Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Kalenderblatt
20.07.1873
Adele Spitzeders Schneeballsystem
Der Betrug der Adele Spitzeder hatte klein angefangen: Der Schauspielerin fehlte das Geld, um ihren Lebensstil zu finanzieren. Früher hatte sie sich mit wechselnden Engagements über Wasser gehalten. Doch mit
37 Jahren blieben die Jobangebote aus. Ihr Leben im Hotel und mit einer privaten Angestellten finanzierte sie über Kredite – um mehrere Tausend Gulden soll sie verschuldet gewesen sein, damals ein Vermögen. Da hatte die Münchnerin eine Idee: Sie versprach einer Bekannten, deren Erspartes sinnvoll anzulegen. Bis zu zehn Prozent Zinsen im Monat wollte sie garantieren können. Die Frau gab Spitzeder 100 Gulden – und erhielt gleich 20 zurück, die ersten beiden Monatszinsen. Den Rest, 110 Gulden, sollte es dann in drei Monaten geben. Die „Spitzedersche Privatbank“war geboren. Die günstigen Konditionen sprachen sich schnell herum. Zuerst aus München, später aus ganz Bayern reisten die Menschen an, um ihre Ersparnisse zu der mittlerweile berühmten Privatbank zu bringen. Spitzeder beschäftigte bald 40 Angestellte. Drei Jahre lang konnte sie wirken, dann brachten ihre eigenen Kunden sie zu Fall: Mehrere von ihnen wollten gleichzeitig ihr Geld zurück. Natürlich brach das Schneeballsystem – das erste bekannte in Deutschland – sofort zusammen. Spitzeder war bankrott und musste vor Gericht. Am
20. Juli 1873 wurde sie zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, die sie im Gefängnis abbüßen durfte. Danach schrieb sie ihre Memoiren, begann eine weitere Karriere als Sängerin und fand stets genug Freunde, die sich um sie kümmerten. So führte die Betrügerin auch in späteren Jahren ein meist sorgenfreies Leben.