Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Familienbesuche hinter Gittern
In der Justizvollzugsanstalt wird Wert auf einen „familiensensiblen“Alltag gelegt.
REMSCHEID Ein Häftling klopft von innen an seine Tür. Mehrfach. „An die Türen zu klopfen, ist verboten“, erklärt mir Benjamin Eigemann. Der JVA-Beamte schaut sich um, versucht herauszufinden, aus welchem Haftraum das Geräusch kommt. „Aus der 10″, ruft ein Gefangener, der eine Etage weiter unten die Flure putzt, dem JVA-Beamten zu. Der 35-Jährige verlässt daraufhin das gläserne kleine Büro in der Mitte des Flures, schließt die Tür hinter mir und nimmt die Treppe nach unten.
Eine weitere Beamtin hat sich auf den Weg gemacht. Gemeinsam schließen sie die Zelle des Gefangenen auf und fragen nach seinem Grund, an die Tür zu klopfen. Er habe Angst, nicht rechtzeitig zum Besuch zu kommen, erklärt der. „Eine unberechtigte Angst“, sagt Eigemann als er wieder zurück im Büro ist. Denn hier sei die Tagesstruktur eines jeden Häftlings genau geplant.
Es bleibt ansonsten ruhig an diesem Morgen in der Justizvollzugsanstalt ( JVA) Lüttringhausen. Im geschlossenen Vollzug können 546 Haftplätze belegt werden, im offenen Vollzug stehen 271 zur Verfügung. Mehr als 30 Häftlinge betreut Benjamin Eigemann auf der B4. Ganz oben im nostalgischen B-Flügel der Hauptanstalt in der Masurenstraße 28.
Hier sind die Türen noch aus massivem Holz und mit zwei Metallriegeln sowie einem Schloss aus Metall verriegelt und verschlossen. „Da ist es schwer herauszukommen“, sagt er lachend. Mörder sitzen hier neben Totschlägern, Betrügern oder Drogendealern.
Die erste Stunde, in der ich Benjamin Eigemann begleite, schaue ich mich bei jedem Knacken um. Die Tür zum kleinen Büro in meinem Rücken steht offen, dahinter sind weitere Hafträume. Angst habe ich keine, aber die Situation ist ungewohnt. Schließlich habe ich nicht jeden Tag Kontakt zu Straftätern. Aber auch Eigemann schaut sich häufig versichernd um, wenn von irgendwo unerwarteterweise Geräusche ertönen.
Ein Häftling kehrt von einem Termin zurück, unterhält sich mit einem Mitgefangenen, sie albern rum. Dann steht er in der Tür des Büros. „Darf ich ans Telio“, fragt er freundlich. Eigemann gibt ihm die Erlaubnis. Mit dem Telefon dürfen die Männer täglich zehn Minuten nach draußen telefonieren – allerdings dürfen nur freigegebene Nummern gewählt werden.
Dies ist eine Möglichkeit, Kontakt zu seiner Familie zu halten. Zudem sind auch Besuche und Briefwechsel möglich. „Manche Familien schicken den Männern allerdings Drogen, die müssen wir natürlich beschlagnahmen.“Deshalb wird jede Post kontrolliert.
Der direkte Kontakt zu den Häftlingen ist ein Grund, wieso sich Benjamin Eigemann dazu entschieden hat, nach seiner Ausbildung zum Justizbeamten im Abteilungsdienst zu arbeiten. Der 35-Jährige ist als Quereinsteiger in der JVA gelandet. Nach zwei Jahren bei der Bundeswehr hat Eigemann eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker in Lüttringhausen gemacht, arbeitete anschließend sechs Jahre als Maschineneinrichter.
Das Gehalt stimmte, aber der ständige Schichtwechsel – der jetzt weniger sei – ging an die Substanz. In der JVA landete er schließlich, „weil ich auf dem Weihnachtsbasar der Anstalt 2019 interessiert schaute“, sagt Eigemann mit einem Lachen.
An einem Ausbildungsstand informierte Pressesprecher Oliver Oberbossel über die Ausbildungsmöglichkeiten und konnte ihn überzeugen. Jetzt ist er noch ein Jahr lang Beamter auf Probe und für den B-Flügel zuständig. „Im Abteilungsdienst fühle ich mich am wohlsten. Es ist abwechslungsreich, ich habe direkten Kontakt zu den Gefangenen, beaufsichtige sie und sorge dafür, dass trotz einer Vielzahl an
Charakteren ein geordnetes Miteinander herrscht. Ich bin ihr direkter Ansprechpartner für Sorgen und Fragen.“Zudem überzeugte ihn der Beamtenstatus.
10.000 bis 12.000 Schritte macht der JVA-Beamte, der seine Jugend in Lennep verbrachte, täglich. Wie viele Türen er pro Tag auf- und abschließt, weiß er nicht. „Es sind aber auf jeden Fall eine ganze Menge.“Zum ersten Mal öffnen sich die Türen morgens um 6 Uhr zur Lebendkontrolle. Dann müssen die Gefangenen bereits angezogen sein. Nach dem Frühstück gehen die Häftlinge arbeiten.
Es gibt eine Imkerei, eine Wäscherei, eine Bibliothek, eine Schlosserei, eine Schuhmacherei und vieles mehr. Für die Arbeit werden sie auch entlohnt. Wer krank ist, werde
REMSCHEID Kinder von Inhaftierten stehen häufig vor besonderen Herausforderungen. Schließlich müssen sie im schlimmsten Fall mehrere prägende Jahre ohne eine wichtige Bezugsperson auskommen. Um einigen von ihnen dennoch eine halbwegs gesunde Beziehung zu ihren Vätern und Großvätern zu ermöglichen, gibt es an der JVA-Lüttringhausen ein großes Angebot an Familienaktivitäten.
Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt Lüttringhausen können regulär zwei Mal im Monat Besuch empfangen. Dabei haben sie maximal drei Stunden Zeit, ihre Angehörigen zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Das geschieht in der Regel in speziellen Gemeinschaftsräumen mit mehreren Besuchergruppen gleichzeitig. Viel Körperkontakt ist eher unüblich. Ein flüchtiger Kuss oder eine kurze Berührung der Hand, viel mehr geht meist nicht. Bewacht werden die Gefangenen und ihre Besucher währenddessen durchgehend. Zwei weitere Sonderbesuche können ebenfalls beantragt beim Lazarett angemeldet und untersucht. Nachmittags können die Männer in verschiedenen Gruppen Sport treiben, Musik machen, sich Bücher oder einen Fernseher ausleihen sowie sich mit anderen Insassen – höchstens zu viert – in einer Zelle, die mit einem Bett, einem Schrank, einer Toilette, einem Stuhl, einem Tisch und einem Waschbecken ausgestattet sind, treffen und Karten spielen.
Für die Häftlinge, die keiner Arbeit nachgehen, spielt sich vieles bereits werden, wenn noch Termine frei sind. Um den Familienvätern in der JVA-Lüttringhausen die Chance zu geben, ihre Familien darüber hinaus ein weiteres Mal monatlich zu sehen, hat Hanne Stanjek in den letzten Jahren verschiedene Familienangebote ins Leben gerufen. Die Familienbeauftrage der JVA-Lüttringhausen ist der Ansicht, dass jedes Kind ein Recht darauf hat, seine beiden Elternteile regelmäßig sehen zu können.
Bastelnachmittage, Vater-KindKochen, Gottesdienste und viele weitere Angebote gehören zur sogenannten „familiensensiblen Vollzugsgestaltung“. In der Regel nehmen acht bis zehn Familien an den Familiennachmittagen teil. „Ursprünglich war die Idee für Väter und ihre Kinder gedacht. Wenn aber ein Platz frei ist, können auch Großväter mitmachen und dadurch ihre Enkelkinder sehen“, erläutert Stanjek.
Das nahm Häftling Gökcan M. gerne wahr. Als er erfuhr, dass am nächsten Bastelnachmittag noch ein freier Platz zur Verfügung stand, zögerte der zweifache Großvater am Vormittag ab. „Zum Duschen für unverschuldete Unbeschäftigte jetzt Licht drücken“, hallt es aus der Zentrale um 10.30 Uhr durch den Flur. Vier Häftlinge auf der B4 drücken den Schalter, die Zimmernummern leuchten auf. Eigemann schließt ihnen die Türe auf und lässt sie raus, kontrolliert ihre Waschschüssel.
20 Minuten haben sie nun Zeit, sich in der Sammeldusche zu waschen, Rasierer dürfen nicht mitgenommen werden. Mit dem Licht keine Sekunde. „Jeder möchte seine Enkelkinder sehen“, so der Inhaftierte. Deshalb brachte seine Frau Gitte die beiden Enkel zum gemeinsamen können die Gefangenen auch zu anderen Zeiten auf sich aufmerksam machen. „Aber nur, wenn es wichtig ist.“Dazu zähle beispielsweise ein Telefonat mit dem Anwalt.
Durch die offenen, in Kreuzform angelegten Gefängnisflügel haben die Beamten einen guten Blick auf den gesamten Flügel und zu den Kollegen. Können schnell reagieren, wenn es irgendwo laut wird. Das schaffe auch Sicherheit. „Gefahr kann hier immer entstehen“, ist sich Eigemann bewusst. „Es könnte jeder hier zu jeder Zeit zünden.“
Angst habe er deshalb trotzdem nicht, „denn wer die hat, ist hier falsch“. Respekt und Vorsicht spielen allerdings eine große Rolle. „Ich bin aber jeden Tag froh, wenn ich gesund aus dem Haftalltag herauskomme, gesund nach Hause gehen
„Es ist schön, zu sehen, wenn Häftlinge, mit denen ich unter Umständen eine lange Zeit gearbeitet habe, entlassen werden und die Resozialisierung fruchtet. Die Männer bekommen dann von mir zu hören: Auf Nimmerwiedersehen“Benjamin Eigemann
Familiennachmittag mit in die JVA.
„Als ich ins Gefängnis kam, war mein erster Enkel gerade 40 Tage alt.
Jetzt ist er drei“, sagt Gökcan M. „Ich habe ihn nur vom Gefängnis aus groß werden sehen.“Das bedauere der Inhaftierte sehr. Neuigkeiten kriege er nur übers Telefon oder erst zwei Wochen später mit. Doch wenigstens könne er seine Enkel bei den gemeinsamen Bastelnachmittagen in die Arme schließen und mit ihnen spielen.
Solange der Inhaftierte keine Langzeitbesuche empfangen kann, muss er sich mit Familiennachmittagen in größerer Runde zufriedengeben. Da Gökcan M. vor vier Monaten von Köln nach Remscheid verlegt wurde, muss er sich hier bewähren. Doch bei guter Führung könnten ihm in wenigen Monaten die Langzeitbesuche erlaubt werden.
Anstelle von den regulären Besuchen könnte Gökcan M. auch zwei Mal im Monat ohne Aufsicht in gesonderten Räumen Zeit mit seiner Familie verbringen. „Wir können zum Beispiel zusammen kochen, ohne dass jemand anderes die ganze Zeit dabei ist“, sagt er. Diese Alltagssituationen vermisse er besonders.