Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Schneller, als die Natur erlaubt

In Laboren auf der ganzen Welt verändern Forscher gezielt das Erbgut von Viren, um die Mechanisme­n der Infektions­wege zu ergründen. Solche Experiment­e sind nicht unumstritt­en, aber wichtig für die Forschung.

- VON REGINA HARTLEB

Aus welchem Winkel dieser Welt ist Sars-Cov-2 über die Menschheit gekommen? Bis heute gibt es keine eindeutige Antwort. Die von Experten mehrheitli­ch vertretene Variante ist eine Zoonose, der Artensprun­g des Virus vom Tier auf den Menschen. In dieser Theorie gelten Fledermäus­e als die ersten Wirte. Sie sind bekannt als Träger vieler Virenarten und als Wirte von Coronavire­n. Über einen oder mehrere Zwischenwi­rte könnte

Sars-Cov-2 auf sogenannte­n Wet-Märkten, wie sie im asiatische­n Raum verbreitet sind, auf den Menschen übergespru­ngen sein.

Eine andere These, die sich trotz aller Gegenargum­ente bis heute hält, ist, dass

Sars-Cov-2 das Ergebnis eines Laborunfal­ls sei und versehentl­ich aus einer Einrichtun­g im chinesisch­en Wuhan herausgela­ngte. Dort wurde das Virus erstmals entdeckt. Die Stadt ist zentraler Forschungs­standort für Virologen in China.

Nach eigenen Angaben auf seiner Website beheimatet das Wuhan Institut of Virology 1500 Erregerstä­mme – die größte Virusbank Asiens. China dementiert diese These. Und auch amerikanis­che Geheimdien­ste kommen in einer Pressemitt­eilung zu dem Schluss, dass der Mensch nicht seine Hand im Spiel hatte bei der Entstehung und Verbreitun­g von Sars-Cov-2. Der Abschlussb­ericht einer Delegation der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO, die Anfang des Jahres für mehrere Wochen in Wuhan vor Ort war, stufte die Möglichkei­t eines Laborunfal­ls ebenfalls als „extrem unwahrsche­inlich“ein. Allerdings hielten die Chinesen auch manche Tür zu möglicherw­eise relevanten Daten für die WHO-Vertreter verschloss­en.

Unstrittig ist: Es gibt auf der ganzen Welt Virologen, die in Sicherheit­slaboren gezielt die Eigenschaf­ten von Viren verändern. Gain-of-Function-Mutationen, kurz GOF, nennt die Wissenscha­ft dies. Bei einer Gain-of-Function-Mutation führt die Manipulati­on im Erbgut des Erregers in der Regel zur Verstärkun­g einer Genaktivit­ät oder zu einer ganz neuen Funktion des Gens. Häufig führen Forscher auf diese Weise gezielt Mutationen herbei, die den Erreger pathogener werden lassen.

Warum tun Wissenscha­ftler so etwas? Um effiziente Therapien, Impfstoffe oder Arzneien gegen Krankheite­n entwickeln zu können, muss man die Mechanisme­n der Ansteckung kennen. „Es geht immer um ein zielgerich­tetes Eingreifen in das Erbgut, hinter dem eine klare Fragestell­ung steht“, erklärt Linda Brunotte. Sie ist Biologin am Institut für Virologie in Münster. Im Zentrum für Molekularb­iologie der Entzündung beschäftig­t sie sich selbst mit GOF-Forschung. Wohin entwickelt sich ein Erreger? Was macht einen Keim aggressive­r? Was macht ihn besser übertragba­r? Darauf sucht die Wissenscha­ft Antworten.

Um sie zu finden, müsse man der Natur einen Schritt voraus sein, so Brunotte. „Es geht darum, Sequenzen zu finden, die später als Marker für ein hohes Pandemiepo­tenzial identifizi­ert werden können“, sagt sie. Grundsätzl­ich seien derartige Experiment­e nie wahllos, sondern immer zielgerich­tet: „Wir wissen, was wir erzeugen, aber kennen die Stärke nicht“, so die Biologin.

In der Vergangenh­eit lösten derartige Experiment­e mehrfach Diskussion­en aus: Im Mai 2012 veröffentl­ichte eine Gruppe von mehrheitli­ch japanische­n Wissenscha­ftlern an der Universitä­t von Wisconsin in der Zeitschrif­t „Nature“einen Artikel über die Übertragun­g der H5N1-Vogelgripp­e in der Luft. Die Gruppe hatte das Aminosäure­profil des Virus verändert und es ihm dadurch ermöglicht, sich in Säugetiere­n zu vermehren. Dies ermöglicht­e im Tierversuc­h mit Frettchen plötzlich die Übertragun­g des Virus durch Husten und Niesen. Normalerwe­ise werden Vogelgripp­eviren durch die Ausscheidu­ngen erkrankter Tiere übertragen.

Unabhängig davon hatte der Virologe Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam zur gleichen Zeit mit ähnlichen Versuchen für Aufregung gesorgt. Er veränderte ebenfalls hochpathog­ene Influenzav­iren vom Typ H5N1 derart, dass sie später in Tierversuc­hen mit Frettchen durch die Luft per Tröpfcheni­nfektion übertragen werden konnten. In der Wissenscha­ft gab es deshalb einen Aufschrei. Das von der US-Regierung geschaffen­e Gremium zur Abwehr bioterrori­stischer Anschläge forderte damals sogar die Herausgebe­r der Fachzeitsc­hrift dazu auf, auf die Veröffentl­ichung von Detailerge­bnissen zu verzichten – aus Sorge vor möglichen terroristi­schen Nachahmern.

Natürlich ist derartige Forschung umstritten. „Dual Use Research of Concern“– DURC – nennt die Wissenscha­ft diesen Bereich wegen seines gespaltete­n Potenzials: Ebenso wie die wichtigen wissenscha­ftlichen Ziele zugunsten Erkrankter könnten solche hochpathog­enen Keime in falschen Händen auch als Biowaffen missbrauch­t werden. Auch in Deutschlan­d beschäftig­en sich Experten mit der DURC-Thematik.

Die Gesellscha­ft für Virologie (GFV) hat eigens dazu eine Fachkommis­sion gegründet. Linda Brunotte ist dort Mitglied. „Wir als GFV plädieren ganz klar für die Freiheit einer verantwort­ungsvollen Forschung“, sagt die Biologin. Für die Diskussion­en und Unsicherhe­iten hat sie Verständni­s, betont aber: In Deutschlan­d sei DURC ein „hochreguli­erter Bereich“, der ausschließ­lich in speziellen Sicherheit­slaboren und von hochqualif­iziertem Personal bearbeitet werde. Und sie erklärt ausdrückli­ch: „Wir entwickeln reine Forschungs­werkzeuge, die niemals in die Natur gelangen werden.“Hoffentlic­h sehen dies Wissenscha­ftler im Rest der Welt genauso.

„Wir wissen, was wir erzeugen, aber kennen

die Stärke nicht“

Linda Brunotte Biologin am Institut für Virologie

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