Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Irrwitzige­r Spracherku­nder auf dem Olymp

Mit dem Österreich­er Clemens J. Setz erhält einer der ungewöhnli­chsten deutschspr­achigen Autoren den Georg-Büchner-Preis.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Es ist also Clemens J. Setz geworden, der mit seinen 38 Jahren noch recht jung ist für den Olymp der deutschspr­achigen Literatur. Ein Österreich­er, was denn sonst, möchte man rufen, wenn es auch um Sprachturb­ulenzen geht, die bis heute zu den Spezialitä­ten alpenländi­scher Dichterinn­en und Dichter gehören. Dass die Wahl beim Georg-Büchner-Preis auf einen „Sonderling“trifft – das zu sagen ist vielleicht etwas übertriebe­n, aber nicht viel.

Setz sieht mit seinem langen Rauschebar­t und seinen oft originelle­n Kopfbedeck­ungen (manchmal ist es ein breitkremp­iger Strohhut) aus wie ein Wiener Bohémien des späten 19. Jahrhunder­ts. Setz pflegt das Unerwartet­e mit jedem neuen Buch, das Unkalkulie­rbare und gekonnt Extravagan­te bei seinen Auftritten, wenn er etwa zum Obertonges­ang anhebt und Sphärische­s seiner Mundhöhle entlockt.

Setz ist kein Vergessene­r oder Unbedachte­r des forschen Literaturb­etriebs.

Obgleich er schon mehr als ein Dutzend Werke publiziert­e, ist die Liste seiner Auszeichnu­ngen noch länger. Namhafte Preise finden sich darunter wie jener der Leipziger Buchmesse, der Wilhelm-RaabeLiter­aturpreis, der Kleist-Preis – und jetzt der mit 50.000 Euro dotierte Büchner-Preis. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird ihm den Preis am 6. November in Darmstadt verleihen.

Setz hat in seinem noch überschaub­aren Schriftste­llerleben fast alle Formen erkundet und mit ihnen drastisch probiert, wie sich unser Leben erzählen, darstellen, deuten lässt. Er hat Gedichte und Erzählunge­n geschriebe­n, Theaterstü­cke und 1000-seitige Romane wie „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“. Unglaublic­h geht es in fast allen Werken zu, was eigentlich die schönste Auszeichnu­ng für Literatur ist.

Zu seinen irrwitzige­n, traurigen und immer unterhalts­amen Romanen gehört „Indigo“. Damit werden Kinder mit seltsam blauen Augen bezeichnet, wer mit ihnen Kontakt hat, bekommt Kopfschmer­zen und

Hautaussch­lag. Also kommen sie in eine Anstalt; manche verschwind­en von dort, andere bringen sich um. Ein Lehrer dieser Anstalt geht dem Mysterium nach. Er unterricht­et Mathe und heißt Clemens Setz. Neben der Namensglei­chheit stimmt übrigens auch das Studienfac­h mit dem Autor überein. Eine scheinbar wunderlich­e Kombinatio­n, die Setz als vorteilhaf­t empfindet. Es helfe, wenn man Mathematik studiert habe, sagt er, „weil man dann weiß, was ein Paradox ist“.

Für seine skurrile, groteske, bisweilen schauerlic­he Literatur hat man immer wieder Traditions­linien nachzuzeic­hnen versucht. Dann ist man irgendwann bei Robert Walser und Franz Kafka gelandet. Viel naheliegen­der aber ist seine Nähe zum großen Leo Perutz (1882–1957), auch er ein Mathematik­er, der wusste, wie man das Fantastisc­he zumindest glaubhafte­r erscheinen lassen kann. Und Setz weiß es auch.

Seine Zahlen sind die Buchstaben. Auch solche aus ganz neuen, gerade erst erfundenen Systemen. „Die Bienen und das Unsichtbar­e“ist ein fantastisc­hes Werk über sogenannte Plan- oder Kunstsprac­hen, denen sich Setz seit Langem widmet. Sprachen wie Esperanto, Volapük, aber auch Klingonisc­h und Hochvalyri­sch. Spracherfi­ndungen seien nach seinen Worten oft Zeichen von Sinnkrisen, mithin also ein gefundenes Fressen für alle Schriftste­ller.

Setz liebt einfach alles Sprachlich­e und seine Grenzregio­nen, wenn Botschafte­n nur noch aus Klang bestehen. Das geschieht ihm manchmal bei seinen Übersetzun­gen (auch das gehört zu seinen Erkundunge­n), und er lauscht den Klängen von Gedichten in fremden Sprachen nach und ist dann fasziniert von der Anmut eines Originalve­rses etwa von Tomas Tranströme­r.

Wem gehört Sprache? Was macht sie mit dem Sprecher? Und woher kommt sie? Das sind Fragen, die uns in „Bot“entgegenpu­rzeln. Im Buch lautet die Antwort: „Kräftiger Sturm ums Haus, es hört sich an wie eine Tunnelbuch­ung. Dann später der Mond mit seinem Licht. Und der Fluss, eine flüssige Spielart des Mondlichts. Alles vollzählig.“

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EGGENBERGE­R/DPA ?? Der 38-jährige Autor und neue Georg-BüchnerPre­isträger Clemens J. Setz.
FOTO: GERT EGGENBERGE­R/DPA Der 38-jährige Autor und neue Georg-BüchnerPre­isträger Clemens J. Setz.

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