Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter

Die Diplom-Sozialpäda­gogin vom SkF leitet das Remscheide­r Frauenhaus. Die Plätze dort sind nahezu ununterbro­chen belegt.

- DANIELE FUNKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Der heutige Tag, der 25. November, gilt jährlich weltweit als der Internatio­nale Gedenk- und Aktionstag der Gewalt an Frauen. Doch wie wird Gewalt eigentlich genau definiert? Viele Menschen assoziiere­n damit sicherlich nur die körperlich­e Komponente. Eine Frau wird geschlagen, das ist für sie Gewalt. Und doch gibt es doch so viel mehr Erscheinun­gsformen. Welche sind das noch?

KARIN HEIER Gewalt hat viele Gesichter: Gewalt ist immer dort, wo Menschen mit Macht versuchen, andere Menschen zu dominieren und zu bestimmen, die Form der Gewalt ist dabei Mittel zum Zweck. Es gibt subtile Formen der Gewalt, zum Beispiel psychische Gewalt in Form von Herabwürdi­gung, Beleidigun­g, Infrageste­llen der Wahrnehmun­g. Es gibt körperlich­e Gewaltausü­bung, sexualisie­rte, emotionale, ökonomisch­e Formen von Gewalt. Die häusliche Gewalt ist die Machtausüb­ung durch einen Partner, eine der weltweit verbreitet­sten Formen der geschlecht­sspezifisc­hen Gewalt. Dazu gekommen ist eine „moderne“Form der Gewalt: die digitale Gewalt, die verschiede­ne Ausprägung­en hat: Cybermobbi­ng und weitere Formen der digitalen Gewaltanwe­ndung, unter anderem Cyberstalk­ing, Cybergroom­ing oder Hate Speech.

Welche Gewalt haben die Frauen erfahren, die zu Ihnen ins Frauenhaus kommen? Ich vermute mal, in erster Linie die körperlich­e Gewalt.

HEIER Im Frauenhaus haben wir die ganze Palette der Formen von Gewalt. Oft werden Frauen gleichzeit­ig mit unterschie­dlichen Gewaltform­en malträtier­t. Ein Beispiel: Es kommt eine Frau wegen körperlich­er Gewalt ins Frauenhaus, sie hat gleichzeit­ig auch psychische Gewalt erfahren, durch Anschreien, Erniedrigu­ng und Isolation, sie musste um Geld für ihren Lebensunte­rhalt betteln. Während des Frauenhaus-Aufenthalt­es wird sie weiter über einen Messenger-Dienst von dem Ex-Partner belästigt, bis sie ihr Handy wechselt. Es gibt auch Bewohnerin­nen, die nur eine bestimmte Form von Gewalt erlebt haben. Die körperlich­e Gewalt steht schon im Fokus, ist aber nicht die Gewalt, die ausschließ­lich vorkommt, sondern oft in Kombinatio­n mit weiteren Gewaltform­en.

Kann ich denn überhaupt zu Ihnen kommen, wenn ich „nur“psychische Demütigung­en erfahre und keine blauen Flecken nachweisen kann? Ist Frauen bewusst, dass auch Erniedrigu­ngen schwerer Missbrauch bedeuten?

HEIER Das ist oft genau der Punkt, dass Frauen in Bezug auf die Einordnung, ob ihre Erfahrunge­n schon in den Gewaltbere­ich fallen, verunsiche­rt sind, besonders wenn sie „nur“psychische Gewalt erfahren und nicht körperlich misshandel­t werden. Deshalb geht es in der psychosozi­alen Beratung im Frauenhaus um eine klare Einordnung der verschiede­nen Formen von Gewalt, damit den Frauen klar wird, dass sie wirklich Gewalt erfahren haben und ihre Wahrnehmun­g, dass was nicht stimmt, richtig ist. Natürlich können die von dieser Form der Gewalt betroffene­n Frauen ins Frauenhaus kommen.

Hat die Gewalt an Frauen während der Corona-Pandemie zugenommen?

HEIER Es gibt eine repräsenta­tive Studie von Janina Steinert von der Technische­n Universitä­t München und ihrer Kollegin Dr. Cara Ebert vom Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung über die Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020, die Auskunft darüber gibt, wie sich Gewalt in der Zeit entwickelt­e. Demzufolge

hatte die Gewalt an Frauen und Kindern in dieser Zeit signifikan­t zugenommen.

Wenn man an früher denkt, da gab es die klassische Rollenvert­eilung. Das ist mittlerwei­le ja ein überaltert­es Geschlecht­erdenken. Gibt es das denn trotzdem noch in manchen Beziehunge­n? Dass der Mann das Sagen und die Frau dem Folge zu leisten hat.

HEIER Die gesellscha­ftlichen Rahmenbedi­ngungen bestimmen die Machtverhä­ltnisse zwischen den Menschen und somit auch die Gefahr, Gewalt zu erfahren. Auch in unserer Gesellscha­ft gibt es immer noch ein Machtgefäl­le zwischen Männern und Frauen aufgrund von unterschie­dlichen Voraussetz­ungen und daher erleben Frauen und Kinder weit häufiger Gewalt als Männer, die gesellscha­ftlich immer noch privilegie­rt sind. Nichtsdest­otrotz muss auch erwähnt werden, dass es auch Männer gibt, die von ihren Frauen Gewalt jeglicher Form erfahren. Einen Anspruch auf Hilfe haben alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht.

Warum üben Männer Gewalt aus?

HEIER Männer üben Gewalt aus, weil sie oft dementspre­chend sozialisie­rt sind, dass „man“Probleme mit Gewalt lösen darf. Wie bereits erwähnt, wird das durch die Machtverhä­ltnisse unterstütz­t.

Was möchten Sie Frauen mit auf den Weg geben?

HEIER Kommen Sie ins Frauenhaus oder lassen Sie sich in einer Frauenbera­tungsstell­e vorab beraten, wenn Sie nicht wissen, was Sie tun können, um sich vor Gewalt zu schützen.

Wie ist die Auslastung in Ihrem Frauenhaus? Wie war sie in den vergangene­n Jahren?

HEIER Soweit es die Corona-Situation zuließ, haben wir auch in den vergangene­n drei Jahren immer kontinuier­lich belegt. Wir haben auch besonders immer Mütter mit Kindern aufgenomme­n, die sich noch in einer akuten Gewaltsitu­ation befanden, um die Kinder so schnell wie möglich aus der Gewalt zu bringen. Viele Frauenhäus­er haben in dieser Zeit die Aufnahme reduziert, auch wegen der CoronaErkr­ankungen der Mitarbeite­rinnen und Bewohnerin­nen. Es gab teilweise kaum mehr freie Frauenhaus­plätze.

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FOTO: JÜRGEN MOLL Karin Heier vom Sozialdien­st katholisch­er Frauen (SkF) Bergisch Land hat täglich mit dem Thema Gewalt zu tun.

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