Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Frag Nina, nicht Alexa
Der Katastrophenschutz benötigt auch ein flächendeckendes Sirenensystem.
Vor rund drei Jahren ging ich abends mit dem Hund spazieren. Ich wunderte mich, warum unser Dorf so verlassen wirkte. Auf meine Frage, ob etwas passiert sei, zuckte meine Familie mit den Schultern. Ich fand weder auf der Website der Gemeinde noch im Online-Portal der örtlichen Zeitung Informationen. Am Tag darauf erzählte mir eine Nachbarin, dass das Dorf vorübergehend evakuiert worden war. Im Zentrum hatte man bei Bauarbeiten eine Fliegerbombe gefunden. Gemeindemitarbeiter waren von Tür zu Tür gegangen, um die Dorfbewohner zu informieren. Zu dem Zeitpunkt waren meine Familie und ich jedoch noch nicht zu Hause gewesen.
Die Nachbarin empfahl mir die WarnApp Nina des Bundesamts für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe. Nina informiert die Bevölkerung über Starkregen und Sturmfronten bis hin zu leckenden Gasleitungen. Vor der Flutkatastrophe im Juli besaß Nina jedoch nur neun Millionen Nutzer. Die App war bis dato eher ein Geheimtipp als ein deutschlandweites digitales Warnsystem. Erst nach den dramatischen Hochwassern wurde Nina bekannt. Nina hat eine große Schwachstelle – sie kann nicht schreien. Für den akustischen Alarm werden Sirenen benötigt. Bis in die 80er-Jahre wurde das deutsche Sirenensystem akribisch gewartet, um vor Luftangriffen und einmarschierenden Russen zu warnen. Mit dem Ende des Kalten Krieges erfolgte jedoch vielerorts der Abbau von Sirenenanlagen. Im September des vergangenen Jahres
kam es erstmals nach der Wiedervereinigung zu einem bundesweiten Warntag, der von technischen Pannen überschattet war. So wurde die vorgesehene Testwarnung von Nina mit 30-minütiger Verzögerung versandt. Zum Schutz der Zivilbevölkerung wird ein flächendeckendes, gut gewartetes Sirenensystem dringend benötigt. Der Sirenenalarm muss dabei eng mit netzabhängigen und netzunabhängigen Informationskanälen gekoppelt sein. Höchste Priorität aber hat eine in Bevölkerungsschutz aufgeklärte Gesellschaft, die weiß, wann was bei welcher Katastrophe zu tun ist.
Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Maria-Sibylla Lotter ab.