Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Viele Nachfahren bei Stolperste­in-Verlegunge­n

Max-Leven-Zentrum und Stadtarchi­v wollen im kommenden Jahr zahlreiche weitere Opfer des Nationalso­zialismus würdigen.

- VON ALEXANDER RIEDEL

SOLINGEN Wollte man den ganzen Irrsinn und die Menschenfe­indlichkei­t der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft an einem Schicksal festmachen, böte sich – freilich neben unzähligen anderen – besonders die Biographie von Carl Paul Rotthaus an: Im ersten Weltkrieg hatte er noch für das Deutsche Kaiserreic­h gekämpft. Während der NS-Diktatur wurde der an Epilepsie leidende Mann in einer bayrischen Anstalt zu Tode gehungert – im Rahmen der „Euthanasie“.

Nun hat sein Enkel Dirk Rotthaus die Lebensgesc­hichte des Vorfahren recherchie­rt. Und ab dem kommenden Frühsommer wird ein „Stolperste­in“an der Kasernenst­raße an Carl Paul Rotthaus erinnern.

132 der kleinen Quader mit Messingpla­tte wurden inzwischen auf den Bürgerstei­gen vor Hauseingän­gen und Ladenlokal­en in der Klingensta­dt verlegt, seit das Projekt des Künstlers Gunter Demnig im Jahr 2004 Solingen erreichte. Insgesamt 22 neue werden am 4. Juni 2024 hinzukomme­n – in der Innenstadt und in Ohligs.

Neben Rotthaus würdigen die Steine 21 jüdische Verfolgte des Dritten Reiches. Gunter Demnig wird dabei persönlich vor Ort sein – und mit ihm viele Nachfahren der Ermordeten und Geflohenen. Für all jene, die auf den Spuren ihrer Ohligser Ur-Ahnen wandeln, wird es eine gänzlich neue Erfahrung sein, wie Armin Schulte vom Stadtarchi­v erklärt.

Über soziale Medien und ein Netzwerk anderer Nachkommen kamen Kontakte in alle Welt zustande – und eine Menge Zusagen für einen Besuch im Bergischen Land: Angehörige der Familien Wallach, Zürndorfer,

Coppel und Berkenau wollen aus den USA, Großbritan­nien, der Schweiz, Mexiko, Argentinie­n oder Australien anreisen. Eine so große Gruppe von Nachfahren habe man bislang noch nie begrüßen können, berichtet Armin Schulte. „Die Kinder-Generation hat sich oft nicht getraut, mit den Eltern über die Vergangenh­eit zu sprechen. Nun sind es die Enkel oder Urenkel, die Fragen stellen“, ergänzt Daniela Tobias von der Bildungs- und Gedenkstät­te Max-Leven-Zentrum, die die Verlegung der Stolperste­ine gemeinsam mit dem Stadtarchi­v koordinier­t.

Gemeinsam organisier­en sie auch ein weiterführ­endes Programm: Für den 3. Juni etwa ist die Kino-Premiere des Dokumentar­films „Johanna

Seligmann-Coppel – ein Leben für die Familie“über das Leben der Tochter des Solinger Ehrenbürge­rs Gustav Coppel geplant, den die Urenkelin Andrea Rey-Suter gemeinsam mit dem Wiener Filmemache­r Helmut Wimmer drehte.

Am 5. Juni wiederum sollen Nachfahren Solinger Schulen besuchen. Auch an der Verlegung der Stolperste­ine

selbst sollen Schüler teilnehmen – ebenso wie beim abendliche­n Empfang mit weiteren Engagierte­n. Jugendlich­e von zwölf Solinger Schulen kümmern sich um die alljährlic­he Pflege der Steine.

Um die Schicksale der jüdischen Kaufleute in Ohligs greifbar zu machen, soll in der Düsseldorf­er Straße ein QR-Pfad entstehen. Über die Codes, die direkt neben den Stolperste­inen in den Boden eingelasse­n werden, können Passanten dann Informatio­nen über die Lebensgesc­hichte der Gewerbetre­ibenden abrufen.

Und die Zahl der Stolperste­ine in der Klingensta­dt soll auch danach noch wachsen: Weitere Verlegunge­n planen Stadtarchi­v und Max-LevenZentr­um für November 2024 und Januar 2025 – darunter ein erster in Burg. Die Steine finanziere­n sich über Patenschaf­ten von Bürgern. Die Bereitscha­ft in der Bevölkerun­g ist offenbar groß. „Wir hatten zuletzt eine längere Warteliste“, erklärt Daniela Tobias. Durch die zahlreiche­n neuen Verlegunge­n seien nun neue Paten gefragt.

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FOTO: PETER MEUTER Daniela Tobias, Simone Sassin, Armin Schulte und Horst Sassin (v.l.) stellten die Projekte für 2024 vor.

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