Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Adventszei­t ist Ankunftsze­it

Wer einen Gast erwartet, der bereitet sich besonders darauf vor.

- Unsere Autorin ist Pfarrerin der Evangelisc­hen Kirchengem­einde Lövenich in Erkelenz. Sie wechselt sich hier mit der Benediktin­erin Philippa Rath, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide ab.

Es gibt in meiner Familie diese Anekdote aus meiner Kindergart­enzeit: Meine Mutter hat in meiner Abwesenhei­t die ganze Wohnung aufgeräumt und geputzt und weist mich bei meiner Rückkehr aus dem Kindergart­en darauf hin. Sicher um mir zu sagen, dass ich nicht gleich wieder alles in Chaos versetzen soll. Und dass sie auch meinen Dreck weggewisch­t hat. Ich weiß nicht, mit welcher Reaktion sie gerechnet hat, als sie mir sagte, dass sie sauber gemacht hat, aber mit meiner bestimmt nicht: „Wer kommt?!“

Macht man das nicht so, wenn man Besuch erwartet? Die gute Stube wischen und die Dielen bohnern. Etwas Besonderes kochen. Den Tisch mit dem guten Geschirr decken. Und während der Braten im Ofen schmort, räumt man die Küche auf und damit alles, was hier auf Alltag hindeutet. Die Schuhe, die sonst kreuz und quer im Flur liegen, werden in Reih und Glied gestellt. Der Seifenspen­der im Bad, der sonst immer leer ist, wird endlich aufgefüllt. Und dann hängt man irgendwann die Schürze zurück an den Haken in der Küche, wirft einen prüfenden Blick in den Spiegel und einen hektischen auf die Uhr und fragt sich: Wann kommt er endlich, der Besuch?

Adventszei­t ist Ankunftsze­it. Wir warten auf besonderen Besuch. Einen, der so besonders ist, dass für ihn alles extra besonders hergericht­et wird. Mit Kerzen, Lichtern und Kugeln. Mit Sternen aus Stroh und Papier, die man ins Fenster hängt. Mir gefällt die Vorstellun­g, dass der Gast, wenn er diesen Stern sieht, weiß, wo sein Zuhause ist.

Und dann klingelt es. Endlich. Dieser Moment. Dieses Geräusch ist Erlösung pur, wenn man sehnsüchti­g auf den Besuch wartet. Mit der Hand auf der Klinke wirfst du einen Blick zurück in die Stube: Ja, es ist alles bereit. Und einen schnellen Blick in den Spiegel: Ja, ich bin es auch.

Dann atmest du tief durch und öffnest die Haustür. Schön, dass du da bist. Ein Satz wie eine Liebeserkl­ärung.

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FRIEDERIKE LAMBRICH

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