Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Nur 43 Prozent der Häuser sind versichert

Das Hochwasser richtet Milliarden­schäden an. Weil viele Gebäude nicht gegen Starkregen abgesicher­t sind, fordern Verbrauche­rschützer bezahlbare Angebote – oder eine Pflicht zu einem Schutz. Die Zahl der Opfer in NRW steigt weiter.

- VON ANTJE HÖNING

Die Zahl der Opfer durch das Hochwasser steigt. „Wir haben ein Todesopfer mehr“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter Herbert Reul am Montag. Insgesamt seien damit 47 Menschen in NRW in den Fluten umgekommen. In Rheinland-Pfalz starben mindestens 117 Menschen. Auch die wirtschaft­lichen Schäden sind gewaltig. Die Hochwasser dürften die Rückversic­herer bis zu 2,5 Milliarden Euro kosten, erwartet die Berenberg-Bank. „2021 könnte sich zu einem der schadenträ­chtigsten Jahre seit 2013 entwickeln, damals lag der versichert­e Schaden bei 9,3 Milliarden Euro“, sagte Jörg Asmussen, Hauptgesch­äftsführer des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft.

Hinzu kommen viele Schäden, die keine Versicheru­ng übernimmt. Denn viele Hauseigent­ümer haben sich zwar gegen Feuer und Blitz, aber nicht gegen gegen Starkregen und Überschwem­mungen versichert. „Nur 43 Prozent des Gebäudebes­tands in Deutschlan­d sind gegen solche Risiken versichert“, sagte Peter Kenning, Ökonomie-Professor an der Universitä­t Düsseldorf: „Faktisch ist also mehr als die Hälfte der Menschen offenkundi­g nicht ausreichen­d vor finanziell­en Risiken durch Naturereig­nisse geschützt.“

Auch Asmussen ist besorgt: „Selbst in der höchsten Risikozone ist in Deutschlan­d nur jedes vierte Haus gegen Hochwasser versichert.“Dabei stelle der Verlust des Eigenheims für viele das existenzbe­drohende Risiko schlechthi­n dar, und „nahezu alle Hausbesitz­er“könnten sich gegen Naturgefah­ren versichern. Für besonders gefährdete Lagen ist das im Einzelfall aber schon jetzt nicht möglich. Sollte es nicht gelingen, den Klimawande­l zu stoppen, könnten es mehr Fälle werden. „Wenn es nicht gelingt, die Erderwärmu­ng unter dem ZweiGrad-Ziel des Pariser Klimagipfe­ls zu halten, dann werden wir etwa die Versicheru­ng von Naturgefah­ren nicht in der bestehende­n Form fortführen können“, warnte Asmussen: „Wir müssen verhindern, dass die Erderwärmu­ng sich ungebremst fortsetzt und die Häufung von extremen Wettererei­gnissen zum Normalfall wird.“

Für womöglich unversiche­rte Opfer des Hochwasser­s kündigte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) finanziell­e Hilfen an: Es sei klar, dass es Unterstütz­ung geben werde. Mit Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) besuchte er die Helfer an der Steinbacht­alsperre bei Euskirchen. Beide zeigten sich erleichter­t, dass ein Dammbruch nicht mehr zu befürchten sei. Laut Laschet hätte dies Konsequenz­en für Zehntausen­de gehabt, die unterhalb des Damms leben.

„Das Ausmaß der Hochwasser­katastroph­e führt erneut vor Augen, wie sehr die Schäden durch den Klimawande­l für Verbrauche­r zunehmen“, sagte Klaus Müller, Chef des Bundesverb­ands der Verbrauche­rzentralen, unserer Redaktion. Als Schutz empfiehlt er eine Elementars­chadenvers­icherung. Zugleich forderte er: „Es muss unverzügli­ch das Prinzip der Allgefahre­ndeckung – wie in Großbritan­nien – im Gesetz verankert werden. Damit hätten Verbrauche­r das Recht, dass ihre Häuser zunächst gegen alle Risiken abgesicher­t wären. Sie können aber auch einzelne Risiken abwählen.“Müller betonte: „Die Versicheru­ngsbranche steht somit in der Pflicht, allen Verbrauche­rn einen bezahlbare­n Schutz anzubieten. Wenn dieser Weg innerhalb von zwei Jahren nicht zu einem breiten Abdeckungs­angebot führt, wird eine Pflichtver­sicherung notwendig.“

Dafür spricht sich auch Kenning aus. Hierbei sollten die Versichere­r privat bleiben und konkurrier­en: „So könnte man die Prämien auf einem finanzierb­aren Niveau halten und gleichzeit­ig die Menschen vor den finanziell­en Risiken schützen.“Versicheru­ngsverband­s-Chef Asmussen hingegen hält nichts davon: „Eine Pflichtver­sicherung ist nicht unbedingt eine nachhaltig­e Antwort auf die vor uns liegenden Herausford­erungen. Wenn jeder Schaden in jedem Fall ersetzt wird, bleiben staatliche­r und individuel­ler Naturgefah­renschutz auf der Strecke. Die Folge wären noch mehr Schäden.“

NRW-Innenminis­ter Reul kündigte im Zusammenha­ng mit der Hochwasser­katastroph­e Aufklärung an: „Es wäre das erste Mal, dass Menschen überhaupt keinen Fehler gemacht haben. Das wird alles analysiert, schonungsl­os und offen.“Es gibt Kritik am Warnsystem.

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