Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Inselhüpfen auf zwei Rädern
Sechs eindrucksvolle Brücken verbinden sechs Inseln zum Shimanami Kaido – und damit zu einem ungewöhnlichen Radwanderweg, bei dem hinter jeder Kurve ein neues Meeres-Panorama liegt.
Ein bisschen sputen muss sich die kleine Gruppe bei diesem ambitionierten Plan schon. Doch alle sind optimistisch: An einem Tag ist die Strecke mit dem Rad durchaus zu schaffen. Früh morgens schwingen sich die Radler daher auf die Leihräder und sind wild entschlossen, jeden der rund 70 Kilometer von der japanischen Hafenstadt Onomichi bis nach Imabari abzufahren. Dazwischen liegt die sogenannte Seto-Inland-See, ein Binnenmeer mit vielen kleinen und größeren Inseln, die über zahlreiche Brücken miteinander verbunden sind. Shimanami Kaido heißt dieser außergewöhnliche Radweg zwischen Honshu, Japans größter Hauptinsel, und Shikoku, der kleinsten.
Die Startstadt Onomichi an der Küste ist an den Hügeln hoch gebaut, wo sich unzählige gemütliche Gassen schlängeln. Mit der Seilbahn gelangt man auf direktem Weg nach oben auf den Senkoji, wo sich nach dem Ausstieg in schillernden Meeresblautönen ein Panorama über die Stadt, den Hafen und die Seto-Inlandsee entfaltet – und man bekommt schon mal eine Ahnung, wo am nächsten Tag in der Ferne geradelt werden soll.
Auch im Hotel wird man am Vorabend auf die Tour eingestimmt. Bei „Hotel Cycle“handelt es sich schließlich um ein trendiges, vor wenigen Jahren eröffnetes Fahrradhotel, das sich direkt am Wasser in einem Komplex alter Lagerhäuser befindet, die in Geschäfte, Restaurants und eben das Hotel umfunktioniert wurden. Im „Cycle“spürt man die Fahrradverrücktheit der Betreiber. Die Gäste können dort bis direkt an die Rezeption fahren und einchecken. Die Räder werden darin direkt vor dem Zimmer geparkt. Gleich neben der schicken Bar gibt es die Möglichkeit, ein bisschen zu shoppen – neben lokalen Spezialitäten natürlich viele Dinge rund ums Rad.
Am nächsten Morgen wartet Satoshi Fukotome in voller Rennradlermontur bereits in der Lobby. Er ist der Tourguide und sorgt dafür, dass die kleine Gruppe nicht nur auf der korrekten Strecke bleibt, sondern auch schaut, was es rechts und links der Strecke zu entdecken gibt. Er fährt vorneweg – zunächst nur wenige Meter. Dann folgt eine kurze Fährüberfahrt, nach der endlich richtig in die Pedale getreten wird. Ein bisschen gewöhnen muss man sich an den Linksverkehr. Verfahren aber ist praktisch unmöglich, das wird schnell klar. Denn der Weg ist von Anfang an japanisch ordnungsgemäß perfekt markiert. Einfach nur stur den Pfeilen Richtung Imabari auf der Straße folgen – dann kann nichts schieflaufen.
Jedes Jahr Ende Oktober findet ein großes Rad-Event statt. Dann gehört die gesamte Strecke, auch die oft parallel verlaufenden Autostraßen und -brücken, allein den rund 7000 Fahrradfahrern. An diesem sonnigen Spätsommertag sind längst nicht so viele unterwegs und doch sind überall Radfahrer anzutreffen. Freizeitradler und Rennradler,
Touristen und Einheimische. An ihnen allen zieht mal sirrend beschleunigt, mal im entspannteren Tretrhythmus eine Mischung japanischen Insellebens vorbei: gemütliche Hafen- und Fischerorte und aufgeräumte Strände auf grün bewucherten Inselklecksen, die durch imposante Brücken seit 20 Jahren nicht mehr allein auf die Fähren angewiesen sind. Die Konstruktionen zählen dabei zu den größten Highlights, für die allein sich die Tour auf dem Shimanami Kaido lohnt.
