Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Mit 82 endlich Astronautin
Wally Funk bestand jeden noch so harten Test, doch mit der Nasa ins All fliegen durfte sie nie: Am Dienstag nimmt sie der Multimilliardär Jeff Bezos mit in den Weltraum.
Man muss sich Wally Funk als irritierend optimistischen Menschen vorstellen. „Ich habe nicht den Hauch eines Zweifels“, sagte sie einmal vergnügt dem Reporter der „L.A. Times“: „Ich bin mir so sicher, dass ich in den Weltraum fliegen werde, wie ich davon ausgehe, dass morgens mein Auto anspringt. Ich weiß zwar nicht, wie, aber ich weiß, dass es passieren wird.“Das war, wohlgemerkt, kurz vor ihrem
65. Geburtstag, nach 44 Jahren erfolglosen Umwerbens der Nasa, vier erfolglose hochoffizielle Bewerbungen um Aufnahme als Astronautin inklusive.
Heute ist die Flugpionierin
82 Jahre alt. Und an diesem Dienstag wird sich, wenn das Wetter mitspielt, ihr Lebenstraum erfüllen. Amazon-Gründer Jeff Bezos nimmt sie als Passagierin mit in der „New Shepard“-Rakete seiner Weltraum-Firma Blue Origin, die am 52. Jahrestag der Mond-Mission Apollo 11 abhebt. Wenn es darauf ankäme, würde Funk das Ding wohl selbst bis zum Beginn des Alls steuern – und heile zurück sowieso.
Eigentlich hätte es schon vor gut 60 Jahren so weit sein sollen:
1961 hatte der Nasa-Arzt William Randolph Lovelace sie als jüngste von 25 Frauen eingeladen, die körperlich wie mental zermürbenden Astronauten-Tests – unter anderem Medizin, Fitness, Intelligenz, Fachwissen – abzulegen. Im Namen der Wissenschaft wurden ihnen Elektroschocks verabreicht und Eiswasser in die Ohren gespritzt. Funk bestand, und zwar mit besseren Ergebnissen als die meisten Männer. In einem Tank mit lauwarmem Wasser ohne jeden Sinnesreiz hielt sie es zehneinhalb Stunden aus. Dann fischten die Forscher sie raus: „Ich hatte den Rekord längst gebrochen, aber ich hätte noch ewig drinbleiben können.“
Von den buchstäblich Hunderten Voraussetzungen, die die ersten Astronauten erfüllen mussten, fehlte ihr nur eine einzige: das Y-Chromosom. „Sie wollten einfach keine Frauen“, sagt Funk. Dass sie mangels Erlaubnis zwangsläufig weder Erfahrung als Passagierflugzeugnoch als Militärpilotinnen vorweisen konnten, war ein vorgeschobener Grund. Fliegerische Fähigkeiten waren nicht ausschlaggebend. Das größere Hindernis war der Sexismus vieler Entscheider in den USA. Die Kosmonautin Valentina Tereschkowa
flog 1963 ins All, die erste amerikanische Astronautin durfte erst 20 Jahre später starten.
Ohne Begründung wurde das inoffizielle Frauen-Programm eingestellt, bevor die Öffentlichkeit davon erfuhr. Die Teilnehmerinnen wurden per Telegramm knapp darüber informiert. Zwei von ihnen hatten ihren Job aufgegeben, um teilnehmen zu können. Funk, die mit fünf im Superhelden-Umhang vom elterlichen Schuppen gesprungen war, mit sieben Modellflugzeuge baute und mit neun ihre erste Flugstunde erhielt, war nicht entmutigt. Sie machte Karriere als
Rennpilotin und Fluglehrerin, bei der Luftfahrtverwaltung und der Flugsicherheitsbehörde. Nebenbei absolvierte sie die jeweils aktuellen Tests – auf eigene Rechnung oder Spesen von TV-Sendern. Inzwischen hat sie fast 20.000 Flugstunden absolviert. Bezos’ persönliches Motto könnte auch ihres sein: „Gradatim ferociter“– zu Deutsch: „Schritt für Schritt, aber wild entschlossen.“
Funk ist so was von bereit für den Flug. Dass der nach jahrelangem fieberhaften Wettbewerb erst zwei Wochen nach dem des britischen Milliardärs Richard Branson erfolgt, ist ihr herzlich egal. Zumal die „New Shepard“-Rakete von Blue Origin höher fliegt, nämlich bis über die gedachte 100-Kilometer-Marke. Nach internationaler Definition beginnt erst dort der Weltraum; Bransons Raketenflugzeug hatte die sogenannte Kármán-Linie nicht erreicht. In den USA gilt er nun trotzdem offiziell als Astronaut, im Rest der Welt genau genommen nicht.
„Unsere Astronauten werden kein Sternchen neben ihren Namen setzen müssen“, hatte Blue Origin noch vor Bransons Abflug bei Twitter gestichelt. Für Funk dürfte das das i-Tüpfelchen sein. „Ich kann es kaum erwarten und werde jede Sekunde
lieben!“, rief sie, nachdem Bezos sie mit dem PR-trächtigen Angebot überrascht hatte, ihn gratis zu begleiten. Was wohl ihre ersten Worte nach der Landung sein würden, fragte er sie. Antwort: „Schätzchen, das ist das Beste, was mir je passiert ist.“Das der Raumfahrt immanente Restrisiko nimmt sie gern in Kauf: „Ich habe nicht vor, mich selbst in die Luft zu jagen“, sagte sie zu diesem Thema schon vor Jahren: „Aber alles kann passieren. Und falls ich es nicht überleben sollte, wäre das völlig in Ordnung. All meinen Papierkram habe ich schon längst geregelt.“