Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Rückkehr der Faulpelz-Debatte
Im Schlagabtausch um das Bürgergeld ging es auch um die Frage, welche Sanktionsmöglichkeiten der Staat benötigt, um Menschen in Arbeit zu bringen. Dahinter steht ein populistisches Bild von Armut.
Nun haben sich die Parteien auf einen Kompromiss zum Bürgergeld geeinigt. Mehr Sanktionsmöglichkeiten für den Staat, weniger Schonvermögen für Bezieher staatlicher Leistungen lautet die neue Linie. Die Union sah mehr Bedarf, dem möglichen Missbrauch von Sozialleistungen entgegenzuwirken. Die „Vertrauensoffensive“, die von der Ampelkoalition angestrebt worden war, ging CDU und CSU zu weit.
Bemerkenswert ist die Debatte, die bis zu diesem Punkt geführt hat. Hat sie doch wieder offenbart, dass nicht nur die Wirtschaft Konjunkturzyklen unterliegt, sondern auch der Blick auf Armut – und arme Menschen. Denn hinter den Debatten steht die Frage, welches Armutsbild gerade vorherrscht.
Die Vorstellung, Transferempfänger seien „nur zu faul“zum Arbeiten und müssten mit Sanktionen oder dem Verlust ihres Ersparten bedroht werden, um sich nicht auf staatlichen Leistungen „auszuruhen“, hat eine lange Tradition. In England begann man schon um 1600 zwischen „deserving poor“und den „ablebodied poor“zu unterscheiden. Also zwischen Armen, die Hilfe verdienen, etwa weil sie alt, krank, kriegsversehrt sind und jenen, die eigentlich körperlich in der Lage wären, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten. Dieser Ansatz findet sich bis in die Gegenwart auch in Deutschland. Mal schlägt das Pendel eher in Richtung Sozialmissbrauchsdebatte, wie um 2002, als mit den HartzIVReformen der Sanktionsdruck auf arbeitslose Menschen erhöht wurde. Dann schlägt das Pendel wieder zurück, die Stigmatisierung von Armut wird beklagt und über bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Auch die Armutsforscherin Susanne Gerull glaubt, dass die lange Tradition, Menschen in „würdige und unwürdige Arme“zu unterscheiden, bis heute nachwirkt. Armut werde individualisiert. Dadurch könnten sich die politisch Verantwortlichen ihrer Verpflichtung zum Gegensteuern entziehen. „Aktuell sind das vor allem die Politiker und Politikerinnen der Opposition“, sagt Gerull. Bis heute geht es in diesen Debatten also nicht um die Ursachen von Armut, sondern um das Verhältnis zwischen Gebenden und Nehmenden, zwischen Steuerzahlern und Transferempfängern, um den Preis für sozialen Frieden.
Dass in der aktuellen Bürgergelddebatte das Missbrauchsargument so stark wurde, habe unter anderem mit dem derzeitigen Fachkräftemangel zu tun, vermutet der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. Wenn es viele unbesetzte Stellen gebe, greife die Vorstellung, es gebe schließlich genug Arbeit, es müsse also Millionen Erwerbslose geben, die sich nicht anstrengten, um einen Job zu finden und das Land voranzubringen. Die FaulpelzUnterstellung geht also einher mit dem Vorwurf mangelnden Gemeinsinns.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich in einem Leben mit Sozialleistungen einrichten und wenig dagegen unternehmen. Die Ampelkoalition wollte weg von Drohungen hin zu mehr Förderung, doch gibt es Förderangebote auch jetzt schon. Sie erzielen aber vielfach nicht die gewünschte Wirkung. Es wäre falsch, diese Befunde als reine Neiddebatte abzutun. Natürlich stellt sich die Gerechtigkeitsfrage, wenn Menschen mit niedrigem oder sogar mittlerem Einkommen für drastische Teuerungen etwa bei der Energie weitgehend selbst aufkommen müssen, während Empfänger von Sozialleistungen die Belastungen weitergeben können.
Die aktuelle Debatte um das Bürgergeld hat allerdings noch eine neue
Wendung genommen. Sie begann zwar mit dem bekannten Vorwurf, bei einem zu hohen Bürgergeld wolle „niemand mehr arbeiten“, konzentrierte sich dann aber auf das Schonvermögen, das im Falle einer Erwerbslosigkeit unangetastet bleiben soll. „Es gab also eher den Vorwurf, dass womöglich an reiche Menschen Geld gezahlt werde, der Steuerzahler also für die Falschen aufkommen müsse“, sagt Butterwegge. Das sei nicht der „Sozialneid nach unten“, der im FaulpelzVorwurf stecke, sondern eher „Sozialneid nach oben“, der aber nicht Multimilliardäre, sondern in Existenznot geratene Mittelschichtangehörige treffe. Darum wundert es den Politikwissenschaftler, dass gerade das bürgerliche Lager gegen das Schonvermögen aufbegehrt hat. Die Union habe schließlich zu Beginn der Pandemie noch mitentschieden, dass etwa Kleinunternehmer oder Freiberufler mithilfe von Hartz IV durch die Krise kommen, ohne ihr Angespartes antasten zu müssen. Butterwegge vermutet daher, dass es der Opposition eher darum gegangen sei, bei einem Gesetz, das die Zustimmung im Bundesrat benötigt, die Muskeln spielen zu lassen.
Menschen in den Vordergrund der Debatte zu rücken, die sich aus Bequemlichkeit für die Erwerbslosigkeit entscheiden, hat womöglich auch einen psychologischen Effekt, der in Krisenzeiten wichtig wird: Die FaulpelzVorstellung bietet Entlastung für alle, die arbeiten, aber Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg haben. „Wenn man Erwerbslose zu Drückebergern erklärt, die lieber Bier trinken und fernsehen als zu arbeiten, rückt man als leistungsbereiter Mensch auf maximale Distanz“, sagt Butterwegge. Man habe dann mit den Armen nichts zu tun, könne auch künftig nie zu ihnen gehören und müsse deren Schicksal folglich nicht fürchten.
Weder eine Schmarotzerdebatte noch gutmeinendes Hinwegsehen über Sozialmissbrauch helfen jedoch, die eigentliche Aufgabe anzugehen: die Beseitigung von Armut.
Zwischen „würdigen“und „unwürdigen“
Armen zu unterscheiden, hat eine lange Tradition