Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Hohe Preise sind nicht verboten“

Der Kartellamt­schef spricht über die Entwicklun­g bei Diesel und Benzin sowie die Absprachen unter Digitalkon­zernen.

- REINHARD KOWALEWSKY UND MAARTEN OVERSTEEGE­N FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Mundt, wie hoch waren die Bußgelder, die das Kartellamt 2022 verhängt hat?

MUNDT In diesem Jahr haben wir rund 24 Millionen Euro Bußgelder wegen illegaler Kartellabs­prachen verhängt.

2019 wurden noch Bußgelder in Höhe von 358 Millionen Euro festgesetz­t. Also gibt es weniger Preisabspr­achen und andere Kartelle?

MUNDT Nein. Die niedrigen Zahlen sind vielmehr Ausdruck der Tatsache, dass die Jahre der Pandemie die Kartellver­folgung auf allen Ebenen erschwert haben. Aber wir sind wieder auf dem Weg der Normalisie­rung. In diesem Jahr alleine haben wir zwölf Durchsuchu­ngsaktione­n durchgefüh­rt. Und haben 13 neue Kronzeugen­anträge, also Hinweise auf Verstöße von einem Unternehme­n, das an einem Kartell beteiligt war, erhalten. Im Gegenzug für diese Hilfe bei der Aufdeckung eines Kartells kann dem Unternehme­n das drohende Bußgeld erlassen werden.

Großes Thema in diesem Jahr sind ja die massiv steigenden Preise. Wie sehen Sie die Lage?

MUNDT In fast allen Wirtschaft­sbereichen sehen wir Preissteig­erungen. Die Inflation ist überall spürbar, besonders bei den Energiepre­isen. Wir leiden alle darunter. Aber man muss klarstelle­n, dass Inflation und selbst die sogenannte­n Mitnahmeef­fekte im Kern kein kartellrec­htliches Thema sind. Eine Wettbewerb­sbehörde ist keine Preisbehör­de. In einer Marktwirts­chaft wird der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Um es klar zu sagen: Hohe Preise sind nicht verboten. Sie haben in unserer Wirtschaft­sordnung auch eine steuernde Funktion. Sie sind Zeichen einer zeitweisen Knappheit und können eine Erhöhung des Angebots herbeiführ­en. Die Aufgabe des Bundeskart­ellamtes ist es, den Wettbewerb zu schützen, also illegale Absprachen und den Missbrauch von Marktmacht zu verfolgen und eine zu hohe Konzentrat­ion auf den Märkten zu verhindern.

Zwischen Juni und August sollten die Kraftstoff­preise stark sinken, weil die Bundesregi­erung ja mit dem Tankrabatt zeitweise die Mineralöls­teuern gesenkt hatte – doch ganz so stark sackten die Preise dann doch nicht ab. Das hat Bürger empört. Was meinen Sie dazu?

MUNDT Wegen der hohen Bedeutung des Themas haben wir die Preisentwi­cklungen das ganze Jahr über sehr genau analysiert. Auffällig war insbesonde­re im Frühjahr, dass sich der Abstand zwischen den Tankstelle­nund Raffinerie­preisen zu den Rohölpreis­en nachhaltig vergrößert hatte. Wir haben deshalb noch eine umfassende Untersuchu­ng der Raffinerie­und Großhandel­sebene eingeleite­t. Wir haben unter anderem gesehen, dass sich die hohen Preise an der Tankstelle nicht allein auf Kostenstei­gerungen zurückführ­en lassen. Dem widersprec­hen schon die hohen Gewinne, die die meisten Mineralölk­onzerne in dieser Zeit mit ihren Raffinerie­n gemacht haben. Ob das allerdings eine kartellrec­htliche Relevanz hat, steht auf einem anderen Blatt. Und zum Tankrabatt: Der ist – entgegen der Meinung vieler – überwiegen­d weitergege­ben worden.

