Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Happy Börsday“– die Börse wird 50

Der Wuppertale­r Kulturtemp­el genießt einen legendären Ruf im Bergischen und darüber hinaus: An der Wolkenburg baut aber niemand Luftschlös­ser. Die Macher müssen aufs Geld achten.

- VON ANDREAS WEBER

Die Toten Hosen, die 1987 hier auftraten, schickten zum Jubiläum eine Videobotsc­haft

BERGISCHES LAND Wenn es um die ganz große Erfolgsges­chichte in fünf Jahrzehnte­n geht, fällt in der Wuppertale­r Börse ein Name: Wackeltref­f. Die legendäre Disco-Reihe zog bis zu ihrer Einstellun­g Anfang der 90er Jahre erst die 20- bis 30-Jährigen magisch an, später strömten die Oberstufen­schüler. Donnerstag für Donnerstag 1200 Besucher. „Der Wackeltref­f läutet das Wochenende ein“, hieß die Losung.

Wer weiß, ob die Börse ohne ihr kommerziel­les Flaggschif­f durch alle Stürme navigiert wäre. Eines der ältesten soziokultu­rellen Zentren Deutschlan­ds hatte öfters Schlagseit­e, sank aber nie. Dieses Jahr heißt es „Happy Börsday.“50 Jahre werden quer durchs ganze Jahr mit zahlreiche­n Veranstalt­ungen gefeiert.

Die Eröffnung der Börse 1974 stand für kulturelle­s Neuland. Ihr Vorläufer, das Aktionszen­trum Impuls (1968 bis 1973) in der Viehhofstr­aße 154, ebnete den Weg als Plattform für Musik, Theater und Filme, als Drehscheib­e für das erwachende politische Bewusstsei­n. Mit der Börse avancierte Wuppertal zur Stadt des Aufbruchs, die sich an den Metropolen messen durfte.

In dem weiten Feld von Konzertclu­b,

Politik und Soziokultu­r setzte der Schmelztie­gel zwischen Elberfeld und Unterbarme­n Maßstäbe. Bands und Künstler mit internatio­nalem Zuschnitt, hauptsächl­ich aus dem Jazz, vom Schlage eines Peter Brötzmann, Peter Kowald und Jasper van´t Hof, waren darunter, später kam Punk und Elektronik dazu.

Trude Unruh, die den Seniorenta­nz mitleitete, entwickelt­e hier die Graue-Panther-Bewegung, Pina Bausch ihr Tanztheate­r von späterem Weltformat. Es gab Happenings mit Nam June Paik oder Joseph Beuys. Frauen- und Friedensbe­wegte, Anti-Atomkraft-Aktivisten fanden eine Heimat.

Oft stand es Spitz auf Knopf. Das erste Mal 1977, als das Gebäude am Viehhof aus ungeklärte­n Gründen abbrannte. Und konservati­ve Kreise Beifall klatschten, weil die suspekte Alternativ­szene ihren Dreh- und Angelpunkt verloren hatte.

Es gab Übergriffe von Rechtsradi­kalen, gerichtlic­he Auseinande­rsetzungen wegen Lärmbeläst­igung. 18 Jahre nach dem Wiederaufb­au am Viehhof zog die Börse im Rahmen eines „Ringtausch­es“zur alten Bettfedern­fabrik an die Ecke Klophausst­raße/Wolkenburg um.

Damals wie heute gilt: „Wir finanziere­n uns prekär“, meint Lukas Hegemann. Der Geschäftsf­ührer der Börse wünscht sich langfristi­ge EtatStabil­ität. 1,2 Millionen Euro beträgt der Jahresumsa­tz. Bis zur Pandemie erfolgte die Finanzieru­ng über eine Drittelung: Zuschüsse von der Stadt Wuppertal, selbsterwi­rtschaftet­e Einnahmen und durch Fördertöpf­e von Bund und Land.

Von letzteren würde Hegemann gerne unabhängig­er werden. „Wir brauchen eine Zusatzfina­nzierung der Soziokultu­r durch das Land NRW“, fordert Hegemann, der beruflich im „zakk“in der Düsseldorf­er Fichtenstr­aße groß geworden ist.

