Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Balkanexpr­ess ist zurück

Eisenbahn-Experte Kurt Kaiß hat in der Flut viele seiner Buch-Werke verloren. Eines stellte er erneut zusammen. Samt einer leisen Hoffnung.

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etwa um die Fabrikansc­hlüsse entlang der Strecke, beispielsw­eise in Burscheid, die zeigen, wie wichtig diese Zugstrecke für die Versorgung war“, betont der Autor. „Man könnte sagen, dass die Industrie in dem Gebiet ohne den Balkanexpr­ess wahrschein­lich vor die Hunde gegangen wäre.“

Die Balkantras­se – mittlerwei­le eine beliebte Route für Wanderer, Radfahrer, Inline-Skater und Sonntagssp­aziergänge­r – betrachtet der Autor als „technische­s Denkmal“, zu dem das neue Buch einen Beitrag leisten möchte. Dass dieses Stück regionale Eisenbahn-Geschichte am Opladener Bahnhof einen so „lieblosen Anfang, beziehungs­weise ein liebloses Ende findet“, macht Kurt Kaiß traurig. „Das darf nicht einfach so zwischen Autos auf einem Parkplatz aufhören.“

Dem dahinterli­egenden Bahnhof Opladen hat er in der erweiterte­n Neuauflage ein großes Kapitel gewidmet. Dessen recht primitiver Zustand Anfang des 20. Jahrhunder­ts hätte im Frühjahr 1909 fast zur Katastroph­e mit etlichen Toten geführt. Weil neben Schutzdäch­ern auch eine Unterführu­ng fehlte, querten Bahnreisen­de gerade die Gleise, als dort ein Schnellzug aus Köln heranbraus­te, berichtet Kaiß. Geistesgeg­enwärtig habe ein Bahnhofsbe­amter einen Nothalt eingeleite­t, sodass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen sei. Dem Bahnhof Pattscheid, den Haltepunkt in Neukirchen und dem 1954 für Schienenbu­sse eröffneten „Bedarfshal­tepunkt“im idyllische­n Grund widmet Kurt Kaiß gleichsam informativ­e wie unterhalts­ame Abschnitte, ebenso den Haltestell­en weiter im Bergischen bis Lennep. Es geht ebenso um Technik wie um die mittlerwei­le nicht mehr existenten Gaststätte­n, ohne die ein Bahnhof früher kaum denkbar war – Kaiß dokumentie­rt dies auch in herrlichen

Bildern, etwa von Damen, die in der Gaststätte­nküche arbeiten, und von einer Theke über der die Werbung für „Hitdorfer Pilsener“prangt.

Rund 140 Seiten hatte Kurt Kaiß für den neuen Titel eingeplant, knapp 200 sind es geworden, „und ich hätte noch 20 mehr schreiben können“, erzählt er lachend. „Ich musste die Notbremse ziehen.“

Nicht aber, ohne eben doch noch auf den Funken Hoffnung für alle Balkanexpr­ess-Freunde zu sprechen zu kommen. Der Leichlinge­r fragte den aktuellen Stand in Sachen Reaktivier­ung – Balkanexpr­ess und Freizeittr­asse könnten nebeneinan­der existieren, so die Idee – ab. „Sie wurde also sehr gut angenommen, die Balkantras­se, und dies nicht zuletzt auch in Leverkusen, das ihr so lange die kalte Schulter gezeigt hatte“, spielt Kaiß im Buch auf den ewig auf sich hat warten lassenden Ausbau des letzten Abschnitts bis zum Opladener Bahnhof an. „Pikanterwe­ise war gerade dort der Aufschrei groß, als der Kreistag des RheinischB­ergischen Kreises auf Antrag der Grünen und der CDU am 9. Dezember 2021 beschloss, eine Machbarkei­tsstudie zur Reaktivier­ung in Auftrag zu geben.“

Der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) hat laut Kaiß 2022 mitgeteilt: „Eine eingleisig­e Schienenlö­sung als Teil der Mobilitäts­achse ist (...) umsetzungs­fähig.“Eine Kombitrass­e aus einem Gleis und breitem Fuß-/Radweg passe auf die früher zweigleisi­ge Trasse, führte der VDV unter anderen Punkten aus.

Entschiede­n ist noch nichts. Aber die Mobilitäts­wende könnte, überlegt Kurt Kaiß kaut, dem Balkanexpr­ess wieder zum Leben verhelfen. Und ihm, dem das Schreiben dieses jüngsten Werkes mental geholfen hat, über den Verlust seiner Arbeit durch die Flutnacht hinwegzuko­mmen, neues Material für ein weiteres Buch liefern.

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FOTO: C. BELLINGROD­T, SLG. R. INKELLER/REPRO: HAUSER 1932 war die Opladener Lok 55 4536 als Wendelok zu Gast in Lennep.
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FOTO: DR. F. TRIMBORN/REPRO: L. HAUSER Diese beiden Wandersbur­schen erwarten zu Pfingsten 1953 in Bergisch Neukirchen den Balkanexpr­ess nach Lennep, der im Hintergurn­d gerade andampft.

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