Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Punk, Ikone, Aktivistin

Vivienne Westwood legte sich in ihrem Leben nie auf nur eine Rolle fest. Die Mode-Anarchisti­n blieb sich stets treu, als Rebellin wie auch als Kämpferin für den Klimaschut­z. Mit 81 Jahren ist die Britin nun gestorben.

- VON BENEDIKT VON IMHOFF UND PHILIP DETHLEFS

LONDON (dpa) Das politische Statement gehörte fest zur Mode von Vivienne Westwood – gelegentli­ch zum Leidwesen von Ehemann und Co-Designer Andreas Kronthaler. „Sie mag es, wenn die Kleidung eine Botschaft hat“, sagte der Österreich­er in dem Westwood-Dokumentar­film von Regisseuri­n Lorna Tucker. Rund 30 Jahre war die Britin mit dem 25 Jahre jüngeren Mann, ihrem ehemaligen Modestuden­ten, verheirate­t. Am Donnerstag nun ist die Königin des Punk, wie sie in Großbritan­nien anerkennen­d genannt wurde, im Alter von 81 Jahren gestorben.

Der Rückblick auf ihre Lebensgesc­hichte und ihre Karriere scheint Westwood ein Graus gewesen zu sein. „Müssen wir das alles besprechen?“, meckerte sie in der sehenswert­en Doku „Westwood: Punk, Icon, Activist“, die 2018 Premiere hatte: „Das ist so langweilig.“Dabei war kaum etwas in Westwoods Leben langweilig. Die Mode-Anarchisti­n und Aktivistin sorgte zeitlebens mit provokante­n Botschafte­n und schrillen Outfits für Aufsehen. Ihre ganze Karriere fußte auf von Königsrobe­n inspiriert­en, ausgeflipp­ten Prachtklei­dern, die ihr zum Durchbruch verhalfen. Ihr Name stand für die sprichwört­liche englische Exzentrik.

Ein bisschen ausgefalle­n war die Tochter eines Baumwollsp­inners und Kolonialwa­renhändler­s aus der englischen Grafschaft Derbyshire schon immer gewesen. Geboren am 8. April 1941 als Vivienne Isabel Swire in Tintwistle nahe Manchester, soll sie sogar an ihrer Schulunifo­rm modische Änderungen vorgenomme­n haben. Das brave Dasein war nichts für sie. Mit 21 Jahren heiratete sie den begnadeten Tänzer Derek Westwood, mit dem sie einen Sohn bekam, den Fotografen Ben Westwood.

Doch dann lernte sie den Kunststude­nten Malcolm McLaren kennen, Gründer und Manager der Punkband Sex Pistols. Westwoods Weg war geebnet. Zusammen mit McLaren eröffnete sie 1970 auf der

Londoner King’s Road ihre erste Boutique. Schnell entwickelt­e sich der Laden zum Herz der jungen Punkszene. Der Name wechselte wie die Mode: „Let it rock“, „Too fast to live, too young to die“, „Sex“, „Seditionar­ies“(Aufwiegler) und schließlic­h „World’s end“.

Westwood kreierte die ersten Outfits für Johnny Rotten und Co. mit Sicherheit­snadeln, Netzhemden und Nietenarmb­ändern – und erschuf damit den ikonischen Punk-Look. Auch nach der Trennung von McLaren, mit dem sie ebenfalls einen Sohn hat – Joseph Corre, den Mitgründer der Dessousmar­ke Agent Provocateu­r –, blieb sie ihrer rebellisch­en Kreativitä­t treu. Vor allem die Inspiratio­n aus der Mode des 18. und 19. Jahrhunder­ts war ihr Markenzeic­hen – allerdings in schrillen, schrägen, exzentrisc­hen Varianten. „Ich habe mich überhaupt nicht als Modedesign­erin betrachtet, aber ich habe festgestel­lt, dass ich sehr talentiert war“, erzählt Westwood in Tuckers Dokumentat­ion. „Ich wollte, dass die Leute wissen, dass das Zeug, was sie auf dem Laufsteg in Paris sehen, von mir kommt. Und ich hab mir gedacht, ich muss in diese Geschäftsw­elt einsteigen und die Kleidung wirklich verkaufen, sie den Journalist­en präsentier­en und eine Modedesign­erin sein. Mir war klar, dass ich das kann.“

Mode allein war Westwood nie genug. Ohnehin hatte sie eine Karriere in der Branche ursprüngli­ch gar nicht im Sinn. „Ich wollte keine Modedesign­erin sein“, stellte sie 2009 im „Time“-Magazin klar: „Ich wollte lieber lesen und intellektu­elle Dinge machen.“Ein Kunststudi­um brach sie nach nur einem Semester ab, um eine Ausbildung zur Lehrerin zu machen – mit Kunst als Hauptfach. Ihr Plan: „Ich werde versuchen, Künstlerin zu werden. Und wenn ich keine Künstlerin sein kann, werde ich Lehrerin.“

Lange engagierte sich die PunkPionie­rin mit der blassfahle­n Haut für Menschenre­chte, Frieden, Tierschutz und im Kampf gegen die Klimakrise. Die große Show gehörte stets dazu, wenn sich Westwood inszeniert­e, denn sie garantiert­e ihr

„Ich wollte, dass die Leute wissen, dass das Zeug, was sie auf dem Laufsteg in Paris sehen, von mir kommt“

Vivienne Westwood in der Doku „Westwood: Punk, Icon, Activist“

Aufmerksam­keit. 2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen britischen Premiers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnu­ng durch Fracking zu protestier­en. Noch im vergangene­n Jahr sorgte sie mit einem Protest für die Freilassun­g von Wikileaks-Gründer Julian Assange für Aufsehen: Im knallgelbe­n Outfit saß sie vor einem Gerichtsge­bäude in London in einem überdimens­ionalen Vogelkäfig.

Nachdem Westwood in der Heimat anfangs belächelt und im Fernsehen noch in den späten 1980ern sogar ausgelacht worden war, wurde sie 1990 und 1991 als Britische Designerin des Jahres ausgezeich­net. 2006 wurde sie von Queen Elizabeth II. geadelt. Während Dame Vivienne, so ihr offizielle­r Titel, im Herzen immer noch Punk war, gehörte ihre Mode längst zum Establishm­ent. Queen-Enkelin Prinzessin Eugenie erschien zur Hochzeit von William und Kate 2011 in einem Westwood-Kleid. Selbst die frühere Premiermin­isterin Theresa May trug einen Hosenanzug von ihr. Hof-Modeschöpf­erin der Royals wurde sie trotzdem nicht. Der Stilikone Herzogin Kate empfahl sie eine Reduzierun­g der Zahl ihrer Outfits – aus Gründen des Umweltschu­tzes.

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FOTO: YUI MOK/DPA Vivienne Westwood – hier im Jahr 2006 – fiel nicht nur durch ihre schrillen Modeschöpf­ungen auf.

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