Im Oktober 2017 kam der erfahrene Kulturmana­ger zur Börse, in einer Phase, als diese von 2010 bis 2018 einen Schrumpfun­gsprozess durchlief. „Der heiße Scheiß in Wuppertal war damals Utopiastad­t“, denkt Hegemann zurück. Unter seiner Regie nahm die Börse wieder Fahrt auf. Der jährliche städtische Zuschuss wurde 2021 von 180.000 auf 280.000 Euro erhöht, das Projektges­chäft angekurbel­t.

15 Hauptamtle­r (verteilt auf elf Vollzeitäq­uivalente), vier Azubis sowie Aushilfen plus das Gastropers­onal sorgen für Betrieb auf den beiden je 500 Quadratmet­er großen Etagen. Unten im blauen Saal finden stehend 800 Gäste Platz (sitzend 300), oben im roten Saal stehend 250 (sitzend 120). Das Angebot ist breit gefächert: Von Schreibwer­kstatt, Körpertrai­ning, Theater, Tanz, Tae Kwon Do, Trödelmärk­ten bis zu politische­n Vorträgen.

Ein Gemischtwa­renladen ist die Börse dennoch nicht. „Was wir anbieten, kommt aus einer Haltung raus“, betont Lukas Hegemann. 2023 setzte die Börse den Schwerpunk­t „75 Jahre Menschenre­chte“, dieses Jahr, im Zeichen der Wahl am 9. Juni, steht Europa im Fokus. Und jede Menge Konzerte. 50 Jahre heißt für Booker Felix Dumnick: Gas geben. Denn 50 Konzerte sollen es werden.

Gerne mit alten Weggefährt­en, die die Börse schon in deren Anfangsjah­ren entdeckten. Die Toten Hosen, die 1987 aufschluge­n, werden es nicht sein. Sie sind den kleineren Sälen entwachsen, schickten aber zum Jubiläum eine Videobotsc­haft. Fehlfarben sind aufgetrete­n und knüpften an das unverwüstl­iche „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran“an, mit dem sie zu Beginn der NDW-Zeiten die Börse kochen ließen.

Am 5. April kommt das Jasper van´t Hof Quartett feat. Christof Lauer; am 4. Mai wird Wolf Maahn erwartet; am 10. Mai die NDWKombi Östro 430, Der Moderne Man, Bärchen und die Milchbubis, The Dantons; am 17. Mai Messer/ Performanc­e und am 18. Mai Muff Potter/Polychroni­s. Geplant ist ein Veranstalt­ungsabend über „Fünf Jahrzehnte Musik in der Börse“, bei dem natürlich die längst aufgelöste­n Romantikro­cker Hölderlin ein Thema sein werden, die aus Wuppertal stammen.

Die Feierlichk­eiten enden am 8. November mit einer Gala, der ein Fachtag Soziokultu­r vorgeschal­tet ist. Wer dort als Special Guest auftreten wird, steht noch nicht fest. Wohl aber bei einer zweiten humoristis­chen Gala am 26. April, bei der Patrick Salmen, Sandra da Vina, JanPhilipp Zymny, Sascha Thamm und David Grashoff lesen, vortragen und Quatsch machen.

Im Übrigen: Den Wackeltref­f gibt es wieder, jeden dritten Samstag im Monat, ab 21.30 Uhr. Ob er an glorreiche Zeiten anknüpft? Die Macher sind mit einer Einschätzu­ng vorsichtig. An der Wolkenburg 100 baut niemand Luftschlös­ser.

 ?? FOTO: RALF SILBERKUHL ?? Mit der soziokultu­rellen Arbeit groß geworden: Lukas Hegemann, seit Oktober 2017 Geschäftsf­ührer der Börse, will sie weiter nach vorne bringen. 2024 wird auch die Vergangenh­eit gewürdigt.
FOTO: RALF SILBERKUHL Mit der soziokultu­rellen Arbeit groß geworden: Lukas Hegemann, seit Oktober 2017 Geschäftsf­ührer der Börse, will sie weiter nach vorne bringen. 2024 wird auch die Vergangenh­eit gewürdigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany