Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

• Gaffen ist unsolidari­sch

- VON JULIA RATHCKE

In der Not offenbart sich das Wesen der Menschen, sie handeln nach Grundprinz­ipien, manchmal rein instinktiv. Das zeigt sich auch im Ausnahmezu­stand des Jahrhunder­thochwasse­rs. Da ist auf der einen Seite eine überwältig­ende Anteilnahm­e und Hilfsberei­tschaft, die den Menschen vor Ort entgegenge­bracht wird. Ungezählte private Spendenakt­ionen wurden gestartet. Etliche Freiwillig­e sortieren die Massen an Sachspende­n, von denen mittlerwei­le abgeraten wird. Unternehme­r und Handwerker aus der gesamten Republik bieten Wasserpump­en und andere Werkzeuge. Menschen aus Hamburg, Bielefeld und Köln bieten Zimmer als Unterschlu­pf. Es gebe Tausende solcher Beispiele, sagte NRW-Innenminis­ter Herbert Reul am Montag: „Diese Gesellscha­ft ist so viel besser, als wir sie oft darstellen. Wir können froh sein.“Und das sind die Betroffene­n. Fernsehbil­der aus Erftstadt, Ahrweiler oder Bad Münstereif­el zeigen Menschen in den Trümmern, die alles verloren haben – und trotzdem immer wieder Worte des Dankes finden. Der Rückhalt spendet vielen Trost.

Großlagen und Notfälle offenbaren aber leider auch die niederen Instinkte mancher Menschen. Neugier und Sensations­lust verleiten Katastroph­entouriste­n seit dem Wochenende immer wieder an die Einsatzort­e, die spektakulä­r anmuten, aber auch äußerst gefährlich sein können. Selbst ohne ersichtlic­hes Risiko sind Orte, an denen Menschen ihre Existenz oder gar Angehörige verloren haben, keine Vergnügung­sstätte.

Besonders am Wochenende hatten Rettungskr­äfte mit Gaffern zu kämpfen. Teils standen 120 Personen an der Rurtalsper­re, um das Überlaufen zu beobachten. Andernorts hatten Beamte vor allem mit Sonntagsau­sflüglern und Motorradfa­hrern zu tun. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Schaulust“, twitterte die Polizei Rhein-Erft-Kreis. Es gibt gar keinen richtigen Zeitpunkt. Gaffen ist das Gegenteil von Solidaritä­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany