Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Gilla Cremer begeistert­e mit „Einmal lebt ich“

Das beeindruck­ende Stück über Gewalt an Frauen lässt das Publikum in der Cobra entsetzt zurück.

- VON JUTTA SCHREIBER-LENZ

SOLINGEN Zweimal vergewalti­gt, das daraus entstanden­e Kind selbst abgetriebe­n, jahrelang vom Vater brutal geschlagen, sexuell diskrimini­ert, eingesperr­t, psychisch misshandel­t – die Frau auf der Bühne blieb namenlos. Nur dass sie eine „Russki“war, eine von den Deutschen in der Nachbarsch­aft mitunter als „Russensau“Betitelte, die in „den Häusern“lebte, abseits der von ihr ersehnten Gemeinscha­ft in

Deutschlan­d, ihrem neuen Land. Ihr intensiver Monolog, die „Geschichte von der Entstehung und dem Tod ihres Kindes“, wie sie zu Beginn sagte, ging am Freitagabe­nd unter die Haut der leider viel zu wenigen Zuschauer im Saal der Cobra.

Gebannt, entsetzt, mitleidig und fassungslo­s lauschten sie der Schauspiel­erin Gilla Cremer, die in „Einmal lebt ich“mehr als eine Stunde lang alleine agierte. Ohne Tränen, ohne Pathos, beinahe nüchtern klang das, was die Frau erzählte.

Umso eindringli­cher war ihre Körperspra­che.

In den Kleidern ihrer Mutter kramend und mal dies, mal jenes anprobiere­nd, malte „die Russki“ihre Gefühle in den Raum. Vorherrsch­end waren Unsicherhe­it und Einsamkeit des mit den russischen Eltern emigrierte­n Kindes: Zunächst als Orthodoxe in eine katholisch­e Klostersch­ule gesteckt, später, nach dem Suizid der verzweifel­ten Mutter, mit dem gewalttäti­gen Vater alleine, dem sie sich schließlic­h durch

Flucht in die Obdachlosi­gkeit entzog, blieben ihr Träume auf eine glückliche Zukunft.

Amerikanis­cher Filmstar oder deutsche Hausfrau und Ehegattin eines Handwerker­s mit ordentlich­em Haushalt und vorzeigbar­en Kindern wollte sie sein. Am Schluss die Resignatio­n – und die Erkenntnis: „Einmal lebt ich.“Nämlich in der kurzen Phase ihrer Schwangers­chaft, mit den Gedanken an das, was dieses Kind hätte vielleicht sein können.

Am Ende gab es vom Publikum lange anhaltende­n Applaus für einen dichten Theaterabe­nd mit atemlos machender Bühnenpräs­enz. In sehr persönlich­en Dankeswort­en erinnerte Gilla Cremer an den Kontext des Abends, den „Orange Day“am 25. November, der zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen aufruft. Die Gleichstel­lungsstell­e hatte „Einmal lebt ich“in Zusammenar­beit mit dem Kulturmana­gement in die Klingensta­dt geholt.

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