Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Happy Börsday“– die Börse wird 50
Der Wuppertaler Kulturtempel genießt einen legendären Ruf im Bergischen und darüber hinaus: An der Wolkenburg baut aber niemand Luftschlösser. Die Macher müssen aufs Geld achten.
Die Toten Hosen, die 1987 hier auftraten, schickten zum Jubiläum eine Videobotschaft
BERGISCHES LAND Wenn es um die ganz große Erfolgsgeschichte in fünf Jahrzehnten geht, fällt in der Wuppertaler Börse ein Name: Wackeltreff. Die legendäre Disco-Reihe zog bis zu ihrer Einstellung Anfang der 90er Jahre erst die 20- bis 30-Jährigen magisch an, später strömten die Oberstufenschüler. Donnerstag für Donnerstag 1200 Besucher. „Der Wackeltreff läutet das Wochenende ein“, hieß die Losung.
Wer weiß, ob die Börse ohne ihr kommerzielles Flaggschiff durch alle Stürme navigiert wäre. Eines der ältesten soziokulturellen Zentren Deutschlands hatte öfters Schlagseite, sank aber nie. Dieses Jahr heißt es „Happy Börsday.“50 Jahre werden quer durchs ganze Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert.
Die Eröffnung der Börse 1974 stand für kulturelles Neuland. Ihr Vorläufer, das Aktionszentrum Impuls (1968 bis 1973) in der Viehhofstraße 154, ebnete den Weg als Plattform für Musik, Theater und Filme, als Drehscheibe für das erwachende politische Bewusstsein. Mit der Börse avancierte Wuppertal zur Stadt des Aufbruchs, die sich an den Metropolen messen durfte.
In dem weiten Feld von Konzertclub,
Politik und Soziokultur setzte der Schmelztiegel zwischen Elberfeld und Unterbarmen Maßstäbe. Bands und Künstler mit internationalem Zuschnitt, hauptsächlich aus dem Jazz, vom Schlage eines Peter Brötzmann, Peter Kowald und Jasper van´t Hof, waren darunter, später kam Punk und Elektronik dazu.
Trude Unruh, die den Seniorentanz mitleitete, entwickelte hier die Graue-Panther-Bewegung, Pina Bausch ihr Tanztheater von späterem Weltformat. Es gab Happenings mit Nam June Paik oder Joseph Beuys. Frauen- und Friedensbewegte, Anti-Atomkraft-Aktivisten fanden eine Heimat.
Oft stand es Spitz auf Knopf. Das erste Mal 1977, als das Gebäude am Viehhof aus ungeklärten Gründen abbrannte. Und konservative Kreise Beifall klatschten, weil die suspekte Alternativszene ihren Dreh- und Angelpunkt verloren hatte.
Es gab Übergriffe von Rechtsradikalen, gerichtliche Auseinandersetzungen wegen Lärmbelästigung. 18 Jahre nach dem Wiederaufbau am Viehhof zog die Börse im Rahmen eines „Ringtausches“zur alten Bettfedernfabrik an die Ecke Klophausstraße/Wolkenburg um.
Damals wie heute gilt: „Wir finanzieren uns prekär“, meint Lukas Hegemann. Der Geschäftsführer der Börse wünscht sich langfristige EtatStabilität. 1,2 Millionen Euro beträgt der Jahresumsatz. Bis zur Pandemie erfolgte die Finanzierung über eine Drittelung: Zuschüsse von der Stadt Wuppertal, selbsterwirtschaftete Einnahmen und durch Fördertöpfe von Bund und Land.
Von letzteren würde Hegemann gerne unabhängiger werden. „Wir brauchen eine Zusatzfinanzierung der Soziokultur durch das Land NRW“, fordert Hegemann, der beruflich im „zakk“in der Düsseldorfer Fichtenstraße groß geworden ist.
Im Oktober 2017 kam der erfahrene Kulturmanager zur Börse, in einer Phase, als diese von 2010 bis 2018 einen Schrumpfungsprozess durchlief. „Der heiße Scheiß in Wuppertal war damals Utopiastadt“, denkt Hegemann zurück. Unter seiner Regie nahm die Börse wieder Fahrt auf. Der jährliche städtische Zuschuss wurde 2021 von 180.000 auf 280.000 Euro erhöht, das Projektgeschäft angekurbelt.
15 Hauptamtler (verteilt auf elf Vollzeitäquivalente), vier Azubis sowie Aushilfen plus das Gastropersonal sorgen für Betrieb auf den beiden je 500 Quadratmeter großen Etagen. Unten im blauen Saal finden stehend 800 Gäste Platz (sitzend 300), oben im roten Saal stehend 250 (sitzend 120). Das Angebot ist breit gefächert: Von Schreibwerkstatt, Körpertraining, Theater, Tanz, Tae Kwon Do, Trödelmärkten bis zu politischen Vorträgen.
Ein Gemischtwarenladen ist die Börse dennoch nicht. „Was wir anbieten, kommt aus einer Haltung raus“, betont Lukas Hegemann. 2023 setzte die Börse den Schwerpunkt „75 Jahre Menschenrechte“, dieses Jahr, im Zeichen der Wahl am 9. Juni, steht Europa im Fokus. Und jede Menge Konzerte. 50 Jahre heißt für Booker Felix Dumnick: Gas geben. Denn 50 Konzerte sollen es werden.
Gerne mit alten Weggefährten, die die Börse schon in deren Anfangsjahren entdeckten. Die Toten Hosen, die 1987 aufschlugen, werden es nicht sein. Sie sind den kleineren Sälen entwachsen, schickten aber zum Jubiläum eine Videobotschaft. Fehlfarben sind aufgetreten und knüpften an das unverwüstliche „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran“an, mit dem sie zu Beginn der NDW-Zeiten die Börse kochen ließen.
Am 5. April kommt das Jasper van´t Hof Quartett feat. Christof Lauer; am 4. Mai wird Wolf Maahn erwartet; am 10. Mai die NDWKombi Östro 430, Der Moderne Man, Bärchen und die Milchbubis, The Dantons; am 17. Mai Messer/ Performance und am 18. Mai Muff Potter/Polychronis. Geplant ist ein Veranstaltungsabend über „Fünf Jahrzehnte Musik in der Börse“, bei dem natürlich die längst aufgelösten Romantikrocker Hölderlin ein Thema sein werden, die aus Wuppertal stammen.
Die Feierlichkeiten enden am 8. November mit einer Gala, der ein Fachtag Soziokultur vorgeschaltet ist. Wer dort als Special Guest auftreten wird, steht noch nicht fest. Wohl aber bei einer zweiten humoristischen Gala am 26. April, bei der Patrick Salmen, Sandra da Vina, JanPhilipp Zymny, Sascha Thamm und David Grashoff lesen, vortragen und Quatsch machen.
Im Übrigen: Den Wackeltreff gibt es wieder, jeden dritten Samstag im Monat, ab 21.30 Uhr. Ob er an glorreiche Zeiten anknüpft? Die Macher sind mit einer Einschätzung vorsichtig. An der Wolkenburg 100 baut niemand Luftschlösser.