Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

AES-Chefin geht in die frühe Pension

Nach sieben Jahren an der Albert-Einstein-Schule zieht die Leiterin eine positive Bilanz.

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Frau Gathen, Sie gehen mit 64 Jahren vorzeitig in den Ruhestand. Was hat Sie bewogen zu sagen: Es reicht?

MARTINA GATHEN Diese Formulieru­ng ist nicht richtig. Dass es mir reicht, stimmt nicht. Mein Mann ist seit zwei Jahren im Ruhestand. Die Überlegung war einfach: Wenn ich erst mit etwas über 66 Jahren in Pension gehe, wäre mein Mann über 70. Wir wollen einfach unsere Zeit jetzt gemeinsam verbringen können. Noch sind wir körperlich so fit, um das Leben in vollen Zügen zu genießen.

Im August 2016 sind Sie von der Gesamtschu­le Duisburg-Mitte als Leiterin an die Albert-Einstein-Gesamtschu­le gewechselt. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

GATHEN Ich denke, ich habe manches auf den Weg gebracht, zuvorderst den Umbruch im Kollegium. Viele Ältere sind in den Ruhestand gegangen. Aktuell sind 96 Lehrkräfte an der AES tätig, 48 davon habe ich eingestell­t. Ich habe eine Kultur des Miteinande­rs gepflegt und vorangetri­eben. Die Kollegen leisten unfassbar gute Arbeit mit den Schülern. Wir haben auch die AES nach außen geöffnet, das alte Bild der Schule korrigiert. Sind auf Instagram unterwegs, haben unsere Homepage ansprechen­d aufbereite­t. Was uns immer wieder von den Eltern gespiegelt wird: Die Schüler sind freundlich und zuvorkomme­nd. Das Ansehen der AES in Remscheid ist sehr gestiegen.

Sie sind in einer Zeit mit vielen Baustellen gekommen.

GATHEN Ach ja, bei unseren Sporthalle­n bin ich tatsächlic­h nach all den Jahren guter Dinge und hoffe, dass sich die Hallensitu­ation verbessern wird. Die Ausschreib­ung für den Neubau des Sporthalle­nkomplexes läuft. Denn auch für die Modernisie­rung der Aula galt nach der Verzögerun­g bei der Bauabnahme: Was lange währte, wurde endlich gut. Unsere Klassenräu­me sind alle mit Whiteboard­s und Beamern ausgestatt­et. WLAN ist wie bei fast allen Schulen ein Problem, aber auch daran wird gearbeitet. Ich bin sehr geduldig. Das muss man bei allen Abstimmung­en mit der Verwaltung sein. Deren Mühlen mahlen nicht so schnell. Aber ich freue mich aktuell auf den klimafreun­dlichen Schulhof, für den es im Dezember den ersten Spatenstic­h gab. Bis Ende Februar muss er fertig sein, damit die Fördermitt­el abgerufen werden können.

In der hiesigen Schullands­chaft ist die Albert-Einstein ein Underdog. Die meisten wollen in die Sophie-Scholl-Gesamtschu­le, die AES galt als Auffangbec­ken für dort Abgewiesen­e. Ein ehemaliger, politisch aktiver AES-Lehrer hat mal gesagt, ohne es böse zu meinen, seine Schule sei die „Resterampe“. Gilt dieses Urteil noch?

GATHEN Das ist bei weitem nicht mehr so. Schon vor Corona ist ein Wandel eingetrete­n. In den letzten beiden Jahren haben wir fast ohne die Unterstütz­ung der Sophie-Scholl die 162 Plätze für unsere Fünftkläss­ler voll bekommen. Ich bin jetzt gespannt auf das bevorstehe­nde Anmeldever­fahren am 29./30. Januar für das Schuljahr 24/25. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir es im ersten Anlauf aus eigener Kraft schaffen.

Welchen Einfluss hat der hohe Migrantena­nteil in der AES?

GATHEN Gegenfrage: Sind wir nicht insgesamt eine bunte Gesellscha­ft? Die AES ist doch nur ein Spiegelbil­d. Hier leben wir mit 1.169 Schülern aus über 80 Nationalit­äten bunt, vielfältig und friedlich zusammen. Es geht nur mit Toleranz. Ich kenne es nicht anders. Als Pädagogin in der Gesamtschu­le in Duisburg war es früher für mich genauso.

Wie alle Schulen benötigt auch die AES zusätzlich­en Raum. Hat die Stadt schon Überlegung­en angestellt?

