Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Eine Königin am Niederrhein
In der Erkelenzer Pfarrkirche St. Lambertus steht der größte Orgelneubau im Bistum Aachen seit vielen Jahren. Bei einigen der 55 Register muss der Organist um seine Gesundheit fürchten.
Ursprünglich hatten die Erkelenzer eine Orgel mit drei Manualen und Pedal geplant, dann aber war es ausgerechnet Olivier Latry, einer der Titularorganisten von NotreDame in Paris, der dringend für ein viertes, ein Solo-Werk warb. Es sollte aus jenen beiden spanischen Trompeten in Acht- und Vier-Fuß-Lage und einem Cornet bestehen und der Farbpalette der Orgel noch drei Elemente von erhöhter Intensität zufügen. Da die Trompeten direkt über dem Organisten eingebaut sind und tatsächlich sehr bissig klingen, können sie sein Gehör bei übermäßigem Gebrauch mehr als nur zwicken. Herr Knauer, schützen Sie sich vor dem Tinnitus!
Beim Blick von unten sieht man die Verteilung der einzelnen Werke schulbuchartig. Über der Brüstung hängt das Rückpositiv, dem gleichsam die schnelle Kontaktaufnahme mit dem Ohr des Hörers obliegt. Die imperialen 16-Fuß-Prinzipale des Pedals schließen das Pfeifenwerk zu beiden Seiten ab. Das Schwellwerk sieht man von unten dagegen nicht, was es mysteriös erscheinen lässt. Sein Reiz: Durch die beweglichen Jalousien lässt sich die Lautstärke per Fußtritt verändern, was dem Klang der Pfeifen etwas Dynamisches, Atmendes, zuweilen auch Schnaubendes verleiht. Jene Contraposaune steht hinter der Orgel, was ihren Klang faszinierend gefährlich macht. Sie tönt aus der Tiefe des Raumes.
Überhaupt ist Erkelenz ein Musterbeispiel einer Orgelbaukunst, die begrenzten Raum ökonomisch nutzt und immer auch Kompromisse eingeht. Natürlich verstellt die Orgel jetzt ein Kirchenfenster, aber man kann eben nicht alles haben. Je nach Lichtverhältnissen ahnt man das Licht aber, das von hinten aufs Orgelgehäuse fällt – und weil es künstlerisch mit Blautönen gestaltet ist, gibt es ohnedies ein lebhaftes Farbenspiel.
Natürlich ist das hier musikalischer Luxus, keine Frage. Aber die Erkelenzer Katholiken haben sich viele Jahre in dieses ehrgeizige Projekt gekniet. Die Rolle einer lebendigen Musica sacra ist ihnen wichtig. Sie lieben die Orgel, ihren aufbauenden, erhebenden, tröstenden Klang. Und sie mögen es – wenn sie schon 1,3 Millionen Euro kollektieren –, wenn die Orgel aus tiefer Not und mit größter Kraft ruft. Selbstverständlich wird Kantor Knauer hier eine rege Orgelkonzertreihe starten, mit prominenten internationalen Gästen. Organisten aus der Umgebung werden stets am ersten Samstag im Monat (sowie an den vier Adventssamstagen) jeweils um 11.30 Uhr die sogenannten „AngelusKonzerte“gestalten.
Was die neue Orgel kann, ist schon jetzt im Internet zur Bestaunung freigegeben. Der famose englische Organist Jonathan Scott hat in Erkelenz bei den Einweihungskonzerten im Sommer konzertiert und später, in einer nächtlichen Sitzung, die Orchestersuite „Die Planeten“des Spätromantikers Gustav Holst in einem eigenen Orgelarrangement aufgenommen – mit einem spektakulären Film seines Bruders Tim Scott. Die YoutubeAufnahme zeigt, wie die Orgel hier vollends zum Riesenorchester wird, bei dem der Organist Dirigent und instrumentale Hundertschaft in einer Person ist. Schon das erste Stück „Mars“(nach dem gleichnamigen Kriegsgott) reißt die Wolkendecke weg. Dieser „Mars“macht einen mobil. Er zeigt uns den Zorn des Himmels – und abermals die dunkle Seite der Macht.