Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Lange Wartezeiten für Therapieplätze
Die Opposition wirft der Landesregierung Planlosigkeit beim Thema seelische Gesundheit vor.
DÜSSELDORF Oppositionspolitiker haben vom Land eine Übersicht verlangt, wie lange psychisch Erkrankte in NRW auf einen Termin für ein Erstgespräch warten müssen und wie es um die Versorgung mit und Besetzung von Kassensitzen bestellt sei. Die Bundespsychotherapeutenkammer hatte erst Anfang des Monats bekannt gegeben, dass Patienten im bundesweiten Schnitt rund 142 Tage auf ein Erstgespräch mit einem Therapeuten warten müssen.
Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hat nun zwei kleine Anfragen der SPD-Abgeordneten Lisa-Kristin Kapteinat und Rodion Bakum beantwortet, die unserer Redaktion vorliegen. Darin erklärt Minister Karl-Josef Laumann (CDU) unter anderem, es gebe keine strukturierte Erfassung von Wartezeiten für Termine im ambulanten ärztlichen Bereich.
Bei den Fragestellern führt das zu massiver Kritik. „Wir brauchen ein politisches Rezept für die seelische Gesundheit in unserem Land: mehr Fachkräfte, mehr Kassensitze, mehr Aufmerksamkeit“, sagte Bakum unserer Redaktion. „Ich habe kein Verständnis für die Planlosigkeit der Landesregierung.“Man wisse seit Langem, dass die ambulanten Psychotherapeuten in Deutschland am Limit seien und sich die Wartezeiten auf eine Richtlinien-Psychotherapie in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt haben. „Dabei sind die Auswirkungen der aktuellen Krisen – Krieg, Klima, Keime – noch gar nicht einberechnet. Wir wissen nur: Wir brauchen ein politisches Rezept, um der drohenden sozialen Pandemie vorzubeugen.“
Nach den Ausführungen des Ministers waren in NRW mit Stand Oktober zwar 5451 Psychotherapeuten vollzeitäquivalent tätig. Dem gegenüber standen für sie aber gerade einmal 4022 Kassensitze. Nur je ein halber Kassensitz war in Oberhausen und Gütersloh noch frei. Zwar gibt es nach den Quotierungsregeln des Gemeinsamen Bundesausschusses für Nordrhein-Westfalen in den versorgten Regionen noch weitere potenzielle 163 Kassensitze; die sind allerdings Fachärzten für psychosomatische Medizin und ärztlichen Therapeuten vorbehalten. Damit liegt die Vermutung nahe, dass schon die Zahl der Kassensitze für klassische Psychotherapeuten zu knapp bemessen ist.
Laumann verweist in seiner Antwort selbst darauf, dass das Land bei der Bundesgesundheitsministerkonferenz Anfang Dezember das Bundesgesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) dazu aufgerufen habe, dessen Planung zur Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung darzustellen. „Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums soll bis zum Ende des ersten Halbjahres 2023 ein Gesetzentwurf zur Anpassung der bisherigen Rechtslage erarbeitet werden“, schreibt Laumann.
Bakum mahnt bei dem Thema aber auch vom Land mehr Tempo an. „Als Arzt für seelische Gesundheit weiß ich aufgrund meiner Arbeit in der stationären Psychotherapie während der Höhepunkte der Corona-Pandemie, dass viele Menschen mit seelischen Erkrankungen die Krankenhäuser und Praxen gemieden haben und nun der Therapiebedarf umso höher ist, da die seelische Gesundheit mit zunehmender Wartezeit zunehmend unter Stress gerät.“Fast jeder zweite Mensch in Deutschland leide im Laufe seines Lebens an einer seelischen Erkrankung, fast 18 Millionen Menschen im Laufe eines Jahres, nicht einmal jeder Fünfte erhalte die notwendige Behandlung. „Dies trifft fast jede Familie in Deutschland. Die seelische Gesundheit geht uns alle an“, so der SPD-Gesundheitsexperte.