Grau, Blau und Grün sind die Farben, die entlang der Strecke den Blick dominieren. Das Grau der makellosen Asphaltwege. Das vielen Blautöne des Meeres, in denen die Silhouetten der vielen winzigen, kleinen, größeren Inseln in der Ferne ineinander übergehen und in denen unterschiedlichste Bootsschatten treiben. Schließlich das Grün, das nicht selten von Bäumen mit Zitrusfrüchten stammt. Berühmt ist vor allem die Hassaku-Zitrone, die in unzähligen Spezialitäten der Region verarbeitet wird. Zitronen, Zitronen überall! Auf Souvenirs, auf Bildern, an den Bäumen, in den Auslagen vieler Geschäfte und so auch im Hassaku-Shop, bei dem Guide Satoshi für einen kurzen Snackstopp anhält. „Manchmal sind sie schnell ausverkauft, aber heute gibt es sie noch“, sagt der Guide und meint damit die gefüllten Reisbällchen, die sauer und gleichzeitig so süß sind, wie die lachende Zitrone auf der Folie, die sie umwickeln.
So wie mit diesem Laden gibt es auf der Tour immer wieder kleine Besonderheiten und Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Ein Schlenker führt zum kleinen Ooyama Schrein. Auch wenn man die japanischen Schriftzeichen nicht lesen kann, ist unschwer zu erkennen, dass er vollends im Zeichen des Radfahrens steht. Überall sind stilisierte Fahrradsymbole zu sehen, Fahrräder der Gäste, Fahrradständer, passende Andenken. Gerade lässt sich zudem eine Gruppe unter dem roten Torii fotografieren und reckt dafür die Räder in die Luft. Im Laden gibt es unter anderem Anhänger mit Rädern darauf zu kaufen. „Das bringt Glück auf den Touren“, sagt der radenthusiastische Satoshi.
Eine andere Größenordnung hat später der Kosanji Tempel auf der Insel Ikuchijima, der voll mit bunten Verzierungen dekoriert ist und zur „True Pure Land Sect of Japanese Buddhism“gehört. Ein Geschäftsmann ließ ihn ab den 1930ern errichten – inspiriert von der Liebe zu seiner Mutter. Rund 30 Jahre später erst war er fertig mit einer Vielzahl an Gebäuden, die bekannten Tempeln Japans nachempfunden sind.
Insel für Insel wird überquert und schließlich ist es bereits Nachmittag und Zeit für letzte Fotos. Neben dem Hakata SC Park, in dem man ein paar Shops und Restaurants findet, hängen die meisten Radler ihre Räder an die kleinen Metallskulpturen. Eindrucksvoller Blickmagnet ist dabei allerdings einmal mehr die Brückenkonstruktion im Hintergrund. Die Hakata-Brücke ist die letzte von insgesamt sechs Brücken, die heute zu sehen sind. Nur um zum Finale die Kurushima Brücke, mit über 4000 Metern eine der längsten Hängebrücken der Welt, zu erreichen, ist es mittlerweile leider schon zu spät. In Kürze, am frühen Abend, geht schließlich bereits der letzte Bus zurück nach Onomichi. Für die Fahrt muss man in Japan allerdings vorsorgen: Eine Hülle für das Rad gehört ins Tagesgepäck. Schließlich wird das Rad im Bus nur mitgenommen, wenn es ordentlich verpackt ist. An der Haltestelle wird daher noch schnell das Vorderrad abmontiert und das Rad handlich kompakt in der vorgesehenen Hülle verstaut.
Bei der Rückfahrt lässt sich aus dem Fenster des Busses, der bis auf den letzten Platz besetzt ist, ein zweiter Blick auf die Strecke werfen. Die Landschaftseindrücke sacken dabei noch etwas tiefer ein. Im sanften Dämmerlicht wird so der Tag in etwa vierfach schnellerer Geschwindigkeit zurückgespult, bis die Radler am Bahnhof in Onomichi aus dem Bus strömen, ihre Pakete entpacken und in alle Richtungen davonradeln.