Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter
Die Diplom-Sozialpädagogin vom SkF leitet das Remscheider Frauenhaus. Die Plätze dort sind nahezu ununterbrochen belegt.
Der heutige Tag, der 25. November, gilt jährlich weltweit als der Internationale Gedenk- und Aktionstag der Gewalt an Frauen. Doch wie wird Gewalt eigentlich genau definiert? Viele Menschen assoziieren damit sicherlich nur die körperliche Komponente. Eine Frau wird geschlagen, das ist für sie Gewalt. Und doch gibt es doch so viel mehr Erscheinungsformen. Welche sind das noch?
KARIN HEIER Gewalt hat viele Gesichter: Gewalt ist immer dort, wo Menschen mit Macht versuchen, andere Menschen zu dominieren und zu bestimmen, die Form der Gewalt ist dabei Mittel zum Zweck. Es gibt subtile Formen der Gewalt, zum Beispiel psychische Gewalt in Form von Herabwürdigung, Beleidigung, Infragestellen der Wahrnehmung. Es gibt körperliche Gewaltausübung, sexualisierte, emotionale, ökonomische Formen von Gewalt. Die häusliche Gewalt ist die Machtausübung durch einen Partner, eine der weltweit verbreitetsten Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt. Dazu gekommen ist eine „moderne“Form der Gewalt: die digitale Gewalt, die verschiedene Ausprägungen hat: Cybermobbing und weitere Formen der digitalen Gewaltanwendung, unter anderem Cyberstalking, Cybergrooming oder Hate Speech.
Welche Gewalt haben die Frauen erfahren, die zu Ihnen ins Frauenhaus kommen? Ich vermute mal, in erster Linie die körperliche Gewalt.
HEIER Im Frauenhaus haben wir die ganze Palette der Formen von Gewalt. Oft werden Frauen gleichzeitig mit unterschiedlichen Gewaltformen malträtiert. Ein Beispiel: Es kommt eine Frau wegen körperlicher Gewalt ins Frauenhaus, sie hat gleichzeitig auch psychische Gewalt erfahren, durch Anschreien, Erniedrigung und Isolation, sie musste um Geld für ihren Lebensunterhalt betteln. Während des Frauenhaus-Aufenthaltes wird sie weiter über einen Messenger-Dienst von dem Ex-Partner belästigt, bis sie ihr Handy wechselt. Es gibt auch Bewohnerinnen, die nur eine bestimmte Form von Gewalt erlebt haben. Die körperliche Gewalt steht schon im Fokus, ist aber nicht die Gewalt, die ausschließlich vorkommt, sondern oft in Kombination mit weiteren Gewaltformen.
Kann ich denn überhaupt zu Ihnen kommen, wenn ich „nur“psychische Demütigungen erfahre und keine blauen Flecken nachweisen kann? Ist Frauen bewusst, dass auch Erniedrigungen schwerer Missbrauch bedeuten?
HEIER Das ist oft genau der Punkt, dass Frauen in Bezug auf die Einordnung, ob ihre Erfahrungen schon in den Gewaltbereich fallen, verunsichert sind, besonders wenn sie „nur“psychische Gewalt erfahren und nicht körperlich misshandelt werden. Deshalb geht es in der psychosozialen Beratung im Frauenhaus um eine klare Einordnung der verschiedenen Formen von Gewalt, damit den Frauen klar wird, dass sie wirklich Gewalt erfahren haben und ihre Wahrnehmung, dass was nicht stimmt, richtig ist. Natürlich können die von dieser Form der Gewalt betroffenen Frauen ins Frauenhaus kommen.
Hat die Gewalt an Frauen während der Corona-Pandemie zugenommen?
HEIER Es gibt eine repräsentative Studie von Janina Steinert von der Technischen Universität München und ihrer Kollegin Dr. Cara Ebert vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung über die Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020, die Auskunft darüber gibt, wie sich Gewalt in der Zeit entwickelte. Demzufolge
hatte die Gewalt an Frauen und Kindern in dieser Zeit signifikant zugenommen.
Wenn man an früher denkt, da gab es die klassische Rollenverteilung. Das ist mittlerweile ja ein überaltertes Geschlechterdenken. Gibt es das denn trotzdem noch in manchen Beziehungen? Dass der Mann das Sagen und die Frau dem Folge zu leisten hat.
HEIER Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmen die Machtverhältnisse zwischen den Menschen und somit auch die Gefahr, Gewalt zu erfahren. Auch in unserer Gesellschaft gibt es immer noch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen aufgrund von unterschiedlichen Voraussetzungen und daher erleben Frauen und Kinder weit häufiger Gewalt als Männer, die gesellschaftlich immer noch privilegiert sind. Nichtsdestotrotz muss auch erwähnt werden, dass es auch Männer gibt, die von ihren Frauen Gewalt jeglicher Form erfahren. Einen Anspruch auf Hilfe haben alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Warum üben Männer Gewalt aus?
HEIER Männer üben Gewalt aus, weil sie oft dementsprechend sozialisiert sind, dass „man“Probleme mit Gewalt lösen darf. Wie bereits erwähnt, wird das durch die Machtverhältnisse unterstützt.
Was möchten Sie Frauen mit auf den Weg geben?
HEIER Kommen Sie ins Frauenhaus oder lassen Sie sich in einer Frauenberatungsstelle vorab beraten, wenn Sie nicht wissen, was Sie tun können, um sich vor Gewalt zu schützen.
Wie ist die Auslastung in Ihrem Frauenhaus? Wie war sie in den vergangenen Jahren?
HEIER Soweit es die Corona-Situation zuließ, haben wir auch in den vergangenen drei Jahren immer kontinuierlich belegt. Wir haben auch besonders immer Mütter mit Kindern aufgenommen, die sich noch in einer akuten Gewaltsituation befanden, um die Kinder so schnell wie möglich aus der Gewalt zu bringen. Viele Frauenhäuser haben in dieser Zeit die Aufnahme reduziert, auch wegen der CoronaErkrankungen der Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen. Es gab teilweise kaum mehr freie Frauenhausplätze.