Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Manhattan am Mittelmeer
Urlaub zwischen Wolkenkratzern: Im Badeort Benidorm an der Ostküste Spaniens an der Costa Blanca wachsen die Gebäude immer höher in den Himmel. Ist diese Architektur die Zukunft des Massentourismus?
Die Skyline, die schon bei der Anfahrt über die Autobahn aus kilometerweiter Entfernung in Sicht kommt, erinnert an New York: Ein Wolkenkratzer neben dem anderen ragt hoch in den blauen Himmel. Im Hintergrund, zwischen den Straßen schluchten, funkelt inder Sonne das türkisblaue Meer. Ein Kontrast, der Benidorm an der spanischen Costa Blanca auch den Beinamen „Manhattan am Mittelmeer“einbrachte.
Gerade ist ein neues und atemberaubendes Hochhaus in dieser Betonlandschaft im Osten Spaniens fertiggestellt worden. Der Apartmentriese „Intempo“, der mit
198 Metern laut Eigenwerbung „das höchste Wohnhaus Spaniens“ist. Auch die Bauzeit ist mit 14 Jahren rekordverdächtig. Was allerdings damit zu tun hat, dass der erste Bauherr kurz vor der Vollendung pleite ging und ein neuer Investor gefunden werden musste.
47 Stockwerke hoch, 256 Wohnungen, alle haben Meerblick. Mit Infinity-Pool, Spa und Restaurant im obersten Stockwerk. Und Hoch geschwindigkeit s aufzügen, die in weniger als einer Minute an die Spitze des Doppelturms rasen. Die teuersten Wohnungen ganz oben, im Himmel von Benidorm, kosten weit mehr als je eine Million Euro.
„Dieser Wolkenkratzer wurde zum Symbol für die Spekulation und den Immobilienboom“, kommentiert der öffentliche spanische Fernsehsender TVE das riesige Bauprojekt. Ein Boom, der noch immer nicht zu Ende zu sein scheint. Sieben weitere Hochhäuser werden derzeit in Benidorm gebaut oder sind zumindest in Planung.
Das urbanistische Konzept dieser Stadt, die 40 Autominuten nördlich vom Urlauber-Airport Alicante entfernt liegt, ist am ganzen Mittelmeer einzigartig: Benidorm wächst vor allem in die Höhe, aber kaum in die Breite – das reduziert den Flächenverbrauch. Bisher hat diese Ferienstadt aus himmelstürmenden Konstruktionen bereits 27 Turmbauten, die höher als 100 Meter sind.
Nicht nur die Aussicht aus dem obersten Stockwerk des neuen Intempo-Gebäudes, einen Steinwurf vom langen Poniente-Sandstrand entfernt, ist schwindelerregend. Auch wenn man unten an der Playa im Sand liegt, beeindruckt der Stahlbetonriese: „Wenn du nach oben guckst, hast du das Gefühl, dass die Türme auf dich drauffallen“, sagt die spanische Urlauberin Nieves González, die neben ihrem Mann am Strand in der Sonne liegt.
Vor allem Spanier drängelten sich in diesem Sommer in Benidorm, das die bekannteste und meistbesuchte Urlaubsbadestadt des Landes ist. Die Briten, die normalerweise dort in Scharen einfallen, sind in diesem zweiten Covid-Sommer nur eine kleine Minderheit. Deutschsprachige Touristen verirren sich auch in normalen Zeiten eher selten in dieses Mekka des Massentourismus, in dem das ganze Jahr über Betrieb herrscht: Im Sommer kommen Familien, im Herbst junge Leute, die nicht auf die Ferien angewiesen sind, im Winter vor allem Rentner, die das milde Klima suchen.
Der Ort ist nichts für Touristen, die Einsamkeit suchen. Die Sonnenschirme stehen an den urbanen Stränden so dicht, dass man aus der Vogelperspektive den Sand nicht mehr sieht – dagegen ist Mallorcas vielbesuchter und berüchtigter Strand Playa de Palma geradezu idyllisch. Wenigstens 70.000 Touristenbetten gibt es in den Hotels und Apartmentblocks. Die allermeisten
Betten waren in diesem Spätsommer und Frühherbst belegt.
Wer einen Platz am Strand mit Sicht aufs Wasser haben will, muss ziemlich früh aufstehen. Die ersten rammen morgens um sieben, noch vor dem Frühstück, ihre Sonnenschirme in den Sand, um sich ihr Territorium zu sichern. Auch wer in einem Lokal speisen oder in einer Bar eine Sangria trinken möchte, muss sich darauf einstellen, Schlange zu stehen, um einen Tisch zu bekommen.
Dass Kritiker Benidorm als öde Betonwüste bezeichnen, wischt Bürgermeister Toni Pérez vom Tisch: Der Erfolg dieser Ferienstadt, die niemals schläft und in der auch im Winter Sonne und milde Temperaturen locken, spreche für sich. „Wir haben Gäste, die kommen vier oder fünf Mal im Jahr und in verschiedenen Jahreszeiten“, sagt er: „Irgendetwas Attraktives muss diese Stadt dann ja wohl haben.“
Vor 70 Jahren war Benidorm noch ein Fischernest, das vom Thunfischfang
lebte. Doch als die Netze mit der Zeit immer leerer wurden, kam dem damaligen Bürgermeister Pedro Zaragoza der rettende Einfall: Benidorm sollte zum spanischen Musterort für Sonnen- und Strandurlaub werden. Und zwar mit einem Bebauungsplan, der das Wachstum in unbegrenzte Höhe erlaubte, statt in der Fläche Land zu verbrauchen. Das Ergebnis ist von weitem sichtbar: Benidorm gilt heute als die europäische Stadt mit der größten Wolkenkratzerdichte pro Quadratkilometer.
Diese Kulisse mögen nicht alle schön finden, doch das Experiment am Mittelmeer findet den Beifall von Städteplanern und sogar von Umweltschützern. Durch diese urbane Konzentration in der Höhe werde weniger Landschaft zubetoniert. Und es gebe weniger Energie- sowie Wasserverbrauch. Auch die Transportwege seien geringer, weil alles nah beieinander liege. „Benidorm“, bekräftigt ein Sprecher der örtlichen Architektenvereinigung, „ist sehr viel nachhaltiger als andere Orte“.