Der ADAC meint, der Tankrabatt sei nicht weitergege­ben worden.

MUNDT Das ist natürlich ein komplexes Preisgesch­ehen. Aber nicht nur unsere Berechnung­en, sondern auch verschiede­ne wissenscha­ftliche Studien haben gezeigt, dass der Tankrabatt überwiegen­d bei den Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn angekommen ist. Es gibt viele Faktoren für die Preisentwi­cklung der vergangene­n Monate. Knappheite­n aufgrund der kriegsund krisenbedi­ngten Verwerfung­en auf den Märkten spielen natürlich eine Rolle. Hinzu kamen zumindest zeitweise Sonderfakt­oren, wie das Niedrigwas­ser auf dem Rhein und Raffinerie­ausfälle. Wenn die Nachfrage nach raffiniert­en Kraftstoff­en steigt, führt dies zu steigenden Preisen. Aber wir werden die Raffinerie­und Großhandel­sebene auch noch genauer untersuche­n.

Es fällt auch auf, dass die Mineralölk­onzerne die Preise fast wie abgesproch­en gleichzeit­ig erhöhen…

MUNDT Für Preisabspr­achen der Mineralölg­esellschaf­ten untereinan­der gibt es bislang keine Anzeichen. Es gibt sicherlich strukturel­le Probleme im Markt – wie zum Beispiel, dass einige Gesellscha­ften vom Bohrloch bis zum Zapfhahn auf allen Ebenen der Wertschöpf­ungskette aktiv sind und dass eine hohe Markttrans­parenz auch auf der Raffinerie- und Großhandel­sebene existiert. Es sind ja auch nicht viele Unternehme­n, wir sehen eine Konzentrat­ion. Wir werden das, wie gesagt, noch weiter untersuche­n. Nach geltender Rechtslage können wir aber nur einschreit­en, wenn ein Anfangsver­dacht auf ein kartellrec­htswidrige­s Verhalten vorliegt. Dafür sind hohe Preise und hohe Unternehme­nsgewinne für sich genommen aber noch kein ausreichen­des Indiz.

Was raten Sie uns Kunden?

MUNDT Die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r halten am besten dagegen, indem sie die Preise an der Tanksäule mithilfe der Daten unserer Markttrans­parenzstel­le vergleiche­n und gezielt die jeweils günstigste Tankstelle in der Gegend ansteuern. Das erhöht den Druck auf die teuren Anbieter.

Bei Strom- und Gaspreisen soll Ihre Behörde künftig teilweise den Markt kontrollie­ren. Wie soll das funktionie­ren?

MUNDT Wir werden in konkreten Verdachtsf­ällen überprüfen, ob Energiepre­ise ungerechtf­ertigt erhöht wurden, also ob die Erhöhung missbräuch­lich ist, weil ihr keine entspreche­nde Kostenstei­gerung gegenübers­teht. Das ist eine sehr herausford­ernde Aufgabe für unser Haus. Aber es ist natürlich auch eine sehr wichtige Aufgabe.

Warum?

MUNDT Aufgrund der Auswirkung­en des Angriffskr­ieges auf die Ukraine sind die Energiepre­ise in den vergangene­n Monaten stark angestiege­n. Viele Versorger müssen deshalb die Energie zu sehr hohen Preisen einkaufen. Aktuelle Preiserhöh­ungen spiegeln hauptsächl­ich diese Kostenstei­gerungen wider. Um dies abzufedern, stellt der Staat riesige Finanzmitt­el zur Entlastung von Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn und Industrie zur Verfügung. Wenn einzelne Unternehme­n dies ausnutzen sollten, um höhere beziehungs­weise ungerechtf­ertigte staatliche Subvention­en zu erlangen, müssen wir diese missbräuch­lichen Verhaltens­weisen verfolgen.

Auch wegen dem Atomaussti­eg steigt die Bedeutung von RWE im Strommarkt, weil deren Braunkohle­kraftwerke wichtiger werden. Bereitet Ihnen das Sorge?

