Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Der irrlichternde Aiwanger
Bayerns Vize-Ministerpräsident eckt bei Söder mit seiner Haltung zum Impfen an.
Die Entschuldigung steht aus. Markus Söder hat sie von Hubert Aiwanger gefordert, nachdem dieser in der Debatte um künftige Vorteile für Geimpfte von einer „Apartheidsdiskussion“gesprochen hatte. Bayerns Ministerpräsident bezeichnet den Vergleich seines Stellvertreters, des Chefs der Freien Wähler (FW), als „verstörend“und „unangemessen“. Es ist nicht die erste Entgleisung und nicht der letzte Missgriff, den sich der Niederbayer in der Corona-Zeit geleistet hat.
Für die CSU-FW-Koalition wird das mehr und mehr zur Belastung. Das Verhältnis der Bündnispartner, die seit dem Herbst 2018 als „Schwarz-Orange“regieren, ist massiv eingetrübt. Denn Söder und seine CSU gelangen zum Eindruck, dass Aiwanger eher gegen sie als mit ihnen arbeitet. Dieser Eindruck erhärtet sich mit Blick auf die nahende Bundestagswahl – die FW kandidieren bundesweit und suchen nach konservativen Wählern irgendwo im Dreieck von CDU/CSU, AfD und FDP.
Die überragende Aufgabe der Politik besteht derzeit darin, aus der Corona-Krise herauszukommen. Und der einzige Weg dahin – da sind sich Bund und Freistaat einig, allen voran Söder – ist die schnelle Impfung.
So stellt es in der bayerischen Staatsregierung schon seit Wochen ein Ärgernis dar, dass Aiwanger als Chef des Wirtschaftsressorts der einzige Minister ist, der sich nicht impfen lässt.
Er begründet das damit, dass er noch nicht sicher sei, ob eine Impfung für ihn mehr positive als negative Folgen habe. Und dass dies schließlich eine persönliche Entscheidung sei und er sich nicht bevormunden lasse. Weiter sorgt seine bisher unklare Rolle in einer möglichen Affäre für Aufmerksamkeit: Ein FW-Kommunalpolitiker soll Schutzmasken mit gefälschtem Sicherheitszertifikat vertrieben haben.
Wer ist dieser Hubert Aiwanger, der die Freien Wähler aufgebaut hat und als Multi-Amtsinhaber deren zentrale Figur darstellt? Im Januar ist der Landwirtssohn aus Rahstorf in der Nähe von Landshut 50 Jahre alt geworden. Aiwanger spricht die Sprache seiner Heimat, trägt gerne Janker und steht dem örtlichen Jagdverband vor. Als junger Mann mit ländlich-konservativer Prägung störte er sich an der damaligen Allmachtstellung und den Spezeleien in der CSU. „Die waren mir nicht integer genug“, sagte er einmal im Gespräch. Mit den Freien Wählern wurde er rapide erfolgreich und zog 2008 in den bayerischen Landtag ein. Viele Christsoziale sagen, dass damit das Ende der Ära der absoluten CSU-Mehrheiten besiegelt war.
Pragmatisch, zielorientiert, frei von Ideologie – dieses Image pflegt Aiwanger. Er kann poltern. Vor allem aber ist er strukturkonservativ. Mit den Klima-Offensiven von Söder etwa kann Aiwanger nicht viel anfangen, ebenso mit Debatten über Gleichberechtigung.
Mit der Corona-Pandemie und der bevorstehenden Wahl aber versucht Aiwanger, auch dort anzudocken, wo es sehr trüb wird – bei den „Zweiflern“, den „Skeptikern“. Das macht er kalkuliert. Söder hingegen warnt immer wieder vor seinem Münchner Partner: Stimmen für die Freien Wähler im Bund seien verschenkt – sie könnten dazu führen, dass am Ende die Grünen stärkste Kraft würden.