Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Russland nimmt Cherson wieder unter Beschuss
Die von der Ukraine zurückeroberte Stadt kommt nicht zur Ruhe. Der Winter könnte dem Krieg eine neue Wendung geben.
CHERSON/KIEW (ap/dpa) Russland hat die kürzlich von ukrainischen Truppen zurückeroberte Stadt Cherson und deren Umgebung nach Angaben der ukrainischen Behörden massiv beschossen. Bei mehr als 50 Angriffen seien auch Wohnhäuser von Granaten getroffen worden, berichtete Militärgouverneur Jaroslaw Januschewitsch am Sonntag im Nachrichtenkanal Telegram. Demnach gab es dabei mindestens einen Toten und zwei Verletzte. Zahlreiche Bewohner Chersons fliehen angesichts des russischen Bombardements aus der Stadt. Insgesamt seien binnen 24 Stunden in verschiedenen ukrainischen Gebieten durch russische Angriffe sieben Zivilisten getötet worden, hieß es vom Präsidialamt in Kiew. Die von Russland
unterstützten Separatisten in Donezk berichteten am Sonntag von drei getöteten Zivilisten. Die Ukraine warf Russland zum wiederholten Male Terror und gezielte Angriffe auf Zivilisten vor. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen.
Unter dem Druck ukrainischer Angriffe hatten russische Truppen Cherson nach mehr als acht Monaten Besatzung Mitte November geräumt. Die Lage in der Stadt mit einst etwa 300.000 Einwohnern ist auch wegen der Zerstörungen der Stromleitungen und der Infrastruktur kritisch.
Bei einem russischen Raketenangriff ist nach ukrainischen Angaben am Wochenende zudem die Großstadt Krywyj Rih im Süden des Landes getroffen worden. Zwei Raketen hätten am Sonntagmorgen eine Verkehrsinfrastruktureinrichtung zerstört, teilte der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, im Nachrichtenkanal Telegram mit. Einzelheiten nannte er nicht. Die Militärverwaltung rief die Bevölkerung auf, sich in Luftschutzkellern in Sicherheit zu bringen. In der Stadt sei es zu Explosionen gekommen.
In mehreren Gebieten im Osten und Süden der Ukraine wurde Luftalarm ausgelöst. Auch der Bezirk Nikopol nördlich des Flusses Dnipro wurde nach ukrainischen Angaben mit Granaten und schwerer Artillerie beschossen. In der Nacht zum Sonntag trafen außerdem zwei Raketen einen landwirtschaftlichen Betrieb in einem Vorort der südukrainischen Stadt Saporischschja, wie das Militär mitteilte. Tote oder Verletzte habe es nicht gegeben.
Nach verbreiteten Regenfällen, die auf manchen Schlachtfeldern in der Ukraine zu schlammigem Terrain führten, schneite es am Sonntag in der Hauptstadt Kiew. Winterwetter und in den kommenden Tagen erwartete gefrorene Böden an der Front könnten das Kampfgeschehen beeinflussen, erklärte das Institute for the Study of War (ISW ), eine Denkfabrik mit Sitz in Washington.
Es sei unklar, ob eine der Kriegsparteien gegenwärtig eine größere Offensive oder Gegenoffensive plane. Aber die meteorologischen Faktoren, die solche Operationen aktuell behindern, stünden vor der Auflösung, erklärte das ISW am
Samstag. Die russischen Truppen grüben sich östlich der Stadt Cherson ein, aus der sie Mitte November vertrieben wurden, und setzten den „routinemäßigen Artilleriebeschuss“über den Fluss Dnipro fort.
Russland hat nach Einschätzung britischer Geheimdienste in der schwer umkämpften Region Donezk viele Gefallene zu beklagen, so das britische Verteidigungsministerium. Rund um die Städte Pawliwka und Wuhledar im Süden der Region habe es intensive Kämpfe mit schweren Verlusten der russischen Marineinfanterie gegeben, so das britische Verteidigungsministerium. London wertet die Kämpfe auch als Zeichen dafür, dass Russland die Region als möglichen Startpunkt einer Offensive Richtung Norden sieht.