Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Bagger ist schon da

In Lützerath bereiten sich die Aktivisten auf die Räumung vor. Zugleich versuchen sie, auf Zeit zu spielen, damit sich die Aktion der Polizei in die Länge zieht. Ein Stimmungsb­ild aus dem Dorf im Rheinische­n Revier.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

LÜTZERATH Der gigantisch­e Bagger wirft in der tief stehenden Dezemberso­nne kurz vorm Jahreswech­sel bereits seine Schatten auf die Mahnwache, die kaum 50 Meter von dem monströsen Ungetüm aus Metall entfernt ist. So nah soll der Bagger, der sich unnachgieb­ig durch das rheinische Braunkohle­revier frisst, noch nie an den Zelten und Wohnwagen gestanden haben. RWE habe ihn erst am Mittwoch absichtlic­h so dicht an die Abbruchkan­te herangerüc­kt, meint ein junger Mann aus Bayern, der gerade erst in Lützerath angekommen ist und über die noch verblieben­e, teils schon zugewachse­ne Hauptzufah­rtsstraße ins Dorf schlendert. „Damit wollen sie uns demonstrat­iv den Mittelfing­er zeigen“, sagt er. Aber davon lassen er und die anderen Aktivisten sich nicht mehr beirren. Zu viel haben sie in den vergangene­n Monaten erlebt, ausgehalte­n und miteinande­r durchgesta­nden. „Sollen sie ruhig kommen“, sagt der Mann aus Bayern kämpferisc­h.

Lützerath, das jahrhunder­tealte Örtchen, das zu Erkelenz gehört, ist zum Symbol des Widerstand­s gegen die Braunkohle geworden. Aktivisten, die aus aller Welt kommen, kämpfen für den Erhalt des Dorfes, um das Klima zu schützen. Das Dorf ist fest in ihrer Hand. Lützerathe­r leben dort schon lange nicht mehr. In ihren Häusern wohnen nun Aktivisten. Der letzte Einwohner, Landwirt Eckardt Heukamp, der an der Abbruchkan­te Möhren angebaut und lange Widerstand geleistet hat, hat seine landwirtsc­haftlichen Flächen notgedrung­en an den Energieerz­euger verkauft; das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Münster hatte entschiede­n, dass RWE den Ort abbaggern darf.

Nun soll die Ortschaft, die mit ihren provisoris­chen Straßenspe­rren, Checkpoint­s, verlassene­n Häusern und teils vermummten Menschen an postapokal­yptische Filme erinnert, in wenigen Tagen geräumt und dann dem gewaltigen Bagger preisgegeb­en werden, der schon an der Abbruchkan­te wartet. Wann die Räumung genau erfolgen wird, weiß niemand im Dorf – es wird vermutet, dass es irgendwann ab dem 10. Januar so weit sein wird.

Jule ist seit einem Jahr in Lützerath. Die Mitdreißig­erin sitzt auf einer Holzbank vor der Mahnwache und blickt auf den Schaufelba­gger, der so nah herangerüc­kt ist. Neben ihr sitzen und stehen weitere Aktivisten;

einige sind gerade erst im Dorf angekommen. Die Stimmung ist gelassen. „Es ist die Ruhe vor dem Sturm“, meint Jule. Man bereitet sich auf den Tag X vor. Dazu zählt auch, Plätze zu schaffen, um alle Aktivisten unterzubri­ngen, von denen täglich mehr kommen. Wie viele von ihnen in Lützerath mittlerwei­le sind, lässt sich nur schwer schätzen – vielleicht 100, vielleicht 150, vielleicht auch mehr. Es sind überwiegen­d junge Erwachsene, darunter viele Frauen. Sie wohnen in provisoris­chen Holzbarack­en. Es gibt auch einige windschief­e Baumhäuser, die den teils sehr starken Böen trotzen. Es ist trist und kahl – Endzeitsti­mmung. „Wir haben schon Angst. Wir müssen davon ausgehen, dass die Polizei mit Gewalt vorgehen wird, wenn die Räumung beginnt“, sagt Jule.

Noch fahren vereinzelt Lastwagen und Autos ins Dorf. Ab dem 2. Januar soll damit Schluss sein. Die Straße wird entwidmet. Absperrung­en, die schon am Straßenran­d der Zuwege liegen, werden dann aufgestell­t. Nur noch zu Fuß wird es dann möglich sein, nach Lützerath zu kommen.

Bis zum 9. Januar wird die Mahnwache geöffnet bleiben – ursprüngli­ch sollte sie schon zum Jahreswech­sel schließen. Doch die Frist ist verlängert worden. Bis dahin ist es legal möglich, ins Dorf zu kommen. „Ab dem 11. Januar wird ein Zaun um Lützi gebaut“, sagen die Aktivisten.

Ab dann irgendwann rückt die Polizei im Dorf ein.

Jule ist enttäuscht von der Politik – insbesonde­re von den Grünen. „Bevor sie gewählt worden sind, haben sie sich hier mit dem Ort geschmückt und waren hier. Aber das Verhalten der Grünen zeigt auch, wie das System funktionie­rt. Leute, die in Regierungs­verantwort­ung kommen, können offenbar nicht anders, als sich nach den kapitalist­ischen Grundsätze­n zu richten“, sagt sie. Nordrhein-Westfalens Wirtschaft­s- und Klimaschut­zministeri­n Mona Neubaur (Grüne), Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) und RWE hatten Anfang Oktober einen um acht Jahre auf 2030 vorgezogen­en Kohleausst­ieg im Rheinische­n Revier vereinbart. Zu der Vereinbaru­ng gehört allerdings auch, dass zwei Kraftwerks­blöcke, die eigentlich schon zum Jahresende abgeschalt­et werden sollten, wegen der Energiepre­iskrise mindestens bis Ende März 2024 in Betrieb bleiben. Zudem soll Lützerath abgerissen werden, um dort Kohle zu fördern. Auch der Bundestag hatte das Ausstiegsg­esetz gebilligt. „Das zeigt, dass wir einen Systemwech­sel brauchen“, sagt Jule.

Erdwälle und Gräben durchziehe­n Lützerath. Holzpflöck­e, teils angespitzt, sind in den matschigen Boden geschlagen. Am Ortseingan­g sind Pflasterst­eine angehäuft, es gibt Blockaden aus Unrat. Die Aktivisten wollen den Polizeikrä­ften standhalte­n – und spielen auf Zeit. Ihr Ziel ist es, möglichst bis zum 28. Februar auszuharre­n und bis dahin Widerstand zu leisten. Dann endet die Rodungssai­son in NRW. „Unsere Strategie ist es, den Preis für die Räumung so hoch wie möglich zu treiben. Die Polizei hat nur ein sehr eingeschrä­nktes Zeitfenste­r. Ab Mitte Februar ist auch noch Karneval, da braucht die Polizei auch viele Kräfte, die dann hier nicht mehr sein können“, sagt Jule. „Wenn wir es wirklich schaffen, dass wir hier sehr viele Leute werden, dann ist es nicht unwahrsche­inlich, dass wir unser Ziel erreichen“, sagt sie. „Es ist unsere größte Hoffnung, dass der Protest wirklich groß wird. Wir hoffen, dass viele Menschen kommen werden und Zeuge von dem hier werden“, sagt Jule.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Ein Braunkohle­bagger arbeitet mittlerwei­le ganz in der Nähe des Protestcam­ps.

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