Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Zwei Frauen machen anderen Mut
Es ist die erste und bislang einzige Heirat im Christlichen Hospiz Bergisches Land in Bergisch Born: Warum sich zwei Remscheiderinnen nach 23 Jahren das Ja-Wort gaben – und welche Pläne sie für die Zukunft schmieden.
BERGISCH BORN Die Zahl 23 zieht sich durch ihr Leben wie ein roter Faden. Und jetzt wird 2023 gleich zum doppelten Schicksalsjahr für Melanie Berthold (45) und Anita Beyer (65, Namen von der Redaktion geändert). Denn am 23.11.23 haben sich die beiden Remscheiderinnen das Ja-Wort gegeben – und das im Hospiz.
Es ist die bislang erste und einzige Hochzeit im Christlichen Hospiz Bergisches Land in Bergisch Born. „Damit hätte ich auch nicht gerechnet, als ich hier reingegangen bin“, sagt Anita Beyer. Und schon gar nicht, dass zwei Frauen in einer christlichen Einrichtung heiraten dürften. Die Konfession spiele hier aber keine Rolle, sagt Franziska Meyer, die beim Hospiz für den Sozialdienst und die Koordination zuständig ist. „Wir sind ein offenes Haus für alle.“
Vor knapp einem Jahr, im Oktober 2022, erhielt Anita Beyer die Diagnose einer unheilbaren Krankheit, wurde beim Arzt ohnmächtig. Drei Mal wurde sie bereits in Wuppertal operiert, zweimal am Kopf, einmal im Bauchraum. „Ich wollte und konnte mich nie damit abfinden. Ich habe immer gesagt, ich gebe nicht auf.“Doch der Kampf zehrt an den Kräften. Die Kraft, die sie früher einmal hatte, ist nicht mehr da. „Ich bin quasi aus dem Auto gestiegen und hier reingekommen“, erzählt sie. Es war der 23.10. Und das war für sie eigentlich das Schlimmste, wie sie zugibt.
Denn Anita Beyer wollte nie in ein Hospiz. Hatte ihre eigenen Vorstellungen davon im Kopf. „Ich habe versucht, mich mit Händen und Füßen zu wehren. Weil mit dem, was damit verbunden ist, will und kann ich mich nicht abfinden.“Auch bei Melanie Berthold löste die Überweisung des behandelnden Arztes ins Christliche Hospiz Bergisches Land eines aus, wie sie offen zugibt: Angst. „Ich dachte, jetzt ist alles zu spät.“Doch sie wurden eines Besseren belehrt. „Das hier ist viel mehr als nur ein Warteplatz zum Sterben“, betont Anita Beyer jetzt – und möchte damit allen anderen Betroffenen Mut machen. „Die Art und Weise, wie man hier aufgefangen wird, bestärkt einen im Kämpfen.“
Wer sich hier nicht wohlfühle, sei selbst schuld, meint sie. „Es ist wie ein 5-Sterne-all-inclusive-Hotel. Wenn ich mir für morgen zwei Croissants wünsche, bekomme ich diese auch.“Die Gespräche, die sie mit den Pflegerinnen und Pflegern führe, auch tiefgründe, geben ihr Mut. Sie fühlt sich verstanden. Und auch ihre Melanie hat nun ein völlig anderes Bild vom Wort Hospiz: Wärme, Nächstenliebe, Geborgenheit.
Melanie Berthold besucht ihre Frau jeden Tag. Manchmal bleibt sie auch über Nacht auf der Schlafcouch. Das Zimmer haben sie sich schön eingerichtet. „Ich habe meine warme Kuscheldecke, mein Kuschelkissen und zwei Hasen-Stofftiere mitgebracht“, sagt Anita Beyer. Die Gäste dürfen hier alles von zu Hause mitbringen, was sie möchten. Schließlich ist es das zweite Zuhause. Sogar den Hund oder die Katze. „Unter der Voraussetzung, dass sie sich bei Einzug noch selbst kümmern können und danach auch garantiert ist, dass sich jemand um das Tier kümmert“, erklärt Franziska Meyer. Das wird schriftlich festgehalten.
Kennengelernt haben sich die beiden Frauen übrigens bei der Arbeit. Sie arbeiteten in derselben Abteilung – schnell funkte es zwischen den beiden. Das ist nun 23 Jahre her. Warum dann erst jetzt die Hochzeit? „Wir hatten eigentlich immer schon vor, zu heiraten“, sagt Melanie Berthold. „Doch anfangs ging es ja gar nicht. Gleichgeschlechtliche Paare dürfen ja noch gar nicht so lange heiraten“, fügt Anita Beyer hinzu. Doch nun sei einfach das Schicksal dazwischengekommen. Und die Zeit reif gewesen für ein weiteres Kapitel im „Buch 23“.
Das Hospiz-Team verwandelte sich dabei in Wedding Planer. „Wir mussten nur sagen, wie viele Personen kommen, um alles andere hat sich das Team gekümmert“, sagt Anita Beyer. „Das war sensationell.“Eine Standesbeamtin kam extra für die Trauung raus – ohne Extrakosten. Im „Raum der Stille“, einem kleinen Rückzugsort für die Hospiz-Gäste samt Moos-Naturwand, großer Dachluke und Künstler-Fenster, gaben sich die beiden Frauen vor 15 Gästen das Jawort – und versicherten sich somit gegenseitig: Der Tod trennt uns nicht. Die dreifarbigen Ringe erinnern sie seitdem jeden Tag daran. Die waren noch in letzter Minute eingetroffen. „Es war ein absolutes Gänsehautfeeling“, beschreibt Melanie Berthold die Zeremonie fernab vom Rathaus. Sie heiratete in weißer Bluse und Jeans, ihre Frau in karierter Bluse und Jeans. Und natürlich hatte der Brautstrauß 23 Rosen.
Überall prangten Perlenketten, Gestecke, rote Herzen. „Als wir in den Gemeinschaftsraum gingen, wartete eine Überraschung auf uns“, erzählt Melanie Berthold. „Die lange Tafel war wundervoll geschmückt. Das hatten sie in nur einer Stunde geschafft, während wir im ‚Raum der Stille‘ waren“, ergänzt Anita Beyer. Es gab Kaffee, Kuchen und warmes Essen. Und viele gute Gefühle.
Was ist ihr Rezept für eine gute Beziehung? „Zuverlässigkeit und Vertrauen. Das ist das A und O. Dann kann man dem Partner blind vertrauen“, sagt Anita Beyer. Sie ist froh, dass sie ihre Melanie stets an ihrer Seite weiß. Egal, was kommt.
Und jetzt schmiedet das frisch vermählte Paar sogar Pläne. „Denn das Hospiz hat mir so viel neue Kraft gegeben, dass ich jetzt wieder Auto fahren möchte“, sagt Anita Beyer. Denn das hat sie früher so gern gemacht. Mit einem Fahrlehrer möchte sie nun ein paar Runden drehen. „Denn das Hospiz ist nicht das Ende des Lebens“, betont sie.
„Das hier ist viel mehr als nur ein Warteplatz zum Sterben“Anita Beyer