Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Gefühlt war da eine tiefe Hoffnungsl­osigkeit“

Der Satiriker spricht über Heimatlieb­e, warum Ostdeutsch­land besser ist als sein Ruf – und wieso es in Solingen genau andersheru­m sein könnte.

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In dem Format „Kurzstreck­e“mit Moderator Pierre M. Krause thematisie­rt der Satiriker Ingmar Stadelmann seine Eindrücke von Solingen. Unter anderem sagt er: „Wenn du jetzt durch Solingen läufst als Ostdeutsch­er, dann hast du einfach Halle-’92-Vibes.“Die Stadt sei herunterge­kommen und tot. Er habe dort eine schlechte Grundstimm­ung wahrgenomm­en. Wir sprachen mit Stadelmann über das Video und seinen kommenden Auftritt in der Klingensta­dt. Vereinbart wurde das Interview via Instagram, dort ist man meist per Du. Das haben wir fürs Interview beibehalte­n.

Ingmar, das Video, in dem du über Solingen lästerst, zieht hier Kreise. Ist das am Ende nur kluges Marketing ?

STADELMANN Ich war überrascht über die vielen Reaktionen zu dem Video. Mein Punkt war eigentlich gar nicht Solingen. Mir ging es um den Osten und wie schön es dort heute ist. Darüber habe ich mit Pierre an dem Tag gesprochen. Die erste Reaktion auf das Video war: „Wie kannst du so gut über Halle reden ?“(lacht). Diese Clips sind auch immer Promotion, klar. Aber ich laufe nicht durch die Gegend und zerstöre Städte, weil ich mehr Tickets verkaufen will. Ist aber vielleicht ein Konzept für die Zukunft (lacht).

Welche Beziehung hast du zu Solingen? Und wo in der Stadt warst du unterwegs?

STADELMANN Wir haben damals mein Programm „Fressefrei­heit“in Solingen aufgezeich­net, weil die Shows da immer so gut sind. Also: ein gutes Verhältnis. Ich rede in dem Video davon, was ich im Stadtzentr­um erleben und sehen konnte. Oder eben nicht sehen konnte. Das fand ich überrasche­nd. Es gab einige, die mir recht gegeben haben. Ich habe dann gelesen, dass es keinen McDonald’s mehr gibt. Und habe mir gedacht: Dann ist eine Innenstadt verloren.

Du rennst mit deinen Beobachtun­gen bei einigen offene Türen ein.

STADELMANN Das kann ich besonders gut (lacht). Ich finde aber, die andere Seite ist schon auch stark. Die Seite, die ihre Stadt verteidigt.

Als Ostdeutsch­er in Solingen fühltest du dich an die Zeit nach der Wende erinnert, hattest „Vibes“wie in Halle 1992. Merken wir nicht, wie schlimm es schon bei uns ist – oder war es nach der Wende im Osten gar nicht so schlimm ?

STADELMANN Es war damals nicht schlimm in dem Sinn, dass es gar keine Strukturen gegeben hätte. Aber die fehlende Energie und die Reaktionen der Leute, das hat mich frappieren­d daran erinnert. Gefühlt war da eine tiefe Hoffnungsl­osigkeit in Solingen. Vielleicht war es auch ein schlechter Tag. Damals in Halle musste jedenfalls dringend was passieren. Aber die haben es ja auch geschafft.

Hier wird es ein großes Programm geben, „City 2030“. Was können wir von Halle lernen ?

STADELMANN Geld ist ein ganz essenziell­er Punkt. Gute Laune kann man sich vornehmen, aber mit massiver Förderung und dem Solidaritä­tszuschlag hat man einen großen Vorteil. Im Verbund mit Leipzig wird Halle Hightech-Standort. Die größte Frage ist im Moment: Wer gewinnt das Rennen: die Wirtschaft oder die AfD? Ich will nicht anmaßend sein nach dem Motto: „So will Bürgermeis­ter Stadelmann Solingen retten.“Klar ist, es braucht Zeit. Halle war herunterge­wirtschaft­et. Die Menschen sind weggezogen. Heute ist das Image schlechter als das Stadtbild. In Solingen ist es, glaube ich, noch umgekehrt.

