Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Die Welt staunt über Deutschland
Die Bundesrepublik galt über Jahrzehnte als Krisenbewältiger und Helfer in der Not. Nun ist sie selbst überfordert. Das lenkt den Blick auf die große Herausforderung, die der Klimawandel vielen Staaten stellen wird.
Die Welt schaut auf Deutschland. Aber diesmal anders. Es ist ein Blick des ungläubigen Staunens über ein Land, das natürlich nicht von Umweltkatastrophen verschont wurde, das bislang aber vergleichsweise gut Krisen zu bewältigen verstand. Mit den katastrophalen Überschwemmungen in NRW, Rheinland-Pfalz und im Berchtesgadener Land ist diese Vorstellung von den Krisenbewältigern getrübt.
Darauf deuten die Schlagzeilen ausländischer Medien hin. Die „New York Times“schreibt von der verstörenden Lage in den Hochwassergebieten sowie über die erstaunlich hohe Zahl von Vermissten. „El País“aus Spanien gibt zu bedenken, „dass selbst entwickelte Gesellschaften mit hervorragender Infrastruktur und gutem Katastrophenschutz von den verheerenden Auswirkungen solcher Extremwetter nicht verschont bleiben“. Und: „Die Auswirkungen haben das Herz des am weitesten entwickelten Teils Europas getroffen, mit einer tragischen Bilanz.“
Die Liste ließe sich mühelos verlängern. Wobei stets die vielen Opfer im Vordergrund stehen, selbstverständlich. Doch zunehmend größer wird auch die Irritation darüber, dass es ein Land wie Deutschland trifft – und noch dazu unvorbereitet. Überschwemmungen machen Angst, das Unkalkulierbare aber hat das Potenzial zur Panik. Und so steht hinter dem Staunen über die Probleme hierzulande auch der besorgniserregende Rückschluss: Wenn es Deutschland schon mit dieser Härte trifft, wie wird es dann im eigenen Land bei vergleichbaren Notständen zugehen?
Deutschland wird so zu einem Maßstab erhoben. An ihm soll sich ablesen lassen, wie gut oder schlimm etwas ist, wie machbar oder unlösbar etwas sein kann. Die Reaktionen zeichnen eine Vorstellung von unserem Land, die auch von Klischees genährt wird (und manchmal von uralten). Dazu gehört das Bild von einem Land, das manchmal zu genau und zu akribisch agiert, zu bürokratisch und korrekt; aber doch immer kompetent. Wer schon einmal in einem Krisengebiet mit allen Unwägbarkeiten unterwegs war, wird einen Stützpunkt des Technischen Hilfswerks mit seinen geputzten und sorgsam ausgerichteten Lkw als das Vertrauenswürdigste schlechthin erlebt haben.
Verlässliche, versierte Unterstützung aus Deutschland ist seit Jahrzehnten an vielen Orten der Welt gefragt. Nach dem verheerenden Tsunami 2004 im Indischen Ozean waren es deutsche Forscher, die ein Hightech-Frühwarnsystem mit 300 Messstationen entwickelten, die an den gefährdeten Küsten ihre Daten in Echtzeit an die Warnzentralen übermitteln. Auch wenn sich Katastrophen kaum miteinander vergleichen lassen, so bleibt doch der bittere Beigeschmack zurück, dass frühe Warnungen für gigantische Meeresfluten möglich sind, für Starkregenfälle vor der eigenen Haustür aber nicht.
Das Bild „der anderen“von Deutschland ist zu einem Selbstbild geworden. Es tut gut, einer Nation anzugehören, deren Hilfe und Unterstützung geschätzt wird. Mit dieser Rolle schien ein weiterer Schritt in Richtung Normalität möglich und Deutschland eine Nation unter vielen zu werden. Dazu gehören auch zwei unterschiedliche, aber sehr populäre Ereignisse: Das war zum einen die Wahl von Papst Benedikt XVI. 2005, zum andern die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Der Philosoph Peter Sloterdijk kommentierte dies so: „Eine deutsche Herkunft muss kein Grund mehr für Vertrauensentzug sein.“So konnte ein Deutscher zur höchsten moralischen Instanz aufsteigen, während ein Jahr später die Deutschen in ihrem Sommermärchen zeigten, wie unbeschwert sich tausendfach wieder Nationalflaggen schwenken ließen.
Die Reaktionen auf die jüngsten Überschwemmungen spiegeln ein Staunen darüber, dass ein bestimmtes Bild von Deutschland offenbar nicht mehr der Wirklichkeit entspricht und den gegenwärtigen Herausforderungen angemessen ist. So ist im Londoner „Independent“zu lesen, dass es Warnungen seit den 80er-Jahren gab, „als Wissenschaftler erstmals begannen, die Folgen der früheren Industrialisierung zu verstehen. Westeuropa war der Schmelztiegel der Industriellen Revolution und trägt insofern eine Mitverantwortung für die anschließende Umweltverschmutzung und -zerstörung. Der Westen ist in einer schlechten Position, um die Entwicklungsländer über die Schattenseiten des Wirtschaftswachstums zu belehren, aber diese Wetterereignisse verleihen den westlichen Aufrufen zum Handeln eine gewisse Demut.“
Das Staunen galt Deutschland, die Kritik aber gilt den Industrieländern als Verursachern der Klimaerwärmung. Die Flut hat den Fragen nach Klimaschutz eine neue Dringlichkeit gegeben. Schon ist von „der neuen deutschen Angst“die Rede, und wer am Ende davon profitieren könnte. Für die italienische Zeitung „Corriere della Sera“steht fest, dass „die Wahl in Deutschland im kommenden September die erste in Europa sein wird, die mit dem Thema der Klimaerwärmung gewonnen oder verloren wird“. Auch das dokumentieren die Zeitungen von London bis New York und Singapur: das Lachen von Ministerpräsident Armin Laschet, während Bundespräsident Steinmeier an die Opfer der Katastrophe erinnert. Auf Twitter heißt es unter dem neuen Hashtag #Laschetlacht in Abwandlung des berühmten Kennedy-Zitats: „Frage nicht, was du für dein Land tun könntest. Frage, worüber Armin Laschet lacht.“