Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Ein Remscheider Pfarrer in Meran
Timm Harder leitet eine evangelisch-lutherische Gemeinde in dem berühmten Kurort Meran in einer der schönsten Gegenden Europas. Heiligabend liegt im Pfarrhaus der Lüttringhauser Posaunenchor auf dem Plattenteller.
LÜTTRINGHAUSEN/MERAN Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Meran im Herzen Südtirols. Kurort in einer der schönsten Gegenden Europas. Von Bergen umsäumte Stadt mit mediterranem Flair, Palmen, Laubengängen, geschäftiger Altstadt, gesegnet von einem milden Klima mit viel Sonne. Timm Harder erfüllt sich mit seiner Familie einen Traum. Besser gesagt: Er ist zielstrebig seiner christlichen Berufung gefolgt. Seit September 2022 ist der Lüttringhauser Pfarrer in der kleinen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Meran.
Die Gemeinde mit ihrer Christuskirche zählt 405 Mitglieder, zu einem großen Teil Deutsche, die in Südtirol sesshaft geworden sind. Der Einzugsbereich zieht sich vom Reschenpass an der österreichischen Grenze durch die komplette Westhälfte Südtirols bis an den Gardasee. Die Evangelische Kirche Deutschland (EKD), die Harder für sechs Jahre entsandt hat, nennt Südtirol „Ausland light“. Denn die nördlichste Provinz Italiens Südtirol zeichnet sich durch eine starke Regionalkultur aus. Bindungen an die deutsche Sprache und Kultur sind historisch gewachsen.
Mit 13 war Harder erstmals mit Eltern und Geschwistern in Hafling, mit 15 in Verdins bei Schenna, das ein Ferienziel vieler Lüttringhauser war. Seither ließen ihn die Panoramablicke in der Gipfelwelt nicht mehr los. Sein Vater Jürgen war 42 Jahre Kirchenmusiker in der Evangelischen Kirchengemeinde Lüttringhausen. Seine beiden Schwestern und sein Bruder haben keine kirchlichen Berufe ergriffen, bei Timm hingegen war früh der Weg vorgezeichnet. „Mich haben die Glocken gerufen“, blickt Harder zurück. Küster Jakob Kühn erlaubte dem heute 51-Jährigen zu läuten.
Den jungen Timm faszinierte, per Knopfdruck weithin hörbar, das Kirchensignal in Bewegung setzen zu können. Aus dem Funken, den die Glocken in ihm entfachten, wurde mehr. In der Konfirmandenzeit, später im Jugendbibelkreis und Kirchenchor reifte der Wunsch, Pfarrer zu werden.
„Ich verdanke meinen Eltern, Jakob Kühn und seinem Nachfolger und meinem Freund Jürgen Kammin an dieser Stelle sehr viel. Ebenso wie den Pfarrern, die in meiner Kindheit und Jugend in Lüttringhausen tätig waren, insbesondere Hans Pitsch, der mich konfirmiert hat. Sie alle haben mir Heimat in der Kirche gegeben“, blickt Harder dankbar zurück.
Nach seinem Abitur am LeibnizGymnasium studierte er zwei Jahre an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal. Mehrere Semester an den staatlichen Universitäten Kiel und Bochum schlossen sich an. Auf das 1. Examen 1999 folgte das Vikariat in Wipperfürth. Nach dem 2. Examen wurde Harder Pfarrer zur Anstellung an der Kirche Hünger bei Pfarrer Jens-Peter Preis. Von April 2002 bis September 2005 lebten die
Harders in Pohlhausen, bevor es die Familie weiter weg zog. Es war eine Urlaubsgegend, die den jungen Geistlichen reizte. Timm Harder landete im Kirchenkreis Koblenz im Vierthälergebiet, nördlich von Bingen. Timm Harder war dort als Pfarrer zuständig für 14 Dörfer.
Ein idyllischer Landstrich, 17 Jahre seine Heimat. Es kam noch besser. Seine Liebe zu Südtirol hatte Harder ab 2008 in den Sommerferien auch beruflich gepflegt. Über fünf Wochen verbrachte er seither jährlich in der Christuskirche als Urlaubsvertretung.
Drei Kandidaten sprachen im März 2022 vor, als die Gemeinde die Stelle dort neu besetzte. Die 62 Mitglieder der Gemeindeversammlung entschieden sich für Timm Harder – vielleicht der logische Kandidat für die Wahlberechtigten, weil er Kirche und Pfarrhaus an der Passer, dem Fluss, der durch Meran fließt, gut kannte. Am 4. September vergangenen Jahres hielt Timm Harder seinen ersten Gottesdienst als festangestellter Pfarrer.
Dass die Auswanderer, die zur Gemeinde zählen, keine homogene Einheit bilden, wusste Timm Harder, als er die Stelle antrat. „Es ist manchmal eine Herausforderung, die Menschen zusammenzuführen“, sagt er. „Aber eine schöne!“Das Leben 860 Kilometer südlich von Remscheid überragt jedoch alles. „Südtirol ist eine herrliche Gegend, wunderbare Natur, einmalige Topografie, klimatisch ein Traum, mit über 300 Sonnentagen im Jahr, mit Palmen in der Stadt und Schnee auf den Bergen.“
Die autonome Region Südtirol hat viele Vorzüge. „Der ÖPNV ist
„Und im Winter ist Rodeln angesagt.“Die einmalige Landschaft genießen, egal zu welcher Jahreszeit, das wird für den Pfarrer nie seinen Reiz verlieren.
Sechs Jahre bleibt er auf jeden Fall. Nach 2028 gibt es eine Option, den Dienst um drei Jahre zu verlängern. „Ich weiß von keinem Vorgänger, der sie nicht gezogen hätte“, meint Timm Harder. Was danach kommt, ist offen, nur eins gewiss: „Es wird nicht leicht, hier jemals wegzugehen.“
Von seinem Hauptsitz in Meran betreut Harder die Filialkirchen in Sulden / Ortler und Arco / Gardasee. Am 2. Feiertag wird er die 74 Kilometer nach Sulden zum Gottesdienst fahren, Heiligabend (17 Uhr) und 1. Feiertag (10 Uhr) predigt er in der Christuskirche. 2022 war das Gotteshaus am 24. Dezember voll, nicht zuletzt, weil auch viele katholische Meraner der Termin der Christvesper um 17 Uhr gut passt.
Im Übrigen werden alle Gottesdienste auf YouTube übertragen. Die Schar der regelmäßigen, treuen Kirchgänger aus der Gemeinde liegt dabei im mittleren, zweistelligen Bereich. Im Sommer füllen sich die Bänke dann zudem auch mit Touristen.
Wenn es Heiligabend nach der Christvesper bei den Harders im Pfarrhaus besinnlich wird, ist ein Stück Lüttringhausen gesetzt. Es gehört zum jährlichen Bescherungsritual der Familie, dass der evangelische Posaunenchor Lüttringhausen auf den Plattenteller gelegt wird. 1978 veröffentlichte er unter Dirigent Karl-Ernst Rau die Weihnachts-LP „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“. Die Harders halten das Vinyl-Schätzchen bis heute in Ehren.