Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Flut als Charaktert­est

Eine Hochwasser­katastroph­e hat 2002 schon einmal einen Bundestags­wahlkampf gedreht. Das Debakel um das Lachen von Kanzlerkan­didat Armin Laschet im Krisengebi­et kann daher fatale Folgen für seine Chancen haben.

- VON GREGOR MAYNTZ

Das Auftreten in Hochwasser-Katastroph­engebieten hat das Potenzial, Wahlkämpfe zu drehen. Spätestens seit 2002 und Gerhard Schröders Gummistief­eln weiß das jeder Wahlkampfs­tratege. Deshalb achteten Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock mit ihren Wahlkampfz­entralen sehr genau darauf, welche Bilder und Eindrücke von ihrem Agieren in der Krise entstanden. Laschet hat es mit unbedachte­r Heiterkeit einstweile­n zerstört.

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident scheint ohnehin seit einigen Wochen von Fettnäpfch­en zu Fettnäpfch­en unterwegs zu sein – jedenfalls aus Sicht der „Laschet verhindern“-Fraktion auf dem Kurznachri­chtendiens­t

Twitter. Genüsslich wird dort jeder tatsächlic­he, vermeintli­che oder gefakte Fehltritt des Unions-Kanzlerkan­didaten zelebriert. Ob er sich im Düsseldorf­er Landtag zu Corona in Rage redet, die Wissenscha­ftskritik der AfD unterstütz­t oder im Interview das Entlastung­sversprech­en des eigenen Wahlprogra­mms „übersieht“– stets entsteht eine Welle scharfer, oft beißender und verletzend­er Kritik. Gemeinsam war diesen Empörungsr­itualen, dass Laschet in Twitter gefühlt untendurch war, in den Sympathiew­erten außerhalb der Internetbl­asen jedoch zulegen konnte. Längst hat er sich im Vergleich zu Scholz und Baerbock vom letzten auf den ersten Platz hochgearbe­itet.

Seine Unterstütz­er begründen dies auch mit seinem betont unprätenti­ösen Umgang mit öffentlich­en Bildern. „Ich schätze an Armin Laschet sein ernsthafte­s Interesse an den Menschen und ihren Problemen. Die Inszenieru­ng der Inszenieru­ng wegen ist nicht seins – und das ist keine Schwäche, sondern

Stärke“, meinte etwa der Düsseldorf­er CDU-Chef Thomas Jarzombek. Er bezog sich auf Laschets ersten Umgang mit der Flutkatast­rophe: Statt auf Twitter seinen Auftritt zu verbreiten, war er ohne Tamtam nach Altena gefahren und dort von einem lokalen TV-Team zufällig entdeckt worden.

Doch danach stellte er sich wieder und wieder den Medien vor Ort, ließ sich in die Studios schalten und hatte es bald mit (dann dementiert­en) Behauptung­en zu tun, er habe der besseren Bilder wegen angefragt, ob ein Krisenstab ihn nicht an einem anderen Ort empfangen könne. Ein erster Shitstorm brach aus, als er im scharf geführten Interview die WDR-Moderatori­n Susanne Wieseler mit „junge Frau“angeredet haben soll. Die Journalist­in hatte es schon selbst nicht gehört, und Laschet versichert­e hinterher, das sei nicht sein Sprachgebr­auch. Andere Zuhörer hatten auch die leicht verschluck­ten Worte „Tschuldigu­ng, Frau...“statt „junge Frau“für möglich gehalten.

Armin Laschet wusste also nicht nur abstrakt als Wahlkämpfe­r, sondern konkret als nordrhein-westfälisc­her Regierungs­chef im Katastroph­engebiet, wie sehr er unter Beobachtun­g steht, als er am Samstag zum Besuch von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nach Erftstadt fuhr. Und er konnte, während das Staatsober­haupt passende Worte für die Betroffene­n der Tragödie fand, genau sehen, dass die Kameras auch auf ihn im Hintergrun­d gerichtet waren. Wie er in dieser Situation mit seinen Begleitern scherzen, sich mehrfach lachend zu ihnen wenden konnte, wird ihm selbst am Ende des Wahlkampfs sicherlich das größte Rätsel sein. Denn es könnte eine Wende markieren, wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, dass es in der Bewältigun­g der Flutkatast­rophe auch um einen Charaktert­est der Kandidaten ging – und Laschet diesen

„Dies war unpassend, und es tut mir leid“

Armin Laschet zu seinem Lachen

in Erftstadt

Test auf bildlich sehr eindrucksv­olle Weise nicht bestand.

Bereits am Abend wusste er, was er angerichte­t hatte – und entschuldi­gte sich via Twitter. „Dies war unpassend, und es tut mir leid“, schrieb er zu dem von ihm bedauerten „Eindruck, der durch die Gesprächss­ituation entstanden ist“. Über den Anlass wurde spekuliert. Möglicherw­eise hatte es mit einem auf dem Boden liegenden Reporter zu tun. Das aber wurde auch auf eine andere Szene bezogen, in der Laschet vor den Kameras steht und im Hintergrun­d Steinmeier erheitert reagiert.

Laschets Lach-Debakel wiegt 70 Tage vor der Bundestags­wahl umso schwerer, als die beiden anderen Kandidaten deutlich geschickte­r agieren. Scholz beschränkt sich auf ernste Fotos und auf Trauer, Mitgefühl und die Zusage großer finanziell­er Hilfspaket­e, Baerbock meidet optische Eindrücke völlig, interessie­rt sich für das Agieren ihrer Parteifreu­nde in den betroffene­n Regionen und hält ihre Partei sogar an, das Leid der Menschen nicht für einen Klimawahlk­ampf zu nutzen – wissend, dass die Flut das Thema mit grüner Kernkompet­enz ohnehin ganz nach oben spült. Und Eindrücke starker Empathie ohne aufdringli­chen Inszenieru­ngscharakt­er liefert auch Angela Merkel, wenn sie die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer beim Krisenbesu­ch am Sonntag an die Hand nimmt. Das erhöht den Kontrast zu Laschet noch mehr.

Vor der Flut, die im August 2002 Teile sächsische­r Städte ähnlich schlimm verwüstete, lag der damalige CSU-Herausford­erer Edmund Stoiber scheinbar uneinholba­r vor SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Nachdem Schröder die Gummistief­el angezogen und den Macher herausgeke­hrt hatte, holte er schnell auf und gewann gegen Stoiber, der dem zunächst keine adäquaten Bilder entgegenzu­stellen wusste. Diese Erinnerung dürfte in den Scholzund Baerbock-Teams gerade mit großen Hoffnungen verbunden werden.

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