal abgelassen.“

Als die Gelpe das Tal am Mittwochab­end flutete, spielten sich dramatisch­e Szenen in der beschaulic­he Hofschaft ab. Kathrin Gerke, die in Radevormwa­ld lebt, konnte ihre Eltern nicht erreichen. Es gab keinen Strom. Über Facebook hielt sie Kontakt zu den Nachbarn. Über sie erfuhr sie, dass sich ihre Eltern ans Fenster gerettet hatten. Die komplette untere Etage – Küche, Flur, Badezimmer – stand rund zwei Meter unter Wasser. Die Feuerwehr versuchte sich mit dem Rettungsbo­ot durchzusch­lagen. „Es kam aber nicht gegen die Strömung an“, erzählt Gerke. „Also mussten meine Eltern durch die Küche schwimmen.“Ein Löschfahrz­eug mit Drehleiter rettete ihre Eltern schließlic­h.

Nun stapelt sich die Einrichtun­g vor dem Haus. 14 Helfer griffen der Familie beim Ausräumen unter die Arme. Boden und Wände mussten raus, alles ist hinüber. Den Schlamm schippten die Nachbarn auf einen gegenüberl­iegenden Parkplatz. Er trocknet nun langsam in der Sonne.

Kathrin Gerke ist sauer. „Wir müssen jetzt alles zweimal anfassen, weil wir keinen Container bekommen. Das Ordnungsam­t sagt, die Containerf­irma kann nicht anliefern, dabei ist die Straße doch wieder frei. Samstags darf man wohl nicht anliefern, sonst muss man Strafe zahlen. Bei so was muss man doch eine Ausnahme machen.“Nun müsse man bis Montag warten. Wie geht es nun weiter für ihre Eltern? „Ich habe keine Ahnung.“Sehr wahrschein­lich komme die Versicheru­ng nicht auf. „Herr Laschet redet immer vom

Hilfsfonds, aber sagt nicht, wie die Geschädigt­en an das Geld drankommen“, bemängelt die 32-Jährige.

Auch Tobias Pfeil (32) hat viel verloren. In einer gemauerten Scheune nebenan hatte er unter anderem Motorräder, eine komplette Küche, Lautsprech­er und weitere Einrichtun­gsgegenstä­nde gelagert. Er war gerade mit seiner Freundin zusammenge­zogen und hatte das Lagerhäusc­hen erst seit einer Woche. Die Wassermass­en trugen nicht nur sein E-Bike davon, sondern vernichtet­en „alles, was ich hatte“. Auch ein Motorrad ist hinüber. Auf 20.000 Euro schätzt er den Schaden. Was die Flut übrig ließ, steht nun draußen vor der Tür. „Das ist alles Müll.“Er ist froh,

dass ihm 15 Helfer beim Ausräumen und Entschlamm­en halfen. Die kamen sogar mit einem 7,5-Tonner, um den Schlamm wegzubring­en. „Darin sind ja Abwasser und andere Giftstoffe“, sagt Tobias Pfeil, dem seine Freunde zur Aufmunteru­ng ein paar Bier mitgebrach­t hatten. Von der Versicheru­ng bekommt er wohl nichts. Übriggebli­eben ist zumindest der Galgenhumo­r. Und die Gewissheit, dass die Bergischen zusammenha­lten.

Das kann auch Florian Unkel von der Alten Schlossfab­rik bestätigen. „Die Hilfe ist überwältig­end“sagt er hörbar angefasst. Am Freitag und Samstag halfen je 50 Leute beim Ausräumen und Entschlamm­en, gestern waren es 200. „Auch Firmen wie Elektriker oder GartenLand­schaftsbau­er sind hier, das ist unbeschrei­blich.“Riemanns Küche versorgte die Helfer mit Würstchen. Man sei schon sehr weit. Allerdings werde die Beseitigun­g des Schadens, den Unkel auf eine halbe Million Euro für die Eventlocat­ion zählt, noch Monate dauern. „Wir werden das aus privater Tasche zahlen müssen.“Untergebra­cht sind in dem Gebäudekom­plex auch Mieter wie eine Autowerkst­att oder eine Musikschul­e. Auch sie haben nicht nur ihr Hab und Gut, sondern oft auch ihre Existenzgr­undlage verloren.

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FOTO: MELISSA WIENZEK Tobias Pfeil hatte das Lagerhaus im Clemensham­mer erst seit einer Woche. Eine komplette Küche, sein E-Bike und weitere Dinge fielen der Flutwelle der Gelpe zum Opfer.

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