Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Ingrid Goethe-Fliersbach lebt den Chorgesang
Zeit für einen Generationenwechsel: Die Gründerin der Chorakademie Bergisch-Land hat die Vorstandsleitung aufgegeben.
SOLINGEN Wenn Ingrid GoetheFliersbach zurückschaut, ist sie vor allem eins: dankbar für das, was aus dem ersten Kinderchor, den sie 1986 auf Betreiben der Kreissängervereinigung in Solingen-Mitte leitete, bis heute geworden ist: Die Chorakademie Bergisch-Land, die mittlerweile acht Meisterchortitel hält, zahlreiche Musical-Projekte in Eigenregie auf die Beine gestellt hat, im Austausch mit Partnerchören vieler Länder steht und es immer wieder schafft, Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene, zum Singen auf hohem Qualitätsniveau zu bewegen.
„Ich habe mein Nachfolge-Dream-Team
gefunden“
Ingrid Goethe-Fliersbach
„Ich habe zum Beispiel immer Verbindlichkeit in der Probenarbeit eingefordert“, sagt sie. „Das war Konsens mit den Sängern und Sängerinnen und schmälerte den Spaß an der Sache nicht. Allen war klar: Wenn man etwas hinkriegen will, wie ein Konzert oder eine Aufführung, muss man gemeinsam daran arbeiten und dem Ganzen dann auch Priorität im Alltag einräumen.“
Zugleich aber war Ingrid Goethe-Fliersbach für „ihre“Sänger und Sängerinnen immer viel mehr als nur Chorleitung. „Mir waren die jungen Leute auch als Person wichtig, zum Beispiel ihre Sorgen in der Schule oder ihre anderen Hobbys“, sagt sie, selbst zweifache Mutter. „Wir sind immer wieder mal gemeinsam Pizza essen gegangen, haben Ausflüge gemacht und wichtig war auch, dass wir unsere Chor-Heimat auf der Flurstraße hatten, die wir gestalten und einrichten konnten.“
Auch das war aus ihrer Sicht für das „Wir-Gefühl“wichtig, das sich in Motivation du Begeisterung fürs
Singen niederschlug. Die Tatsache, dass viele ihrer ehemaligen Chorkinder trotz Pubertät und Erwachsenwerden Jahre heute immer noch am Ball sind und einige sogar inzwischen selbst den Chorleiterschein gemacht haben, spricht für sich, ihr Konzept hat gefruchtet. Besonders glücklich ist Goethe-Fliersbach, dass es gelungen ist, auch Jungen fürs Singen zu begeistern – bis über Stimmbruch und Pubertät hinaus.
„Mir war immer bewusst, dass die Jungen einen schweren Stand bei ihren Mitschülern hatten“, sagt Fliersbach. „Singen galt und gilt ja als uncool“. Im Schulterschluss mit den Eltern, immer wieder spannenden Projekten und in Kombination mit der „tollen Chorakademie-Gemeinschaft“sei es vielfach gelungen, den Spaß an der Chormusik zu erhalten. Gerne denkt sie in diesem Zusammenhang an das Musical „Joseph“ in Bochum zurück, bei dem „ihre“Kinder in fünf Staffeln dabei waren.
Gemeinsam mit Artur Rivo, der seit 2010 mit im Chorleitungsboot saß, setzte sie auf Dynamik: Immer wieder entstanden im Laufe der Jahre Ensembles, die in Liedgut und Stil zum Alter der Sänger und Sängerinnen passte: TonArt etwa ist ein gemischtstimmiger Erwachsenenchor, Chorlight, ein „junger Chor“, Chorisma ein gemischtstimmiger
Jugendchor. Der Frauenchor der Ehemaligen nennt sich künftig VocalArt 86 und setzt sich hauptsächlich aus den inzwischen erwachsen gewordenen „Kindern“der ersten Stunde zusammen. „Den werde ich künftig noch selbst leiten, gemeinsam mit Kristina Strack.“
Als Motor der Chorakademie, die 2008 aus der „Sängerjugend“heraus gegründet wurde, war Fliersbach als im „ersten Leben“gelernte Bürokauffrau
auch Geschäftsführerin für die immer üppiger werdenden Verwaltungsaufgaben. „Wir mussten uns selbst finanzieren und so galt es, ein Gespür für mögliche Förderungen zu haben und auch die Untervermietung einiger Räume unseres von der Firma Evertz gemieteten Hauses, hat uns wirtschaftlich gutgetan.“
Der Mitte-Kinderchor war zunächst einer von fünf StadtteilChören gewesen. „Die anderen gab es irgendwann nicht mehr, aber wir hatten Erfolg und folglich Zulauf“, erinnert Goethe-Fliersbach. Vielleicht auch, weil sie schnell, parallel zur Sängerjugend, in Grundschulen Chöre gründete und hier, an der „Basis“aus Lust und Interesse am Singen auf Meisterniveau werden konnte. Den letzten Chor an der Ohligser Grundschule Südstraße gab sie mit Beginn der Pandemie auf.
Dankbar ist Ingrid Goethe-Fliersbach, auch weil sie mit ihrem Abschied aus dem „One-Woman-Modell“der Leitung nun „ihr Baby“, die Chorakademie, an ein schlagkräftiges Team abgibt. „Ich habe mein Nachfolge-Dream-Team gefunden“, sagt sie leise lächelnd. „Ich habe das alles immer gerne gemacht, aber nun ist es Zeit für einen Generationenwechsel – und für die Familie.“