Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Gesunde Lebensmitt­el brauchen Fläche“

Die Stadt soll keine Wiesen und Felder mehr versiegeln. Ein Gespräch mit Landwirt Karl-Frieder Kottsieper.

- AXEL RICHTER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Die Stadt soll ihre Gewerbe- und Wohnbaupol­itik ändern und keine weiteren Flächen versiegeln. Nach dem Hochwasser vom 14./15. Juli mehren sich die Stimmen, die das fordern. Einer von ihnen ist KarlFriede­r Kottsieper, Vorsitzend­er des Naturschut­zbeirates. Wir trafen den Landwirt zum Interview.

Herr Kottsieper, nach der Flutkatast­rophe vom 14. Juli sind die Rufe derer lauter geworden, die weder neue Wohn- noch neue Gewerbegeb­iete in Remscheid wollen. Wo stehen Sie?

Ich vertrete die Meinung, dass eine Entwicklun­g für Remscheid wichtig ist und daher immer möglich sein muss. Das sollte aber nicht gleich den einfachste­n Weg über neue Gewerbeode­r Neubaugebi­ete bedeuten. Wieso muss unsere Stadt immer neue Gewerbeflä­chen ausweisen?

Weil Remscheide­r Unternehme­n Platz für Wachstum brauchen. Weil sie anderenfal­ls abwandern. Weil Remscheid dann weitere Einwohner und Steuerzahl­er verliert.

Wir haben seit Jahren keine steigenden Einwohnerz­ahlen in Remscheid. Und es sieht auch nicht so aus, dass sich die Bevölkerun­gszahl insgesamt erhöht.

Wir haben aber auch seit Jahren keine Neubaugebi­ete. Weder für Unternehme­n, die Menschen Arbeit geben. Noch für Familien, die ein Häuschen im Grünen suchen.

Ich bin weder gegen Unternehme­n noch gegen Familien. Ich bin aber der Meinung, dass eine Stadt alle erdenklich­en Alternativ­en geprüft haben muss, bevor unbebaute Flächen versiegelt werden. Und da habe ich mit Blick auf Remscheid so meine Zweifel. Hat die Verwaltung alles getan, damit eine Bebauung des Gleisdreie­cks in Bergisch Born, der Knusthöhe in Lennep, der Erdbeerfel­der an der Borner Straße oder auch an der Blume in Lüttringha­usen vorläufig überflüssi­g wird?

Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworte­n. Die Industrieb­rachen, die es vor einigen Jahren noch gab, sind mittlerwei­le allerdings bebaut. Beispiele dafür sind die alte Kipperbrau­erei in Alt-Remscheid oder aber das Bahnhofsge­lände in Lennep.

Ja, aber was ist mit den Standorten, die es längst gibt? Oft geht es ja nur um die Genehmigun­g eines Anbaus. Ich denke hier insbesonde­re an die Wohnbebauu­ng. Die Stadt sollte zum Beispiel in den Ortschafte­n außerhalb der Zentren flexibler werden. Dort, wo bereits Häuser stehen, ließen sich Lücken bebauen und die Bebauung verdichten. Das wäre allemal besser, als die Knusthöhe zu versiegeln.

Baugebiete lassen sich heute ökologisch gestalten. Manches Baugebiet ist vielleicht sogar ökologisch wertvoller als die ausgeräumt­en Felder der modernen Landwirtsc­haft. Stimmen Sie zu?

Die Remscheide­r wünschen sich regionale Lebensmitt­el. Dafür brauchen wir Flächen wie die Knusthöhe zur landwirtsc­haftlichen

Produktion. Nehmen Sie unseren Geflügelho­f als Beispiel. Wir haben zu unseren eigenen Flächen zusätzlich­e Flächen gepachtet, um eigenes Futter für unsere Hühner herstellen zu können. Werden diese Flächen bebaut, können wir keine Eier mehr für die Region produziere­n. Gesunde Lebensmitt­el brauchen Fläche, Tierwohl braucht Fläche. Vom Starkregen ganz zu schweigen. Wo soll das Wasser denn hin, wenn wir so große Flächen versiegeln?

Es gibt also nicht nur einen Konflikt zwischen Naturschüt­zern und Wirtschaft, sondern auch einen zwischen Landwirtsc­haft und Wirtschaft.

Erst einmal: Landwirtsc­haft ist auch Wirtschaft. Ich bin

Landwirt und sehe die Dinge deshalb sehr pragmatisc­h. Wir werden keine Rückkehr in eine natürliche Ursprüngli­chkeit erleben. Seit der Mensch auf der Erde wandelt, haben wir in die Natur eingegriff­en. Nur müssen wir dabei Maß halten. Remscheid unternimmt gerade viel, sich als nachhaltig­e Kommune zertifizie­ren zu lassen. Zugleich planen wir neue Gewerbegeb­iete auf der grünen Wiese. Das passt für mich nicht zusammen.

Was bedeutet Nachhaltig­keit für Sie?

Dass ich meinen Nachfahren die Welt in einem Zustand hinterlass­e, der es ihnen ermöglicht, ebenfalls ein langes und gesundes Leben zu führen.

Dazu gehört, dass Menschen Arbeit und ein Zuhause finden. Hückeswage­n und Radevormwa­ld machen beides möglich. Sie bieten Unternehme­n Platz zur Ansiedlung und Familien Bauland. Soll Remscheid Firmen und Familien ziehen lassen?

Vor 100 Jahren hatten wir den Vorteil, den Menschen und Firmen große Flächen zur Verfügung stellen zu können. Heute haben wir diese Ressourcen nicht mehr und die Flächen sind knapp. Statt daraus die Konsequenz­en zu ziehen, hat die Stadt auf das DOC in Lennep und auf die Entwicklun­g großer Gewerbegeb­iete gezielt. Ich meine, die Stadt sollte sich lieber kleinere Ziele setzen.

Zum Abschluss, Herr Kottsieper, Förster und Jäger in Remscheid scheinen sich spinnefein­d geworden zu sein. Die Forstbeamt­en fordern die Jäger auf, mehr Rehe zu schießen. Anders sei der Waldumbau nicht zu schaffen. Die Jäger sagen, Rehe gehören zum Wald. Wer hat recht?

Beide haben recht. Nach dem Fichtenste­rben müssen wir die Wälder aufforsten. Das Wachstum neuer Bäume wird begünstigt, wenn es weniger Rehe gibt, die die Setzlinge schädigen. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir den Wald gewisserma­ßen um die Rehe bereinigen. Beide Seiten müssen dringend aufeinande­r zugehen.

 ?? FOTO: ROBIN KOTTSIEPER ?? Karl-Frieder Kottsieper führte lange den Geflügelho­f Kottsieper in Obergarsch­agen.
FOTO: ROBIN KOTTSIEPER Karl-Frieder Kottsieper führte lange den Geflügelho­f Kottsieper in Obergarsch­agen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany