Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Viele Nachfahren bei Stolperstein-Verlegungen
Max-Leven-Zentrum und Stadtarchiv wollen im kommenden Jahr zahlreiche weitere Opfer des Nationalsozialismus würdigen.
SOLINGEN Wollte man den ganzen Irrsinn und die Menschenfeindlichkeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an einem Schicksal festmachen, böte sich – freilich neben unzähligen anderen – besonders die Biographie von Carl Paul Rotthaus an: Im ersten Weltkrieg hatte er noch für das Deutsche Kaiserreich gekämpft. Während der NS-Diktatur wurde der an Epilepsie leidende Mann in einer bayrischen Anstalt zu Tode gehungert – im Rahmen der „Euthanasie“.
Nun hat sein Enkel Dirk Rotthaus die Lebensgeschichte des Vorfahren recherchiert. Und ab dem kommenden Frühsommer wird ein „Stolperstein“an der Kasernenstraße an Carl Paul Rotthaus erinnern.
132 der kleinen Quader mit Messingplatte wurden inzwischen auf den Bürgersteigen vor Hauseingängen und Ladenlokalen in der Klingenstadt verlegt, seit das Projekt des Künstlers Gunter Demnig im Jahr 2004 Solingen erreichte. Insgesamt 22 neue werden am 4. Juni 2024 hinzukommen – in der Innenstadt und in Ohligs.
Neben Rotthaus würdigen die Steine 21 jüdische Verfolgte des Dritten Reiches. Gunter Demnig wird dabei persönlich vor Ort sein – und mit ihm viele Nachfahren der Ermordeten und Geflohenen. Für all jene, die auf den Spuren ihrer Ohligser Ur-Ahnen wandeln, wird es eine gänzlich neue Erfahrung sein, wie Armin Schulte vom Stadtarchiv erklärt.
Über soziale Medien und ein Netzwerk anderer Nachkommen kamen Kontakte in alle Welt zustande – und eine Menge Zusagen für einen Besuch im Bergischen Land: Angehörige der Familien Wallach, Zürndorfer,
Coppel und Berkenau wollen aus den USA, Großbritannien, der Schweiz, Mexiko, Argentinien oder Australien anreisen. Eine so große Gruppe von Nachfahren habe man bislang noch nie begrüßen können, berichtet Armin Schulte. „Die Kinder-Generation hat sich oft nicht getraut, mit den Eltern über die Vergangenheit zu sprechen. Nun sind es die Enkel oder Urenkel, die Fragen stellen“, ergänzt Daniela Tobias von der Bildungs- und Gedenkstätte Max-Leven-Zentrum, die die Verlegung der Stolpersteine gemeinsam mit dem Stadtarchiv koordiniert.
Gemeinsam organisieren sie auch ein weiterführendes Programm: Für den 3. Juni etwa ist die Kino-Premiere des Dokumentarfilms „Johanna
Seligmann-Coppel – ein Leben für die Familie“über das Leben der Tochter des Solinger Ehrenbürgers Gustav Coppel geplant, den die Urenkelin Andrea Rey-Suter gemeinsam mit dem Wiener Filmemacher Helmut Wimmer drehte.
Am 5. Juni wiederum sollen Nachfahren Solinger Schulen besuchen. Auch an der Verlegung der Stolpersteine
selbst sollen Schüler teilnehmen – ebenso wie beim abendlichen Empfang mit weiteren Engagierten. Jugendliche von zwölf Solinger Schulen kümmern sich um die alljährliche Pflege der Steine.
Um die Schicksale der jüdischen Kaufleute in Ohligs greifbar zu machen, soll in der Düsseldorfer Straße ein QR-Pfad entstehen. Über die Codes, die direkt neben den Stolpersteinen in den Boden eingelassen werden, können Passanten dann Informationen über die Lebensgeschichte der Gewerbetreibenden abrufen.
Und die Zahl der Stolpersteine in der Klingenstadt soll auch danach noch wachsen: Weitere Verlegungen planen Stadtarchiv und Max-LevenZentrum für November 2024 und Januar 2025 – darunter ein erster in Burg. Die Steine finanzieren sich über Patenschaften von Bürgern. Die Bereitschaft in der Bevölkerung ist offenbar groß. „Wir hatten zuletzt eine längere Warteliste“, erklärt Daniela Tobias. Durch die zahlreichen neuen Verlegungen seien nun neue Paten gefragt.