Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Montenegros politisch gesteuerter Kirchenkampf
Nach den Krawallen von Cetinje wirft die Regierung Staatspräsident Milo Djukanovic einen versuchten Putsch im eigenen Land vor.
Mächtige Bagger mussten die Steine und ausgebrannten Gummireifen der verlassenen Barrikaden zur Seite räumen. Doch die Folgen der heftigen Krawalle bei der Amtseinsetzung des neuen Metropoliten Joanikije der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) im montenegrinischen Cetinje erschüttern nicht nur das Land der Schwarzen Berge, sondern hallen auch im benachbarten Serbien noch immer nach.
Von einem von Staatschef Milo Djukanovic gesteuerten „Putschversuch“sprechen aufgebracht die Regierungspolitiker in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros. Dessen oppositionelle Partei DPS habe mit den von ihr angezettelten Proteste keineswegs, wie behauptet, die Staatsinteressen, sondern „ihre von den Bürgern geklauten Milliarden, Tonnen an Kokain und Zigaretten verteidigt“, so Milos Konatar, der
Fraktionschef der mitregierenden URA.
Als „Schande für die SPC und Montenegros Regierung“bewertete hingegen Präsident Djukanovic die bürgerkriegsähnlichen Szenen bei der Amtseinführung des Kirchenfürsten: Nur mit dem „brutalen Missbrauch staatlicher Ressourcen“und „völlig unangebrachter Gewaltanwendung“gegen friedliche Demonstranten habe die Regierung „gegen den Willen der Bürger“die Abhaltung der Zeremonie abgesichert, einen „Phyrrusieg“errungen.
Molotow-Cocktails und Steine waren geflogen: Dichte Tränengasschwaden hatten in dem sonst so beschaulichen Cetinje den Menschen den Atem geraubt. Nur per Helikopter, hinter einer kugelsicheren Decke und unter dem Schutz von schwer bewaffneten Einsatzkräften konnte der 62-jährige Joanikije zu seiner Inthronisierung in der von den Gegendemonstranten abgeriegelten Fürstenresidenz gelangen.
Die von der oppositionellen DPS unterstützten Protestkomitees warfen der SPC die Okkupation des Nachbarlands sowie die „Entweihung montenegrinischer Heiligtümer“durch die Zeremonie vor: Wie die SPC stelle auch Serbien durch eine „Politik des großserbischen Nationalismus“Montenegros Kultur,
Identität und Eigenstaatlichkeit in Frage.
Zwar macht die starke serbische Minderheit in Montenegro nur ein knappes Drittel der Bevölkerung aus. Doch eine deutliche Mehrheit der Gläubigen in dem 620.000 Seelen zählenden Küstenstaat fühlt sich der SPC statt der 1993 von ihr abgespaltenen Montenegrinisch-Orthodoxen Kirche zugehörig. Die Spannungen in Montenegros vermeintlich ethnisch motiviertem Kirchenkampf, bei dem auch Belgrad kräftig mitmischt, sind aber weniger religiös, sondern vor allem politisch gespeist.
Jahrzehntelang teilte Dauerregent Djukanovic in dem für Korruption, Auftragsmorde und einflussreiche Narco-Clans berüchtigten Kleinstaat nahezu ungestört die Karten aus. Vor Jahresfrist verlor seine DPS indes erstmals die Parlamentswahl und wurde in die Opposition verbannt: Außer dem Verlust der Macht machen der DPS auch die anlaufenden Justizermittlungen gegen die MafiaMachenschaften in ihrem Dunstkreis zu schaffen.
Nicht nur Regierungspolitiker, sondern auch unabhängige Analysten werfen Djukanovic vor, die Einsetzung von Joanikije nur als Vorwand genutzt zu haben, um das Land zu destabilisieren, die labile Regierungskoalition in Podgorica weiter unter Druck zu setzen und lästige Justizermittlungen sowie die Ernennung eines neuen Generalstaatsanwalts zu torpedieren.
Montenegros Regierung hatte der SPC die Absicherung der Inthronisierung vorab zwar früh zugesichert. Kräftig Öl ins Feuer des Konflikts hatte in den vergangenen Wochen aber auch Serbiens regierungsnahe Boulevardpresse gegossen. Einerseits warfen die Belgrader Postillen Montenegros zwischen allen Stühlen sitzenden Premier Zdravko Krvokapic den vermeintlichen Verrat an der SPC vor. Andererseits rief vorab auch die Demokratische Front (DF), die als verlängerter Arm Belgrads als eine Art koalitionsinterner Opposition in Montenegros labiler Regierung agiert, zu Gegenprotesten nach Cetinje auf.
Regierungskritische Analysten in Belgrad argwöhnen, dass auch Serbiens allgewaltigem Präsident Aleksandar Vucic insgeheim an instabilen Verhältnissen im Nachbarland
Analysten argwöhnen, auch Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sei an instabilen Verhältnissen im Nachbarland gelegen
gelegen sei. Einerseits könne er mit ihnen von Missständen im eigenen Land ablenken, andererseits wieder einmal seine Lieblingsrolle als Schutzherr aller Serben in der Region mimen. Hinter den Krawallen in Cetinje wittert Serbiens nationalpopulistischer Dominator denn auch den Versuch, „Serbien zu schwächen“und „die serbische Kirche auszulöschen“: „Das, was heute dem serbischen Volk in Montenegro geschieht, ist das, was den Serben in den 90er-Jahren in Kroatien passierte.“
Die montenegrinische Zeitung „Vijesti“sieht derweil nicht nur in Djukanovic, sondern auch in Vucic einen der größten Verlierer der Ausschreitungen von Cetinje. Die auf „Geld, Mafia, Drogen und Interessen“beruhende „Bruderschaft“der beiden Regenten sei geplatzt. Montenegros Regierung habe hingegen ihre „bisher schwerste Prüfung“bestanden: „In Montenegro ist die Ära der großen Führer zu Ende.“