Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
50+1 wird längst unterlaufen
In der Bundesliga muss der Verein immer die Mehrheit am Fußball-Klub halten. Das soll den Einfluss von Investoren verhindern. Doch es gibt Ausnahmen von der Regel, die dem Kartellamt nicht gefallen. Und auch andere brechen die Regel.
Der deutsche Fußball ist einzigartig. Doch, doch. Er leistet sich nämlich eine Regel, die in der Welt des Profisports einmalig ist. Es ist die
50+1-Regel. Sie besagt, dass in einer aus dem eingetragenen Verein ausgegliederten Profiabteilung der Verein stets eine Mehrheit von mindestens einer Stimme haben muss. Das soll böse Investoren davon abhalten, sich eines braven Bundesligaklubs zu bemächtigen und den dann nach ein paar Jahren tüchtiger Aussaugerei wieder abzustoßen.
Ein edler Plan.Einige Ausnahmen aber gestattet der deutsche Fußball. Langjährige Sponsoren, liebenswürdig Förderer genannt (solche, die über 20 Jahre dabei sind), dürfen mehr als 50 Prozent der Stimmen haben. Aktuelle Ausnahmen von der Regel sind die Konzernklubs Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim, deren Mäzen Dietmar Hopp 96 Prozent der Anteile am Verein besitzt.
Diese Ausnahmen stören das Kartellamt. Es hat zwar grundsätzlich nichts gegen die 50+1-Regel, weil sie die Mitgliederteilhabe und damit eine wesentliche Tradition des Fußballvereinswesens garantiert. 50+1 „kann aufgrund der damit verfolgten sportlichen Ziele unbedenklich sein“, schreibt das Amt an die Deutsche Fußball-Liga. Aber: „Für problematisch hält das Amt hingegen, dass die einheitliche Anwendung nicht sichergestellt ist“. Kartellamtspräsident Andreas Mundt stellt fest: „50+1 erscheint angemessen. In Kombination mit der derzeitigen Förderausnahme haben wir hingegen Zweifel.“
Die Liga muss diese Zweifel ausräumen. Deshalb gab es in der vergangenen Woche ein Treffen. Aber es gab keine Beschlüsse. So richtig abschaffen will die DFL die Ausnahme von der Regel nämlich nicht. Denn sie fürchtet für diesen Fall, dass die drei betreffenden Klubs vor ein ordentliches Gericht ziehen. Dort könnte die so einzigartige Gesetzgebung des deutschen Fußballs enden. Es wird deshalb erwartet, dass die DFL dem Kartellamt und ihren Mitgliedern (den 36 Profiklubs) ein ganz leicht modifiziertes Modell vorlegen wird. Vielleicht werden Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim zu finanziellen Zugeständnissen an die Mitbewerber bewegt.
Das wesentliche Problem der
Ungerechtigkeit im Wettbewerb Profifußball hat aber weder DFL noch Kartellamt angesprochen. RB Leipzig gilt als von den Mitgliedern nach 50+1-Regel geführter Verein. Tatsächlich aber gibt es nur 21 Mitglieder, die alle entweder Vereinsmitarbeiter oder Menschen sein müssen, die in geschäftlichen Kontakten mit dem Klub stehen. Und das Kapital der Fußballgesellschaft ist nahezu vollständig im Besitz des Red-Bull-Konzerns. Was das im sogenannten Wettbewerb bedeuten kann, wurde schon vor Corona sichtbar. Da wandelte der Konzern durch einen schlichten Federstrich 100 Millionen Euro Schulden, die RB bei Red Bull hatte, in Eigenkapital um. Da knirschen nicht nur vermeintliche Mitbewerber mit den Zähnen. Die DFL sagte dazu: nichts.
Und sie kann auch nichts daran ändern, dass andernorts der Geist des 50+1 mächtig unterlaufen wird. Zum Beispiel in Berlin. Die Hertha hat zwar die Stimmenmehrheit in der ausgelagerten Profigesellschaft. 66,6 Prozent der Anteile am Kapital aber hält der Investor Lars Windhorst. In Augsburg steht die Hoffmann-Investoren GmbH sogar für 99 Prozent der Anteile. Wer wird da so naiv sein zu glauben, dass die Investoren zwar das Geld geben, nicht aber bestimmen wollen (und dürfen), wofür es ausgegeben wird.
Solche Investorenmodelle öffnen jedenfalls schon lange die Tür für organisierte Verstöße gegen den Geist der 50+1-Regel. Die DFL hat daher viel mehr zu tun, als dem Kartellamt die gängige Praxis der drei Ausnahmen von der Regel schmackhaft zu machen. Vielleicht geht es bald ums Prinzip.