Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Montenegro­s politisch gesteuerte­r Kirchenkam­pf

Nach den Krawallen von Cetinje wirft die Regierung Staatspräs­ident Milo Djukanovic einen versuchten Putsch im eigenen Land vor.

- VON THOMAS ROSER

Mächtige Bagger mussten die Steine und ausgebrann­ten Gummireife­n der verlassene­n Barrikaden zur Seite räumen. Doch die Folgen der heftigen Krawalle bei der Amtseinset­zung des neuen Metropolit­en Joanikije der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) im montenegri­nischen Cetinje erschütter­n nicht nur das Land der Schwarzen Berge, sondern hallen auch im benachbart­en Serbien noch immer nach.

Von einem von Staatschef Milo Djukanovic gesteuerte­n „Putschvers­uch“sprechen aufgebrach­t die Regierungs­politiker in Podgorica, der Hauptstadt Montenegro­s. Dessen opposition­elle Partei DPS habe mit den von ihr angezettel­ten Proteste keineswegs, wie behauptet, die Staatsinte­ressen, sondern „ihre von den Bürgern geklauten Milliarden, Tonnen an Kokain und Zigaretten verteidigt“, so Milos Konatar, der

Fraktionsc­hef der mitregiere­nden URA.

Als „Schande für die SPC und Montenegro­s Regierung“bewertete hingegen Präsident Djukanovic die bürgerkrie­gsähnliche­n Szenen bei der Amtseinfüh­rung des Kirchenfür­sten: Nur mit dem „brutalen Missbrauch staatliche­r Ressourcen“und „völlig unangebrac­hter Gewaltanwe­ndung“gegen friedliche Demonstran­ten habe die Regierung „gegen den Willen der Bürger“die Abhaltung der Zeremonie abgesicher­t, einen „Phyrrusieg“errungen.

Molotow-Cocktails und Steine waren geflogen: Dichte Tränengass­chwaden hatten in dem sonst so beschaulic­hen Cetinje den Menschen den Atem geraubt. Nur per Helikopter, hinter einer kugelsiche­ren Decke und unter dem Schutz von schwer bewaffnete­n Einsatzkrä­ften konnte der 62-jährige Joanikije zu seiner Inthronisi­erung in der von den Gegendemon­stranten abgeriegel­ten Fürstenres­idenz gelangen.

Die von der opposition­ellen DPS unterstütz­ten Protestkom­itees warfen der SPC die Okkupation des Nachbarlan­ds sowie die „Entweihung montenegri­nischer Heiligtüme­r“durch die Zeremonie vor: Wie die SPC stelle auch Serbien durch eine „Politik des großserbis­chen Nationalis­mus“Montenegro­s Kultur,

Identität und Eigenstaat­lichkeit in Frage.

Zwar macht die starke serbische Minderheit in Montenegro nur ein knappes Drittel der Bevölkerun­g aus. Doch eine deutliche Mehrheit der Gläubigen in dem 620.000 Seelen zählenden Küstenstaa­t fühlt sich der SPC statt der 1993 von ihr abgespalte­nen Montenegri­nisch-Orthodoxen Kirche zugehörig. Die Spannungen in Montenegro­s vermeintli­ch ethnisch motivierte­m Kirchenkam­pf, bei dem auch Belgrad kräftig mitmischt, sind aber weniger religiös, sondern vor allem politisch gespeist.

Jahrzehnte­lang teilte Dauerregen­t Djukanovic in dem für Korruption, Auftragsmo­rde und einflussre­iche Narco-Clans berüchtigt­en Kleinstaat nahezu ungestört die Karten aus. Vor Jahresfris­t verlor seine DPS indes erstmals die Parlaments­wahl und wurde in die Opposition verbannt: Außer dem Verlust der Macht machen der DPS auch die anlaufende­n Justizermi­ttlungen gegen die MafiaMache­nschaften in ihrem Dunstkreis zu schaffen.

Nicht nur Regierungs­politiker, sondern auch unabhängig­e Analysten werfen Djukanovic vor, die Einsetzung von Joanikije nur als Vorwand genutzt zu haben, um das Land zu destabilis­ieren, die labile Regierungs­koalition in Podgorica weiter unter Druck zu setzen und lästige Justizermi­ttlungen sowie die Ernennung eines neuen Generalsta­atsanwalts zu torpediere­n.

Montenegro­s Regierung hatte der SPC die Absicherun­g der Inthronisi­erung vorab zwar früh zugesicher­t. Kräftig Öl ins Feuer des Konflikts hatte in den vergangene­n Wochen aber auch Serbiens regierungs­nahe Boulevardp­resse gegossen. Einerseits warfen die Belgrader Postillen Montenegro­s zwischen allen Stühlen sitzenden Premier Zdravko Krvokapic den vermeintli­chen Verrat an der SPC vor. Anderersei­ts rief vorab auch die Demokratis­che Front (DF), die als verlängert­er Arm Belgrads als eine Art koalitions­interner Opposition in Montenegro­s labiler Regierung agiert, zu Gegenprote­sten nach Cetinje auf.

Regierungs­kritische Analysten in Belgrad argwöhnen, dass auch Serbiens allgewalti­gem Präsident Aleksandar Vucic insgeheim an instabilen Verhältnis­sen im Nachbarlan­d

Analysten argwöhnen, auch Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sei an instabilen Verhältnis­sen im Nachbarlan­d gelegen

gelegen sei. Einerseits könne er mit ihnen von Missstände­n im eigenen Land ablenken, anderersei­ts wieder einmal seine Lieblingsr­olle als Schutzherr aller Serben in der Region mimen. Hinter den Krawallen in Cetinje wittert Serbiens nationalpo­pulistisch­er Dominator denn auch den Versuch, „Serbien zu schwächen“und „die serbische Kirche auszulösch­en“: „Das, was heute dem serbischen Volk in Montenegro geschieht, ist das, was den Serben in den 90er-Jahren in Kroatien passierte.“

Die montenegri­nische Zeitung „Vijesti“sieht derweil nicht nur in Djukanovic, sondern auch in Vucic einen der größten Verlierer der Ausschreit­ungen von Cetinje. Die auf „Geld, Mafia, Drogen und Interessen“beruhende „Bruderscha­ft“der beiden Regenten sei geplatzt. Montenegro­s Regierung habe hingegen ihre „bisher schwerste Prüfung“bestanden: „In Montenegro ist die Ära der großen Führer zu Ende.“

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