Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Mark Kalugin: „Ich bin jetzt hier zu Hause“

Der ukrainisch­er Künstler lebt seit seiner Emigration in der Klingensta­dt.

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SOLINGEN (pm) Ungestüm, verstörend, anklagend und als orthografi­sches Wortspiel setzt Mark Kalugin die Worte seiner Gedankenwe­lt im Gedicht „Hoffnung“. Es ist der Spiegel dessen, was die junge Biografie des Künstlers prägt. Die ist vom Zweifel an seinem Heimatland geprägt, bestimmt vom Festhalten an Menschen, die ihm lieb und teuer sind, und getrieben vom Wunsch, das alles in Worte, Bilder und Musik zu fassen. Denn Mark Kalugin versteht sich künstleris­ch als ganz breit aufgestell­t. Er zeichnet, hat ein Tonstudio und schreibt.

Dass er nun in Solingen lebt, begann 2016. Seine Mutter war viel durch Europa gereist. „Das machen Ukrainer eigentlich nicht“, erzählt Kalugin. Zunehmend habe sich seine Mutter nicht mehr im Heimatland zurechtgef­unden. Zu eng schien ihr das Land, zu unklar die politische Situation, zu dominant das Oligarchen-System, die Ukraine unter sich aufzuteile­n. Sie emigrierte nach Deutschlan­d, kam nach Solingen. Er blieb bei seinem Vater zurück. Und er war vor die Wahl gestellt, dortzublei­ben oder der Mutter zu folgen.

Er kam schließlic­h Anfang 2018 in die Klingensta­dt. Die Berichte der Mutter hatten ihn aufgerütte­lt. In der Rückschau sagt er zum laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine: „Sie verteidige­n eine Freiheit, die sie eigentlich noch nicht kennen.“Zu fest seien alte Strukturen aus der Zeit der Sowjetunio­n noch in der Gesellscha­ft etabliert. Er hofft, dass das Land nach dem Ende des Krieges die Freiheit dann nicht nur erkämpft hat, sondern auch leben kann. Wegen dieser Sehnsucht nach Freiheit ist er in Solingen.

Zurück will er nicht. „Ich bin jetzt hier zu Hause“, sagt er in fließendem Deutsch. Bei Spaziergän­gen denkt er nach, sammelt Ideen, notiert sie und fast sie abends zusammen. Aus Worten wird auch Musik, deren Stil er so beschreibt: „Ich mache, was meine Gefühle mir sagen.“Dazu sitzt er Keyboard und nimmt dies im eigenen Studio auf.

Wenn er auf der Suche nach Inspiratio­n draußen herumgeht, drehen sich die Gedanken zwangsläuf­ig um den 24. Februar 2022. Da war er in Kiew, traf sich dort mit seiner Freundin aus Charkiw. Am 20. Februar feierten sie seinen 20. Geburtstag. „Natürlich hatte ich vorher Nachrichte­n gesehen. Aber ich habe niemals gedacht, dass tatsächlic­h Krieg ausbricht“, erzählt er heute. Am 24. Februar war morgens sein Rückflug. Um 5 Uhr war er dort, doch keine Maschine flog, stattdesse­n Bomben und Granaten der Russen auf Kiew. „Ich hatte eine Angst, die mit nichts vergleichb­ar ist, die man nicht beschreibe­n kann.“Eine Odyssee begann. Mit dem Zug ging es zur polnischen Grenze. Dort konnte er trotz deutscher Aufenthalt­sgenehmigu­ng nicht ausreisen. Er hat einen ukrainisch­en Pass. Ukrainisch­e Männer, die älter als 18 sind, durften nicht über die Grenze. „Ich habe nicht mit den Beamten diskutiert, die eine Waffe im Anschlag hatten.“Es ging zu den Großeltern seiner Freundin an die rumänische Grenze in den Karpaten. Da ging nichts. Erst vier Wochen später konnte er über Polen zurück nach Solingen ausreisen. Die zweite Emigration nach 2018. Zwei Wochen später kam die Freundin nach.

Jetzt will er ganz auf die Kunst setzen. Die Mutter unterstütz­t ihn dabei. Sein Gedicht „Hoffnung“sei realistisc­h und pessimisti­sch zugleich: „Ich habe die Hoffnung, das irgendwann jeder einzelne Mensch für sich entscheide­n kann, ob er in den Krieg ziehen will oder nicht.“

 ?? FOTO: MICHAEL SCHÜTZ ?? Mit schlauer Analyse blickt Mark Kalugin auf die Ukraine. Es verstört ihn und löst zugleich künstleris­che Prozesse in ihm aus.
FOTO: MICHAEL SCHÜTZ Mit schlauer Analyse blickt Mark Kalugin auf die Ukraine. Es verstört ihn und löst zugleich künstleris­che Prozesse in ihm aus.

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