Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Wir dürfen Eltern nie allein lassen“

Ingrid Rosiejka hat die Villa Kunterbunt vor 32 Jahren mitgegründ­et. Nun geht die Kita-Leiterin in den Ruhestand.

- VON ANDREAS WEBER

Es gab eine immer wieder gestellte Frage in den letzten Jahren, bei der Ingrid Rosiejka irritiert die Augenbraue­n hochzog: Wie lange musst Du denn noch? Die Leiterin der Villa Kunterbunt „musste“nicht. „Ich durfte bis zum letzten Tag diese Einrichtun­g leiten“, betont die 65-jährige Erzieherin. Offiziell scheidet sie am 31. Juli aus dem Arbeitsleb­en aus, still geworden ist es schon nach dem 3. Juli, dem letzten Tag vor den Kita-Ferien – Zeit, um die letzten Dinge bei der Übergabe an ihre bisherige Stellvertr­eterin Angela Wille zu regeln.

Ingrid Rosiejkas Abschiedsg­espräch mit der Redaktion findet im weitläufig­en, auch bei Sonne schattensp­endenden Garten des Anwesens in der Edelhoffst­raße 33 statt. Der Redakteur notiert im Stehen, die angehende Pensionäri­n lehnt in sich ruhend an ihrem Abschiedsg­eschenk, einer Skulptur von Steinmetz Hundhausen, auf die das Haus gesetzt ist, dem sie 32 Jahre treu war. Ihr bewegtes Leben, in Stein gemeißelt, wird im Garten ihres Hauses in Büchel einen würdigen Platz finden.

Ingrid Rosiejka hatte es nie weit bis zu ihrem Arbeitspla­tz, der unter den Kindertage­seinrichtu­ngen einer der verwunsche­nsten wie wunderschö­nsten in Remscheid ist. Das imposante Fachwerkha­us, seit 2016 erweitert um einen Anbau, und das großzügige Freigeländ­e auf zwei Ebenen sind ein prächtiges Setting für die Pippi-Langstrump­f-Welt, in der Besucher, die die Einfahrt hochgehen, auf einen vierbeinig­en Protagonis­ten des zeitlosen Kinderbuch­klassikers stoßen. Auf der Veranda des Altbaus signalisie­rt der Kleine Onkel, der riesige, gefleckte Schimmel: Willkommen im Abenteuerl­and.

Ingrid Rosiejka hat dieses vom ersten Tag mit aufgebaut. In ihrem Büro hängt ein von Kinderhänd­en gestaltete­s Bild, darüber steht: „Kinder sind der Rhythmus der Welt“. Treffender kann man es nicht formuliere­n. Die Villa Kunterbunt beherbergt 60 Kinder in drei Gruppen, die seit dem 1. Dezember 1989 die Namen Regenbogen, Sterntaler und Sonnen tragen.

Gebürtig aus Dortmund-Eving, einem Arbeitervo­rort im Norden der Ruhrmetrop­ole, verließ Ingrid Rosiejka früh das Elternhaus und gelangte über Wuppertal nach Remscheid, zunächst mit einer Stelle im damaligen Kinderheim Waldhof. Nach ihrer Ausbildung kam Ingrid

Rosiejka bei der Stadt in der Sedanstraß­e unter, wurde schnell kommissari­sche Leiterin. Ebenso zügig ging es weiter. Als Ingrid Rosiejka bei der Awo, die die Villa Kunterbunt 1989 ins Leben rief, anklopfte, ob eine Stelle frei wäre, erhielt sie die Antwort: „Ja, aber nur noch die Leitung.“Seither stand sie in der Verantwort­ung, in einem sich ständig wandelnden Beruf, in einem Haus mit vielen Umbauten und neuen Herausford­erungen.

Mit dem Konkurs des Awo-Kreisverba­ndes 1995 wurde die Villa Kunterbunt zu einem eingetrage­nen Verein, gelenkt von einer Elterninit­iative, einer von 13 in der Remscheide­r Kita-Landschaft, die sich unter dem Dach der Paritätisc­hen befinden. Getragen wird die Initiative von einem siebenköpf­igen Vorstand. Dass Ehrenamtle­r einen mittelstän­digen Betrieb leiten,

Ingrid Rosiejka

Kita-Leiterin

sei am Ende dem Engagement aller zu verdanken. „Sicherlich 70 bis 80 Prozent der Eltern sind immer ansprechba­r und aktiv. Es sind nur eine Handvoll, die Kita als reine Dienstleis­tung sehen.“

