Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Warum? Weil er es kann“
Kardinal Woelki zerstört aus Sicht des Bonner Kirchenrechtlers nicht nur seine eigene, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Kirche.
Herr Lüdecke, wie geht es Ihrer Einschätzung nach im Erzbistum und mit Kardinal Woelki weiter?
LÜDECKE Einiges ist offen und die Gesamtsituation ziemlich verfahren. Offen ist schon, ob es zu einem Gerichtsverfahren wegen eidlicher Falschaussage kommt, und wenn ja, ob und wozu der Kardinal verurteilt wird. Nicht wenige zweifeln, ob die Gleichheit vor dem Gesetz bei ihm nicht doch anders ausfällt als beim Mensch von der Straße.
Es waren letztlich Aussagen von Mitarbeiterinnen, die zum Gerichtsverfahren führten und ihn im Fall von Pfarrer D. wenigstens in Erklärungsnot gebracht haben.
LÜDECKE Nimmt man die Hinweise der früheren Mitarbeiterin in der Personalabteilung in Sachen Winfried Pilz und jetzt die Aussage der früheren Sekretärin von Kardinal Meisner vor Gericht zu Pfarrer D. – und liest dann in der Presseerklärung des Erzbistums: „Zeugin bestätigt Aussage des Kardinals“: Leute, die das lesen, verstehen die Welt nicht mehr. Für sie fährt hier jemand eine eiskalte, aggressive Vorwärtsverteidigung. Die Leute hören,
Woelki habe als Weihbischof mit der Sekretärin seines Chefs, Kardinal Meisner, reden wollen, aber hinter dessen Rücken, mal alleine im Büro. Einmal an der Vollmacht, wirft dann derselbe Mann Frau Dahm Illoyalität vor und droht mit arbeitsrechtlichen Schritten. Es sollten mehr Insider Dinge dadurch verändern, dass sie sie ans Licht bringen. Oder sie bleiben Mitspieler nach dem Motto: Das alles geht mich gar nichts an, denn ich bin ein Untertan.
Hat sich die Krisensituation im Erzbistum mit dem zweiten Ermittlungsverfahren gegen Kardinal Woelki Ihrer Meinung nach noch einmal verschärft?
LÜDECKE Wie gesagt, wenn man ein Mehr an Zerrüttung noch für möglich hält, dann trotz Unschuldsvermutung: ja. Aber auch ohne diesen zusätzlichen Verdacht ist das Hirtenprofil eines Bischofs, dessen
Kommunikation maßgeblich in äußerungsrechtlich gedrechselten Presseerklärungen unter strafanwaltlichem Geleitschutz besteht, nicht mehr erkennbar.
Wie würde sich denn die Lage im Erzbistum mit einer Verurteilung Woelkis ändern?
LÜDECKE Würde Woelki verurteilt, ist offen, ob, wie und wann der Papst darauf reagiert. Eine kirchliche Straftat wäre der Meineid vor einem weltlichen Gericht nicht. Aber wird der Papst auch das unter Kommunikationsproblemen verbuchen? Es wäre wohl von Verharmlosung nicht mehr zu unterscheiden.
Alle warten auf eine Entscheidung des Papstes. Wann könnte diese kommen?
Die im amtlichen Zurichtungsapparat sorgfältig formatierten und selektierten Bischöfe sind nun mal die entscheidenden Stützen des Systems. Rom greift erfahrungsgemäß in zwei Fällen ein – zum einen, wenn ein Bischof relevante Rechtsverstöße begeht oder in einen widerständigen Lehrdissens geht, zum anderen, wenn seine Amtsführung zu schwerem Ärgernis oder pastoraler Zerrüttung führt. In Köln ist das allerdings längst der Fall. Hier kann man zusehen, wie jemand mit seiner eigenen auch die Glaubwürdigkeit der Kirche regelrecht zerlegt. Sollte das überhaupt noch zu steigern sein, dann sicher durch einen vorbestraften Erzbischof und Kardinal.
Sollte das Rücktrittsangebot von Kardinal Woelki als Erzbischof angenommen werden, wie ginge es dann weiter in Köln?
LÜDECKE Nimmt der Papst das Rücktrittsgesuch Woelkis endlich an, steht zunächst die Bischofsbestellung nach dem Preußen-Konkordat an. Vielleicht werden – wie in Paderborn – Laien an den Kandidatenvorschlägen
beteiligt, sicher nicht an der Wahl. Dann müssen die Domkapitulare unter drei Männern, die der Papst listet und von denen kein einziger von irgendjemandem vorgeschlagen worden sein musste, den Nachfolger Woelkis wählen. Was für ein Zwergenwahlrecht!
Und dann?
LÜDECKE Dann wird man sehen, ob die Laien wirklich etwas begriffen haben oder ob es kölsch heißen wird: Woelki ist weg, es lebe der Bischof, denn es kann ja nur besser werden. Der Neue braucht ja eine Chance. Aber mal ehrlich: Wofür eigentlich? Man sollte sich besser fragen: Warum agiert Woelki, wie er es tut? Ganz einfach: weil er es kann. Und er kann es, weil die katholische Doktrin, manche würden sagen: Ideologie, und deren kirchenrechtliche Umsetzung es ihm zugestehen. Und der Neue wird es – wie seine übrigen Amtskollegen auch – ganz genauso können. Verhält er sich anders, ist das nett, aber doch bloß feudaler Goodwill, auf den seine Schafe mitnichten ein Recht haben. Sie können allenfalls von Glück sagen, unter einer netten Woelki-Variante
ihren Glauben leben zu dürfen.
Welche Rolle können dabei die Laien spielen?
LÜDECKE Entweder, die Laien werden wieder zu geistlichen Kindern und zufriedenen Schafen, oder sie wechseln auf die Emanzipationsspur mit dem Risiko, dass die Hierarchie lieber auf sie verzichtet, als substanzielle Änderungen zu akzeptieren, die diesen Namen verdienen. Denn die wären mit Machteinbuße verbunden. Und das ist in der vom Sohn Gottes gestifteten Ständekirche nicht vorgesehen. Die Laien müssen sich halt fragen, zu wie viel Gesinnungsopfer sie bereit sind, um katholisch integriert zu bleiben. Schon Kant wusste: Unmündig bleiben ist bequem. Aber will man sich dann noch im Spiegel sehen? Ich kann nur immer wiederholen: Wer die Person Woelki für das Problem hält und für gelöst, wenn er weg ist, weicht der Katho-Realität immer noch verharmlosend aus. Und sie wird ihn so sicher einholen wie das Amen in der Kirche.