Was macht eine lebenswert­e Stadt für dich aus ?

STADELMANN Wenn ich in eine Stadt komme, will ich mich irgendwo hinsetzen können. In ein Café oder an

Ingmar Stadelmann tritt am 16. Mai in Solingen in der Cobra auf. einen Ort, an dem ich ein wenig bleiben will. Und wenn andere das auch machen, kommt man in den Austausch. Das Problem ist: Die einen erkennen neue Privilegie­n nicht. Und die anderen verstehen nicht, wie abgehängt sie inzwischen sind. Das sage ich jetzt einfach mal mit meiner Berlin-Perspektiv­e und meinem Ossiherz.

Wie lässt sich das ändern ?

STADELMANN Es wäre Aufgabe von Politik, dafür zu sorgen, dass das bewusst wird. Und dass es wieder schön wird. Die wahre Macht hat doch Kommunalpo­litik. Das ist den Leuten, glaube ich, nicht bewusst. Ich verstehe nicht, warum die Wahlbeteil­igung da so niedrig ist. Wenn ich eine Botschaft als aufrechter ostdeutsch­er Satiriker vermitteln möchte, dann ist es demokratis­che Teilhabe. Und Engagement vor Ort, damit sich etwas ändert.

Kleiner Treppenwit­z am Rande: Würdest du noch 2023 in Solingen auftreten, müsste der Ort gewechselt werden. Das Hallendach der Cobra ist marode. Brauchen wir einen Solidaritä­tszuschlag rückwärts ?

STADELMANN Ich hätte mir gewünscht, dass man über den Soli noch mal eine ganz andere Diskussion führt. Wir haben damit den Strukturwa­ndel finanziert, so dass das ganze Land davon profitiert. Das könnte man ruhig ausweiten auf andere Städte. Auf Gelsenkirc­hen, Solingen und Co. Städte brauchen auch mal ein Update. Und da hängt noch viel mehr dran. Macht man die Diskussion aber auf, geht es wieder darum, wie der Westen den Osten sieht und andersrum.

Warum braucht Humor Klischees?

STADELMANN Damit er sie brechen kann. Über bestimmte Sachen lachst du, weil das Bild in deinem Kopf ist. Es ist natürlich nicht lustig, wenn man das wirklich glaubt. Der Witz entsteht, wenn man das Klischee dann bricht. Das ist zumindest mein Style.

Solingen ist natürlich nicht nur wie Halle 1992, sondern hat viele schöne Ecken. Warum braucht Humor auch Verkürzung ?

STADELMANN Zuspitzung hilft, den rosa Elefanten im Raum zu entdecken. Mein Job ist, rosa Elefanten zu suchen und anzusprech­en. Den in Solingen habe ich nicht gesucht, aber angesproch­en. Gute Satire schafft das: Ein Thema, das eigentlich schon für alle da ist, zu entdecken, und auf die Bühne zu bringen. Dann kann man sich Gedanken machen. So ist es mit der Solinger City auch.

Du kommst am 16. Mai 2024 wieder nach Solingen. Denkst du, dich erwartet dann gute Stimmung?

STADELMANN Gut reicht nicht, es war bisher immer richtig wild. Das Solinger Publikum weiß jedenfalls genau, wie ich das Video gemeint habe. Im Mai können wir das in Ruhe besprechen.

Welche Rolle spielt Improvisat­ion bei deiner Show ?

STADELMANN Tatsächlic­h ist vom neuen Programm nur eine Hälfte der Show geschriebe­n. In der zweiten Hälfte reden wir über Themen aus dem Publikum. Das ist dann eher Moderation. Und spannend, weil die Leute im Saal merken, dass sie bestimmte Dinge ganz anders sehen als andere Menschen. Meine Botschaft ist: Man kann anderer Meinung sein und trotzdem zusammen Humor genießen. Wie bringt man eine gespaltene Gesellscha­ft wieder zusammen? In Gesellscha­ft. Humor hat uns in diesen Saal gebracht. Er ist die letzte Superkraft der Menschheit.

BJÖRN BOCH FÜHRTE DAS GESPRÄCH

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