Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Taliban gewinnen wieder die Oberhand in Afghanistan
(dpa) Kurz vor dem offiziellen Abschluss des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan kontrollieren die militant-islamistischen Taliban wieder mehr als die Hälfte der Bezirke des Landes. Das geht aus einer Recherche der Deutschen Presse-Agentur in den 34 Provinzen des Landes hervor. Demnach halten die Islamisten mit rund
210 der etwa 400 Bezirkszentren des Landes eine knappe Mehrheit. Unter voller Kontrolle der Regierung stehen nur noch rund 110 Bezirke, weitere rund 80 sind umstritten.
Das hat seine Gründe im neuen geopolitischen Kurs der USA und ihrer Verbündeten: Mit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die Taliban mehrere Offensiven gestartet und dabei mehr als 150 Bezirke überrannt. Geografisch fokussierten sie ihre Offensive auf den Norden des Landes. Dort waren die Taliban in den späten
90er-Jahren auf den größten Widerstand getroffen. Beobachter gehen davon aus, dass damit die Organisation einer Opposition genau dort verhindert werden soll.
Experten finden mittlerweile deutliche Worte für die Machtverhältnisse im Land: „Der Vormarsch der Taliban in den vergangenen Wochen ist unbestreitbar und bedeutsam“, heißt es etwa im jüngsten Bericht der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network.
Außer vielen Bezirken haben die Taliban zudem weitere Teile von wichtigen Überlandstraßen und mehrere Grenzübergänge erobert, darunter zwei der drei wichtigsten: Spin Boldak an der Grenze zu Pakistan und Islam Kala an der Grenze zum Iran. Damit fügen sie der Regierung in Kabul massive Einbußen bei Einnahmen zu.
Nach Angaben von Präsident Joe Biden endet der Einsatz der USA in Afghanistan mit dem 31. August. Die Nato hat das Ende des Militäreinsatzes noch nicht offiziell kommuniziert, der Einsatz ist aber de facto beendet. Laut übereinstimmenden Medienberichten stehen die derzeit noch im Land stationierten Soldaten aus Staaten wie den USA und der Türkei mittlerweile vollständig unter der Führung der nationalen Kommandoketten.
Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, appellierte derweil an Deutschand, auch nach Beendigung des Militäreinsatzes der Nato Führungsstärke zu zeigen. Das Opfer der in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten dürfe nicht umsonst gewesen sein, sagte Grandi. Mit dem US-Truppenabzug steige das Risiko von Konflikten zwischen der Regierung und den Taliban. Die Europäer müssten alles daransetzen, dass der Friedensprozess vorankomme – dies sei nicht allein Sache der Amerikaner.
„Das Opfer der gefallenen deutschen
Soldaten darf nicht umsonst gewesen sein“
Filippo Grandi UN-Flüchtlingskommissar