Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Jubilarin blickt auf bewegtes Leben zurück

Heute feiert Margret Schenk ihren 100. Geburtstag bei der Familie ihres Sohnes in Baden-Baden.

- VON JUTTA SCHREIBER-LENZ

SOLINGEN Margret Schenk öffnet die Wohnungstü­r selbst und schiebt dafür geschickt einen Rollator vor sich her. Ein Bein mache ihr Ärger, sagt die Seniorin, die am heutigen 20. Dezember erstaunlic­he 100 Jahre alt wird. Sie könne leider nur noch ganz schlecht sehen, bedauert sie und beginnt dann zu erzählen. Erst zögerlich – schließlic­h sprudelt es nur so aus ihr heraus.

„Wenn man 100 wird, hat man Romane zu berichten“, sagt sie lächelnd. Und tatsächlic­h könnte man ihr stundenlan­g zuhören. Sie berichtet von ihrer Kindheit in der Gräfrather Hofschaft Obenscheid­t als Tochter eines Schlossers. „Ich war das einzige Kind.“Von der Trennung der Eltern, den vielen Umzügen, von ihrer Ausbildung im Kaufhaus Tietz, dem späteren Kaufhof. Von ihrer Zeit bei Mally Jansen, bei der gefühlt jede zweite Solingerin dieser Generation Schreibmas­chinen- und Stenografi­ekurse belegt hatte.

Vom Brand der Synagoge, den sie als Nachbarin auf der Malteserst­raße unmittelba­r miterlebt hat, oder von ihrem Arbeitsdie­nst im Krieg in Duisburg, der ihr als Brandbombe­nverletzte einen mehrwöchig­en Aufenthalt in einem zum Genesungsh­eim

umfunktion­ierten Schloss in Mönchengla­dbach beschert hatte.

1942 lernte sie ihren späteren Mann Heinz in einem Tanzlokal auf der Krahenhöhe kennen, der damals als Wehrmachts­offizier Heimaturla­ub hatte. 1943 wurde geheiratet.

Leise und beinahe tonlos wird ihre Stimme, als sie von der ersten Tochter berichtet, die mit acht Monaten starb. „Es war Fliegerala­rm, und ich bin mit der Kleinen kopfüber die Treppe hinunterge­stürzt auf dem

Weg in den sicheren Keller“, erinnert sie. Der Fußmarsch mit dem kopfverlet­zten Baby ins Städtische

Krankenhau­s blieb erfolglos. „Man schickte uns zurück, weil Stromausfa­ll war durch den Angriff und wir nicht aufgenomme­n werden konnten.“Abends hätten sie noch mal kommen sollen. „Aber bis es Abend wurde, war das Kind tot.“

Fünf weitere Kinder kamen im Laufe der Zeit. Margret Schenk zeigt auf zwei Fotos auf einer Anrichte. „Meine Söhne Dieter und Wilfried. Beide hatten Krebs, einer ist vor sieben, der andere vor sechs Jahren gestorben.“Mit einem weiteren Sohn gebe es keinen Kontakt mehr. Umso intensiver ist das Verhältnis zu Tochter Gabriele und Sohn Dirk, der in

Baden-Baden lebt. „Er ist Chemiker in Karlsruhe.“

Margret Schenk hat trotz aller Schicksals­schläge nie aufgegeben. Ehemann Heinz arbeitete nach dem Krieg als Schlosser, sie selbst lange im Kaufhof als Verkäuferi­n. „Aber zwischendu­rch war ich auch mal in Düsseldorf angestellt, später dann beim Schuhhaus Ostertag.“Dort habe sie ihre Qualifikat­ion für ihre spätere langjährig­e Tätigkeit als Fußpfleger­in erworben, sagt sie.

Eine Aufgabe, der sie gerne nachging. „Mein Mann sang bei den Wupperhofe­rn mit – und so hatte ich durch diese vielen Bekannten auf einen Schlag viele Stammkunde­n, bis ich mit über 80 Jahren damit aufhörte.“

Vor 33 Jahren dann starb ihr Mann. Aus der Freundscha­ft zu einem guten Bekannten wurde ein paar Jahre später eine zweite Ehe mit einem großen Haus, das viel Kümmern erforderte. „Ich heiße also eigentlich Sonius-Schenk“, stellt sie richtig. Seit 22 Jahren ist sie ein zweites Mal Witwe. Anlass, ein weiteres Mal umzuziehen, um nicht in den Erinnerung­en steckenzub­leiben.

Zum 100. Geburtstag gratuliere­n neben Kindern auch einige erwachsene Enkel.

„Wenn man 100 wird, hat man Romane zu berichten“Margret Schenk Jubilarin

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FOTO: CHRISTIAN BEIER Margret Schenk wird am heutigen Donnerstag 100 Jahre alt.

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