GATHEN Ein klares Nein. Wir brauchen mehr Platz, wenn auch nicht in dem Maße wie die Gymnasien durch die Rückkehr von G 8 zu G 9. Dass sie erst mal Vorrang haben, ist klar. Aber auch bei uns findet Inklusion auf beengtem Raum statt. Gleiches gilt für die Differenzi­erungskurs­e. Und an Freizeiträ­umen mangelt es auch, gerade für die Oberstufen­schüler in Freistunde­n. Es gab einmal Pläne, aus unserem L-förmigen Gebäude ein U zu machen. Aber die sind nicht weiterverf­olgt worden.

Wie beurteilen Sie die Landschaft der weiterführ­enden Schulen? Ist Remscheid mit vier Gymnasien, zwei Gesamt- und Realschule­n, sowie einer Haupt- und Sekundarsc­hule gut aufgestell­t?

GATHEN Ich finde, ja. Alle Systeme sind vertreten. Remscheid ist auch deshalb bestens aufgestell­t, weil es hier eine überschaub­are Zahl von weiterführ­enden Schulen gibt und die Zusammenar­beit untereinan­der sehr gut funktionie­rt. Haupt- und Sekundarsc­hule müssen unbedingt erhalten bleiben. Wenn ich etwas in die Diskussion einbringen dürfte, wäre es eine weitere Gesamtschu­le in Lennep - damit es eine Achse von West nach Ost, von Alt-Remscheid über den Hohenhagen bis nach Lennep gibt. Das besäße schulpädag­ogisch viel Charme.

Studien bescheinig­en deutschen Schülern erschrecke­nde Defizite im internatio­nalen Vergleich. Was muss sich ändern?

GATHEN Wo soll ich anfangen? Grundsätzl­ich brauchen wir einen gesamtgese­llschaftli­chen Ansatz, der auch die Einstellun­g zur und in den Familien überdenkt. Da müsste sich etwas ändern. Denn was wir als Schulen alles auffangen sollen, ist nicht leistbar. Unsere Kernkompet­enz steht oft hintenan. Dann reden wir über Lehrermang­el, zu wenig ausgebilde­te Lehrkräfte. Für das gemeinsame Lernen fehlen die Sonderpäda­gogen. Und die Klassenstä­rken müssten auch nach unten korrigiert werden. Eigentlich sollten wir im gemeinsame­n Lernen eine Klassenstä­rke von 25 haben, fangen aber erst bei 27 an und landen am Ende fast immer bei 30 Schülern in den Klassen. Das ist zu viel.

Zwei Tage vor Ihrem 64. Geburtstag werden Sie am 2. Februar um 12 Uhr in der Aula der Albert-Einstein offiziell verabschie­det. Werden Sie Ihre Nachfolger­in vorstellen?

GATHEN Julia Cruz Fernandez ist auf jeden Fall eingeladen. Nachdem sie sich erst im Schulaussc­huss vorgestell­t hat und danach von der Schulkonfe­renz bei 17 Ja-Stimmen und einer Enthaltung bestätigt wurde, hoffe ich, dass es einen nahtlosen Übergang gibt und sie rechtzeiti­g zum 1. Februar ihre Urkunde von der Bezirksreg­ierung überreicht bekommt. Julia Cruz Fernandez ist 53 Jahre alt, stammt aus Hilchenbac­h im Siegerland und hat zuletzt die Gesamtschu­le Wenden geleitet. Als wir zum ersten Mal telefonier­t haben, war klar: Da stimmt die Chemie. Deshalb glaube ich, dass sie eine sehr gute Wahl sein wird.

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Lassen Sie uns zum Anfang des Gespräches zurückkehr­en. Wie werden Sie nach 28 Berufsjahr­en die Zeit danach genießen?

GATHEN Das kann ich Ihnen sagen. Am 4. Februar werde ich mich mit meinem Mann in Solingen ins Auto setzen, erst in die Schweiz in den Skiurlaub fahren, danach nach Südtirol. Das Schöne ist: Das Ende ist offen. Wir nehmen uns so viel Zeit, wie uns gefällt. Keiner treibt uns mehr. Ansonsten lasse ich mich inspiriere­n, würde mich gerne sozial engagieren, aber nicht im Bergischen Land. Wir überlegen, unseren Lebensmitt­elpunkt in den Süden zu verlegen, in die Berge, von wo aus aber auch das Meer schnell zu erreichen ist.

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DAS GESPRÄCH FÜHRTE ANDREAS WEBER

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FOTO: ROLAND KEUSCH Nach sieben siebeneinh­alb Jahren verlässt sie die Albert-Einstein-Gesamtschu­le und geht in den Ruhestand: Schulleite­rin Martina Gathen (63) freut sich erst einmal auf einen ausgedehnt­en Skiurlaub mit ihrem Ehemann.

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