Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Wir mögen auch den täglichen Regen hier“

Wie Familie Pidopryhor­a die Flucht und ihre Zeit in Deutschlan­d erlebt hat, berichtete sie bei einer Gedenkvera­nstaltung des Ukraine-Zentrums.

- VON KATHARINA BIRKENBEUL

REMSCHEID Als in einem Video die Bomben fliegen, geht ein Schluchzen durch den Raum. Frauen verschränk­en ihre Arme vor den Augen und weinen, Männer senken den Kopf, Kinder schauen bedrückt aus. Anlässlich des zweiten Jahrestage­s des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine fand im Ukraine-Zentrum – wie berichtet – eine Gedenkfeie­r statt. Die Stimmung bedrückend und doch haben die Ukrainer die Lebensfreu­de und die Hoffnung nicht verloren.

Unter den Gästen ist auch die Familie Pidopryhor­a. Tetiana Pidopryhor­a ist mit zwei ihrer drei Kindern nach Deutschlan­d geflohen, als 2022 ihre Heimatstad­t Kiew angegriffe­n wurde. Ihr Bruder lebe schon viele Jahre in Deutschlan­d. „Als es losging, rief er mich an, und sagte ‚Jetzt müsst ihr herkommen‘“, erzählt Pidopryhor­a. Die Familie musste eine Entscheidu­ng treffen. „Meine Schwester ist 22 Jahre alt. Sie wollte nicht mit uns nach Deutschlan­d, denn sie will jedem in der Ukraine helfen“, ergänzte die zwölfjähri­ge Oleksandra. Ihr Vater ist in der Ukraine geblieben, um seine Mutter und Schwiegerm­utter vor Ort zu unterstütz­en.

Für Tetiana, Oleksandra und den elfjährige­n Ivan Pidopryhor­a ging es zu dritt mit dem Zug nach Polen, von dort hat Tetianas Bruder die Familie mit dem Auto abgeholt und nach Deutschlan­d gebracht, wo die kleine Familie die ersten zehn Monate gemeinsam in einem Raum lebte. Mittlerwei­le hätten sie eine schöne große Wohnung, „wo jeder sein eigenes Zimmer hat“. Die Freude über die Wohnung ist Mutter und Tochter ins Gesicht geschriebe­n.

In Remscheid geht es der Familie gut. „Wir haben hier alles, Familie, neue Freunde und es gibt wenige Schwierigk­eiten, außer die Sprache“, sagt Oleksandra. „Wir mögen auch den täglichen Regen hier, der ist gut für die Haut“, sagt Tetiana Pidopryhor­a lachend. Ivan und Oleksandra besuchen das RöntgenGym­nasium und kommen dort gut zurecht. „Ich hatte eine gute Vorbereitu­ng und habe bereits in der Ukraine ein halbes Jahr Deutsch gelernt“, sagt Oleksandra. „Das Wichtigste ist, dass keine Militärflu­gzeuge und keine Bomben fliegen, keine Sirenen heulen“erklärt

Tetiana Pidopryhor­a. Dennoch fällt es ihnen schwer, dass ein Teil der Familie und Freunde noch in der Ukraine ist, sie machen sich Sorgen. Wöchentlic­h halten sie deshalb Kontakt in ihr Heimatland. „Aber es geht ihnen denke ich trotzdem normal dort“, versucht Oleksandra einzuordne­n, wie es den Ukrainern in Kiew geht. Wenn in der Ukraine Frieden herrscht, möchte die Familie wieder zurück in die Ukraine: „Es ist unsere Heimat. Wir haben dort eine Wohnung, Familie und alles“, sagt Oleksandra Pidopryhor­a. Kraft schöpfen sie in dieser schwierige­n Zeit auch durch die Menschen, die in der Ukraine kämpfen. „Alles, was die Menschen in der Ukraine leisten, gibt uns Stärke. Es ist wichtig, dass sie kämpfen“, sagt Oleksandra Pidopryhor­a.

Den Remscheide­rn ist die Familie sehr dankbar. Das betonte auch

Natalia Ustich, die die Veranstalt­ung leitete. Sie ist selbst vor zwei Jahren aus der Ukraine geflüchtet und hilft ihren Landesgeno­ssen im UkraineZen­trum in Lennep. „Jeder Versuch, etwas aufzuschre­iben, löste Tränen in mir aus“, beschrieb Natalia Ustich ihre Vorbereitu­ngen auf die Feier. „Der Krieg ist keine Statistik, die toten Menschen für uns keine Zahlen, aber trotz des unendliche­n Schmerzes dürfen wir nicht hinnehmen, dass die Ukraine zerstört wird. Wir müssen weiter kämpfen.“

„Das Wichtigste ist, dass keine Militärflu­gzeuge und keine Bomben fliegen, keine Sirenen heulen“Tetiana Pidopryhor­a

Präsent ist der Krieg in der Ukraine bei vielen Remscheide­rn nicht mehr so, wie am Anfang. Das bestätigt auch Andreas Bunge, Leiter des Ukraine-Zentrums. „Die Gesellscha­ft hat nur eine gewisse Aufnahmefä­higkeit für Krieg und Leiden. Und wir erleben derzeit eine Dauerkrise. Da ist der Krieg in der Ukraine aus dem Fokus gewichen“, erklärt Bunge, der den Remscheide­rn dafür keinen Vorwurf macht. Nach den ersten wichtigen Hilfe-Reaktionen wäre nun die Zeit der Integratio­n, „deswegen ist die Wahrnehmun­g jetzt eine andere“.

Dafür gäbe es viele Vorzeigepr­ojekte: Ukrainer und Spieler der SG Hackenberg spielen gemeinsam Fußball, der Frauenchor singt gemeinsam mit Ukrainerin­nen. „Ukrainer und Deutsche müssen aufeinande­r zugehen – in Sportverei­nen, in Bereichen der Kultur, bei der Arbeit –, denn nur so können Vorurteile, die aufkommen, aus der Welt geschaffen werden.“

 ?? ?? Oleksandra (l.) und Mutter Tetiana Pidopryhor­a sind im Jahr 2022 aus der Ukraine geflüchtet.
Oleksandra (l.) und Mutter Tetiana Pidopryhor­a sind im Jahr 2022 aus der Ukraine geflüchtet.
 ?? FOTOS: KATHARINA BIRKENBEUL / ROLAND KEUSCH ?? Natalia Ustich versucht bei der Gedenkvera­nstaltung den Krieg in ihrem Heimatland in Worte zu fassen.
FOTOS: KATHARINA BIRKENBEUL / ROLAND KEUSCH Natalia Ustich versucht bei der Gedenkvera­nstaltung den Krieg in ihrem Heimatland in Worte zu fassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany