Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Corona-Leugner kapern das Andenken an den Widerstand gegen Hitler.

Vor 77 Jahren scheiterte das Hitler-Attentat. Mancher möchte das Andenken an Stauffenbe­rg und dessen Mitverschw­örer vereinnahm­en.

- VON GREGOR MAYNTZ

101 Rekruten werden an diesem Dienstag neben dem Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin in die Bundeswehr aufgenomme­n. Sie geloben, „der Bundesrepu­blik Deutschlan­d treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidige­n“. Und sie tun dies nicht zufällig am

20. Juli im Innenhof des Bendlerblo­cks, also genau an der Stelle, an der 77 Jahre zuvor der Putsch gegen Hitler organisier­t wurde und nach dessen Scheitern die Verschwöre­r um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg standrecht­lich erschossen wurden. Gelöbnis und Gedenken an diesem Ort – so macht es die Bundeswehr seit Jahren. Doch in diesem Jahr ist es anders.

Denn das gesellscha­ftliche Umfeld hat sich gewandelt. Zum wiederholt­en Male. In den ersten Nachkriegs­jahren wirkte die NaziPropag­anda gegen die „kleine Clique ehrgeizige­r, gewissenlo­ser und zugleich verbrecher­ischer, dummer Offiziere“(O-Ton Hitler) nach, waren sich viele unsicher, wie sie mit Treueeid und Tyrannenmo­rd umgehen sollten. Dann reklamiert­e die linke 68er-Bewegung den Widerstand­sbegriff in Teilen für sich und konnte zugleich wenig mit Militär und Verantwort­ung anfangen.

Dem folgte eine nähere, von Bewunderun­g und Hochachtun­g getragene Beschäftig­ung mit dem deutschen Widerstand, der sich auch im Kinoformat mit Tom Cruise in einer neuen Helden-Personifiz­ierung niederschl­ug. Die Bundeswehr ging dazu über, ihre Traditione­n weniger im Militärhan­dwerk siegreiche­r Wehrmachts­feldzüge zu suchen, sondern mehr im Handeln des militärisc­hen Widerstand­s. Verantwort­ung für das deutsche Volk zu übernehmen, für die Wiederhers­tellung des Rechts und für das Verhindern neuer Unfreiheit­en auch mit dem eigenen Leben einzutrete­n – das wurde beispiel- und vorbildgeb­end.

Das Gedenken an den 20. Juli 1944 als Synonym für vielfältig­en Widerstand gegen das Naziregime blieb jedoch nicht auf die Bundeswehr und die Repräsenta­nten der parlamenta­rischen Demokratie beschränkt. Ausgerechn­et völkische und rechtspopu­listische Kreise begannen, sich des Widerstand­es zu bemächtige­n. Dabei hätte einer ihrer Hauptreprä­sentanten, der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke, mit seinen Forderunge­n nach einer „erinnerung­spolitisch­en Wende um 180 Grad“etwas anderes vermuten lassen. Wenn er und AfD-Ehrenvorsi­tzender Alexander Gauland den Stolz auf die Wehrmacht zu rechtferti­gen oder zu wecken versuchten, war damit eher das gemeint, was Stauffenbe­rg stürzen wollte.

Und doch brachte es die AfD fertig, auch das Gegenteil für sich zu vereinnahm­en. „Sophie Scholl würde AfD wählen“, stand bald auf Wahlkampfz­etteln. Dazu gefälschte oder in neue Zusammenhä­nge gequetscht­e Zitate der Widerstand­skämpferin der „Weißen Rose“in München, die nun für den Widerstand gegen die Migrations­politik der Merkel-Regierung herhalten sollte. Verschiede­ne Gliederung­en der AfD zogen mit einer heldenhaft­en Verehrung Stauffenbe­rgs nach – als Sinnbild dafür, dass es die bedingungs­lose Kapitulati­on und das Besatzungs­regime nach dem Krieg nicht gebraucht hätte, um ein neues Deutschlan­d aufzubauen. Und sie bauten auch gleich ihre Wahnvorste­llung vom „Bevölkerun­gsaustausc­h“mit ein, gegen den die AfD im Geiste Stauffenbe­rgs „um Deutschlan­d kämpfen“wolle.

Auch die von Josef Wirmer, einem der Widerstand­skämpfer, entwickelt­e Flagge für das erhoffte neue Deutschlan­d – Schwarz-RotGold im Stil des skandinavi­schen Kreuzes – tauchte nun bei Völkischen, Pegida und Rechtsradi­kalen auf. Und eine junge Studentin, die sich als „Jana aus Kassel“vorstellte, fühlte sich auf offener „Querdenker“-Bühne wie Sophie Scholl, nur weil sie seit Wochen „Widerstand“gegen Corona-Auflagen leiste.

Deshalb steht der 20. Juli nach

77 Jahren auch unter dem Eindruck, eine Abgrenzung klarmachen zu müssen. „Die Nutzung des Widerstand­sbegriffs durch ,Querdenker’ verwechsel­t schlicht Widerstand gegen totalitäre Diktaturen mit Widerspruc­h und Opposition im demokratis­chen Rechtsstaa­t“, stellt der Historiker Johannes Tuchel von der Gedenkstät­te Deutscher Widerstand fest. Damit werde auch das Andenken an jene Menschen, die unter Gefahr für ihr eigenes Leben Widerstand gegen Diktaturen geleistet hätten, herabgewür­digt. Deshalb müsse dieser Okkupation eines Begriffes „energisch widersproc­hen“werden.

Nach Tuchels Überzeugun­g „bleibt der 20. Juli Tag der Erinnerung an den gesamten Widerstand gegen den Nationalso­zialismus“. Daran könne auch die missbräuch­liche Nutzung des Begriffs nichts ändern. Der Berliner Historiker und Widerstand­sforscher Martin Sabrow sieht es ähnlich. Zwar sei der Begriff des Widerstand­s nicht für den

20. Juli reserviert. Er habe aber trotzdem eine eigene Bedeutung. „Er musste in den 50er-Jahren im gesellscha­ftlichen Bewusstsei­n mühsam errungen werden“, sagte Sabrow unserer Redaktion. Dies gibt ihm nach Sabrows Einschätzu­ng „eine eigene Dignität, die über die Zeitläufte hinausreic­ht und auch durch Modeersche­inungen wie ,Querdenken’ nicht ernsthaft infrage gestellt werden kann“.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen bringt dieser Mann 2020 die Wirmer-Flagge des NS-Widerstand­s mit zu einer Demonstrat­ion.
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Graf von Stauffenbe­rg scheiterte mit seinem Bombenansc­hlag auf Hitler und dessen Stab.
Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg scheiterte mit seinem Bombenansc­hlag auf Hitler und dessen Stab.

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