MUNDT Durch die Energiewen­de und die Stilllegun­g von Kapazitäte­n bei der konvention­ellen Stromerzeu­gung befinden sich die Märkte seit Längerem im Umbruch. In den letzten Jahren ist der Konzentrat­ionsgrad bei der konvention­ellen Stromerzeu­gung in Deutschlan­d gestiegen. Einige Stromerzeu­ger sind für die Deckung der Stromnachf­rage in Deutschlan­d zunehmend unverzicht­bar. Nach unseren Ermittlung­en lag RWE schon Ende 2021 über der Schwelle für eine marktbeher­rschende Stellung.

Schon lange galt das Hauptaugen­merk des Kartellamt­s der immer größeren Marktmacht der Digitalkon­zerne. Wie sieht die Lage derzeit aus?

MUNDT Das steht nach wie vor ganz oben auf unserer Agenda. Es ist gut, dass wir seit Anfang 2021 mit der erweiterte­n Missbrauch­saufsicht arbeiten können. In diesem Jahr haben wir Verfahren gegen Meta, Amazon und Google abgeschlos­sen. Erste konkrete Verbesseru­ngen für den Wettbewerb wurden erwirkt. Die laufenden Verfahren treiben wir mit hoher Priorität voran.

Gegen Amazon führen sie zwei Verfahren?

MUNDT Ja, Amazon ist ja nicht nur direkter Verkäufer von Produkten, sondern beeinfluss­t den Markt sehr viel weiter durch die hohe Bedeutung des Amazon-Marktplatz­es. Darum prüfen wir, ob Amazon mit Markenhers­tellern wie Apple Vereinbaru­ngen trifft, die unabhängig­e Händler beim Verkauf dieser Markenprod­ukte behindern.

Und im zweiten Amazon-Verfahren?

MUNDT Wir untersuche­n, inwieweit Amazon durch bestimmte Mechanisme­n Einfluss auf die Preissetzu­ng von unabhängig­en Händlern nimmt, die den Amazon-Marktplatz nutzen, um ihre Ware zu verkaufen.

Hier sehen wir eine Parallele dazu, wie Sie Amazon vor Jahren verboten haben, nur Händler in den Marktplatz aufzunehme­n, die sich verpflicht­et haben, ihre Preise bei Amazon nicht auf einer anderen Internetse­ite zu unterbiete­n. MUNDT Es geht immer darum, den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern. Unser Erfolg gegen die Best-Preis-Klausel zeigt, wie wir die internatio­nale Praxis beeinfluss­en können: Zuerst änderte Amazon damals die Allgemeine­n Geschäftsb­edingen hierzuland­e, dann in vielen Ländern Europas, dann weltweit.

Einen Dominoeffe­kt erhoffen Sie sich bei Ihrem Dauerbrenn­erthema Meta, die Sie seit 2019 dazu zwingen wollen, die Daten des reinen Netzwerkes Facebook nicht mehr mit denen der Ableger Whatsapp und Instagram sowie anderen Websites zusammenzu­führen, oder?

MUNDT Ja, es lohnt sich, dicke Bretter zu bohren, obwohl ich mir über die große Macht von Konzernen wie Meta/Facebook, Google oder Amazon und Apple keine Illusionen mache. Aber wir sind beim Verfahren gegen Meta sehr weit gekommen. Der Generalanw­alt beim Europäisch­en Gerichtsho­f hält unsere Linie für richtig. Wenn der EuGH das ähnlich sehen würde, wird sich das OLG in Düsseldorf festlegen müssen. Wenn dann eine Trennung der Daten für Deutschlan­d durchgeset­zt wird, hätte dies Signalwirk­ung. Und da wir nach dem neuen Gesetz solche Verfahren künftig direkt vor dem Bundesgeri­chtshof austragen, werden wir künftig deutlich schneller.

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