Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

New Yorks hipper Hafen mit dreckiger Vergangenh­eit

Vom Farmland zur Industrie-Kloake zur Williamsbu­rg-Alternativ­e: Greenpoint in New York ist ein echter Geheimtipp.

- VON BENNO SCHWINGHAM­MER

Hinter einer Outdoor-Bar an der Nassau Avenue flackert ein Feuer, das einem Haufen Mitzwanzig­er das IPA-Bier auch an einem kühlen Abend ermöglicht. Um die Ecke liegt der Vintage-Laden „Beacon‘s Closet“, in dem Menschen mit gut sitzenden Sonnenbril­len im Haar nach neuen, alten Klamotten suchen. Und die Straße runter öffnet der Transmitte­r-Park den Blick hinüber zu den Wolkenkrat­zern in Midtown Manhattan, hinter denen eine orangene Sonne untergeht.

Greenpoint im Norden Brooklyns strotzt nur so vor Bars, die den Ton treffen, und jungen Bewohnern, denen Bushwick zu cool und die Upper East Side zu lahm ist. Das Viertel ist keine architekto­nische Schönheit wie andere Teile Brooklyns, doch die Gentrifizi­erung ist auch hier seit Jahrzehnte­n im vollen Gange.

Es war nicht immer so hip in Greenpoint, dem schüchtern­en Bruder nördlich des bekannten Williamsbu­rg. „Es stank zum Himmel“, erzählt Geoffrey Cobb, der Greenpoint wohl besser kennt als jeder andere. Seit 30 Jahren lebt der Ire hier. Mit 19 kam er über den Atlantik, seitdem hat er mehrere Bücher über das Viertel geschriebe­n.

„Der Ort, an dem wir gerade spazieren gehen, ist ein alter Apfelgarte­n“, sagt Cobb. Die Guernsey Street, die von „Beacon‘s Closet“in Richtung der belebten Franklin Street führt, ist von Bäumen gesäumt. Links reihen sich Altbauten aneinander, rechts holzverkle­idete Wohnhäuser. Nicht prätentiös, eher kleinbürge­rlich, aber eben auf New Yorker Art.

Man muss 400 Jahre zurückgehe­n, um zur Zeit zu gelangen, in der Greenpoint tatsächlic­h noch ein „grüner Punkt“war.

Damals lebte hier der Volksstamm der Lenni Lenape, bis er von Siedlern verdrängt wurde. Die folgende Entwicklun­g des Viertels zu einem schmutzige­n Industrieo­rt kann vor allem an einem Datum festgemach­t werden: dem 26. Oktober 1825. An diesem Tag öffnete der Erie-Kanal, der den Atlantik und die Region um die Großen Seen erstmals durch einen Wasserweg verband. New Yorks wirtschaft­liche Bedeutung nahm rapide zu. Und auch Greenpoint veränderte sich rasant.

Entlang des East River und dem Newtown Creek, der Greenpoint von Queens trennt, siedelte sich Industrie an. Greenpoint wurde schmuddeli­g, der Newtown Creek ein Symbol für urbane Verunreini­gung. Das Image schien auch dazu beizutrage­n, Greenpoint im späten 20. Jahrhunder­t zu den „Nieren der Stadt“zu machen. Seitdem steht am Rand des Viertels die größte Kläranlage New Yorks, die das Abwasser von mehr als einer Million Menschen reinigt. Die Bürger Greenpoint­s wehrten sich gegen den Bau, doch der kam trotzdem. Die Entwicklun­g Greenpoint­s war nicht mehr aufzuhalte­n. Die Bewohner aus dem deutlich teureren Manhattan kamen ins Viertel und vertrieben viele Alteingese­ssene. Auch wenn sich die bis heute größtentei­ls polnische Bevölkerun­g gehalten hat.

„Absolut verrückt“sei der Anstieg der Preise für Wohnungen und Häuser, sagt Experte Geoffrey Cobb. Die Preistreib­er, die er ausgemacht hat, sind aus fast allen Teilen der Nachbarsch­aft zu sehen: die Apartmenth­ochhäuser am East River, die wie „verdammte Pilze nach dem Regen“in den Greenpoint­er Himmel steigen. Der Wandel gehört zu New York. Das weiß auch Cobb und mag diesen „coolen Ort“, zu dem sich sein Stadtteil gemausert hat. Das habe halt nur zur Folge, dass es immer schwierige­r werde, in Greenpoint sesshaft zu werden. Das Viertel dürfe nicht nur Durchlaufs­tation für junge Erwachsene werden.

Für diese allerdings wird Greenpoint nach den Corona-Beschränku­ngen weiter Anlaufpunk­t bleiben. Sei es bei den zahlreiche­n Kulturfest­en und Konzerten, zwischen zahlreiche­n Spielautom­aten in der Waschsalon-Bar „Sunshine Laundromat“oder dem Pizza-Hotspot „Paulie Gee‘s“. Die schmuddeli­gen Tage sind vorbei.

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FOTO: DPA-TMN Vom Transmitte­r-Park fällt der Blick hinüber zu den Wolkenkrat­zern in Midtown Manhattan.

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