Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Wir mögen auch den täglichen Regen hier“
Wie Familie Pidopryhora die Flucht und ihre Zeit in Deutschland erlebt hat, berichtete sie bei einer Gedenkveranstaltung des Ukraine-Zentrums.
REMSCHEID Als in einem Video die Bomben fliegen, geht ein Schluchzen durch den Raum. Frauen verschränken ihre Arme vor den Augen und weinen, Männer senken den Kopf, Kinder schauen bedrückt aus. Anlässlich des zweiten Jahrestages des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fand im Ukraine-Zentrum – wie berichtet – eine Gedenkfeier statt. Die Stimmung bedrückend und doch haben die Ukrainer die Lebensfreude und die Hoffnung nicht verloren.
Unter den Gästen ist auch die Familie Pidopryhora. Tetiana Pidopryhora ist mit zwei ihrer drei Kindern nach Deutschland geflohen, als 2022 ihre Heimatstadt Kiew angegriffen wurde. Ihr Bruder lebe schon viele Jahre in Deutschland. „Als es losging, rief er mich an, und sagte ‚Jetzt müsst ihr herkommen‘“, erzählt Pidopryhora. Die Familie musste eine Entscheidung treffen. „Meine Schwester ist 22 Jahre alt. Sie wollte nicht mit uns nach Deutschland, denn sie will jedem in der Ukraine helfen“, ergänzte die zwölfjährige Oleksandra. Ihr Vater ist in der Ukraine geblieben, um seine Mutter und Schwiegermutter vor Ort zu unterstützen.
Für Tetiana, Oleksandra und den elfjährigen Ivan Pidopryhora ging es zu dritt mit dem Zug nach Polen, von dort hat Tetianas Bruder die Familie mit dem Auto abgeholt und nach Deutschland gebracht, wo die kleine Familie die ersten zehn Monate gemeinsam in einem Raum lebte. Mittlerweile hätten sie eine schöne große Wohnung, „wo jeder sein eigenes Zimmer hat“. Die Freude über die Wohnung ist Mutter und Tochter ins Gesicht geschrieben.
In Remscheid geht es der Familie gut. „Wir haben hier alles, Familie, neue Freunde und es gibt wenige Schwierigkeiten, außer die Sprache“, sagt Oleksandra. „Wir mögen auch den täglichen Regen hier, der ist gut für die Haut“, sagt Tetiana Pidopryhora lachend. Ivan und Oleksandra besuchen das RöntgenGymnasium und kommen dort gut zurecht. „Ich hatte eine gute Vorbereitung und habe bereits in der Ukraine ein halbes Jahr Deutsch gelernt“, sagt Oleksandra. „Das Wichtigste ist, dass keine Militärflugzeuge und keine Bomben fliegen, keine Sirenen heulen“erklärt
Tetiana Pidopryhora. Dennoch fällt es ihnen schwer, dass ein Teil der Familie und Freunde noch in der Ukraine ist, sie machen sich Sorgen. Wöchentlich halten sie deshalb Kontakt in ihr Heimatland. „Aber es geht ihnen denke ich trotzdem normal dort“, versucht Oleksandra einzuordnen, wie es den Ukrainern in Kiew geht. Wenn in der Ukraine Frieden herrscht, möchte die Familie wieder zurück in die Ukraine: „Es ist unsere Heimat. Wir haben dort eine Wohnung, Familie und alles“, sagt Oleksandra Pidopryhora. Kraft schöpfen sie in dieser schwierigen Zeit auch durch die Menschen, die in der Ukraine kämpfen. „Alles, was die Menschen in der Ukraine leisten, gibt uns Stärke. Es ist wichtig, dass sie kämpfen“, sagt Oleksandra Pidopryhora.
Den Remscheidern ist die Familie sehr dankbar. Das betonte auch
Natalia Ustich, die die Veranstaltung leitete. Sie ist selbst vor zwei Jahren aus der Ukraine geflüchtet und hilft ihren Landesgenossen im UkraineZentrum in Lennep. „Jeder Versuch, etwas aufzuschreiben, löste Tränen in mir aus“, beschrieb Natalia Ustich ihre Vorbereitungen auf die Feier. „Der Krieg ist keine Statistik, die toten Menschen für uns keine Zahlen, aber trotz des unendlichen Schmerzes dürfen wir nicht hinnehmen, dass die Ukraine zerstört wird. Wir müssen weiter kämpfen.“
„Das Wichtigste ist, dass keine Militärflugzeuge und keine Bomben fliegen, keine Sirenen heulen“Tetiana Pidopryhora
Präsent ist der Krieg in der Ukraine bei vielen Remscheidern nicht mehr so, wie am Anfang. Das bestätigt auch Andreas Bunge, Leiter des Ukraine-Zentrums. „Die Gesellschaft hat nur eine gewisse Aufnahmefähigkeit für Krieg und Leiden. Und wir erleben derzeit eine Dauerkrise. Da ist der Krieg in der Ukraine aus dem Fokus gewichen“, erklärt Bunge, der den Remscheidern dafür keinen Vorwurf macht. Nach den ersten wichtigen Hilfe-Reaktionen wäre nun die Zeit der Integration, „deswegen ist die Wahrnehmung jetzt eine andere“.
Dafür gäbe es viele Vorzeigeprojekte: Ukrainer und Spieler der SG Hackenberg spielen gemeinsam Fußball, der Frauenchor singt gemeinsam mit Ukrainerinnen. „Ukrainer und Deutsche müssen aufeinander zugehen – in Sportvereinen, in Bereichen der Kultur, bei der Arbeit –, denn nur so können Vorurteile, die aufkommen, aus der Welt geschaffen werden.“