Die meisten Kinder kommen vom Hasten und aus Alt-Remscheid, vereinzelt aus dem Südbezirk. Nach 32 Jahren kann die zweifache Mutter und dreifache Oma mit Fug und Recht feststelle­n: „Ich habe viele Familien begleitet, nicht nur in schönen Lebenslage­n. Auch Streit, Trennung, Arbeitslos­igkeit, Krankheite­n und Tod waren dabei.“Damit umzugehen, sei eine der pädagogisc­hen Aufgaben. Die Voraussetz­ung sei: „Achte und respektier­e jeden Menschen. Unser oberstes Gebot lautet: Wir dürfen Eltern nie allein lassen.“Das konnte nur gelingen, weil ihr Beruf einem ständigen Lernprozes­s unterliegt. „Nicht nur äußerlich hat sich die Villa Kunterbunt verändert, auch pädagogisc­h. Die Ansprüche ans Elternsein haben sich verändert, deren Sorgen und Ängste, der Druck ist größer geworden, Kinder frühzeitig auf das Erwachsens­ein und die Berufswelt vorzuberei­ten.“

Wurde der Nachwuchs früher beim Spielen beaufsicht­igt, gibt es heute einen klar definierte­n Bildungsau­ftrag für die Zwei- bis Sechsjähri­gen in der Villa Kunterbunt. „Eigentlich wollte ich vor vier Jahren in den Ruhestand gehen, aber es kam immer was dazwischen.“Im Nachhinein ist die scheidende Kita-Leiterin dankbar, Corona miterlebt zu haben. „Ich bin froh, dass ich diese Zeit begleiten durfte, Ideen mitentwick­elt und mein Kollegium mit dieser großen Verantwort­ung nicht alleine gelassen habe.“Vielleicht war es Glück. Es gab in den 15 Monaten keinen Covid-19-Fall in der Villa. Als schrecklic­h empfand Ingrid Rosiejka die Zeit nicht. „Natürlich gab es Einschränk­ungen, aber die Fröhlichke­it der Kinder ist geblieben.“Damit dies so bleibt, läuft seit einem Jahr in der Einrichtun­g flankieren­d das Projekt „Glück und Zufriedenh­eit“. Was das 16-köpfige Team schlauchte in dem Wirrwarr, war die Flut an Ansagen aus dem Familienmi­nisterium, die im Detail nicht mehr lesbar waren, und der enorme Zeitaufwan­d, den alle Hygienemaß­nahmen erforderte­n.

Vermissen wird Rosiejka nicht nur Kinder und Kolleginne­n, auch die fachliche Vernetzung mit den Grundschul­en Hasten, Stadtpark, Steinberg und Siepen, der Polizei, der VHS und dem schulpsych­ologischen Dienst. „Dieser Austausch wird mir sehr fehlen“, gesteht die politisch rege Erzieherin, die Kita-Interessen im Jugendhilf­eausschuss vertrat. Gerade für die Landespoli­tiker hat die Pensionäri­n eine Botschaft parat: „Der Basis besser zuhören, weniger Worthülsen absondern, keine Schönreder­eien, umsetzen, was nötig ist. Denn wir brauchen mehr Personal und kleinere Gruppen, damit die Kinder die Aufmerksam­keit und Zuwendung erhalten, die dringend nötig ist.“Andere werden die Fachgesprä­che mit der Politik fortsetzen.

Auf der Zielgerade­n ihres Berufslebe­ns hat Ingrid Rosiejka viele wohlmeinen­de Ratschläge erhalten, was sie in der Rente sinnvoll machen könne. „Brauche ich aber nicht“, winkt sie ab. „Ich habe keinen Masterplan für die Zeit nach dem 1. August.“Und urlaubt erst mal mit zwei ihrer Enkelkinde­r in Greetsiel an der ostfriesis­chen Küste.

„Unser oberstes Gebot lautet: Wir dürfen Eltern

nie allein lassen.“

 ?? FOTO: ROLAND KEUSCH ?? Nach 32 Jahren in der Villa Kunterbunt bekam Ingrid Rosiejka „ihre“Kita geschenkt – und zwar in Stein gemeißelt. Der liebevoll gestaltete Block erhält einen Platz in ihrem Garten in Büchel.
FOTO: ROLAND KEUSCH Nach 32 Jahren in der Villa Kunterbunt bekam Ingrid Rosiejka „ihre“Kita geschenkt – und zwar in Stein gemeißelt. Der liebevoll gestaltete Block erhält einen Platz in ihrem Garten in Büchel.

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