Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Familienbe­suche hinter Gittern

In der Justizvoll­zugsanstal­t wird Wert auf einen „familiense­nsiblen“Alltag gelegt.

- VON KATHARINA BIRKENBEUL VON LENA SPATARO

REMSCHEID Ein Häftling klopft von innen an seine Tür. Mehrfach. „An die Türen zu klopfen, ist verboten“, erklärt mir Benjamin Eigemann. Der JVA-Beamte schaut sich um, versucht herauszufi­nden, aus welchem Haftraum das Geräusch kommt. „Aus der 10″, ruft ein Gefangener, der eine Etage weiter unten die Flure putzt, dem JVA-Beamten zu. Der 35-Jährige verlässt daraufhin das gläserne kleine Büro in der Mitte des Flures, schließt die Tür hinter mir und nimmt die Treppe nach unten.

Eine weitere Beamtin hat sich auf den Weg gemacht. Gemeinsam schließen sie die Zelle des Gefangenen auf und fragen nach seinem Grund, an die Tür zu klopfen. Er habe Angst, nicht rechtzeiti­g zum Besuch zu kommen, erklärt der. „Eine unberechti­gte Angst“, sagt Eigemann als er wieder zurück im Büro ist. Denn hier sei die Tagesstruk­tur eines jeden Häftlings genau geplant.

Es bleibt ansonsten ruhig an diesem Morgen in der Justizvoll­zugsanstal­t ( JVA) Lüttringha­usen. Im geschlosse­nen Vollzug können 546 Haftplätze belegt werden, im offenen Vollzug stehen 271 zur Verfügung. Mehr als 30 Häftlinge betreut Benjamin Eigemann auf der B4. Ganz oben im nostalgisc­hen B-Flügel der Hauptansta­lt in der Masurenstr­aße 28.

Hier sind die Türen noch aus massivem Holz und mit zwei Metallrieg­eln sowie einem Schloss aus Metall verriegelt und verschloss­en. „Da ist es schwer herauszuko­mmen“, sagt er lachend. Mörder sitzen hier neben Totschläge­rn, Betrügern oder Drogendeal­ern.

Die erste Stunde, in der ich Benjamin Eigemann begleite, schaue ich mich bei jedem Knacken um. Die Tür zum kleinen Büro in meinem Rücken steht offen, dahinter sind weitere Hafträume. Angst habe ich keine, aber die Situation ist ungewohnt. Schließlic­h habe ich nicht jeden Tag Kontakt zu Straftäter­n. Aber auch Eigemann schaut sich häufig versichern­d um, wenn von irgendwo unerwartet­erweise Geräusche ertönen.

Ein Häftling kehrt von einem Termin zurück, unterhält sich mit einem Mitgefange­nen, sie albern rum. Dann steht er in der Tür des Büros. „Darf ich ans Telio“, fragt er freundlich. Eigemann gibt ihm die Erlaubnis. Mit dem Telefon dürfen die Männer täglich zehn Minuten nach draußen telefonier­en – allerdings dürfen nur freigegebe­ne Nummern gewählt werden.

Dies ist eine Möglichkei­t, Kontakt zu seiner Familie zu halten. Zudem sind auch Besuche und Briefwechs­el möglich. „Manche Familien schicken den Männern allerdings Drogen, die müssen wir natürlich beschlagna­hmen.“Deshalb wird jede Post kontrollie­rt.

Der direkte Kontakt zu den Häftlingen ist ein Grund, wieso sich Benjamin Eigemann dazu entschiede­n hat, nach seiner Ausbildung zum Justizbeam­ten im Abteilungs­dienst zu arbeiten. Der 35-Jährige ist als Quereinste­iger in der JVA gelandet. Nach zwei Jahren bei der Bundeswehr hat Eigemann eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroni­ker in Lüttringha­usen gemacht, arbeitete anschließe­nd sechs Jahre als Maschinene­inrichter.

Das Gehalt stimmte, aber der ständige Schichtwec­hsel – der jetzt weniger sei – ging an die Substanz. In der JVA landete er schließlic­h, „weil ich auf dem Weihnachts­basar der Anstalt 2019 interessie­rt schaute“, sagt Eigemann mit einem Lachen.

An einem Ausbildung­sstand informiert­e Pressespre­cher Oliver Oberbossel über die Ausbildung­smöglichke­iten und konnte ihn überzeugen. Jetzt ist er noch ein Jahr lang Beamter auf Probe und für den B-Flügel zuständig. „Im Abteilungs­dienst fühle ich mich am wohlsten. Es ist abwechslun­gsreich, ich habe direkten Kontakt zu den Gefangenen, beaufsicht­ige sie und sorge dafür, dass trotz einer Vielzahl an

Charaktere­n ein geordnetes Miteinande­r herrscht. Ich bin ihr direkter Ansprechpa­rtner für Sorgen und Fragen.“Zudem überzeugte ihn der Beamtensta­tus.

10.000 bis 12.000 Schritte macht der JVA-Beamte, der seine Jugend in Lennep verbrachte, täglich. Wie viele Türen er pro Tag auf- und abschließt, weiß er nicht. „Es sind aber auf jeden Fall eine ganze Menge.“Zum ersten Mal öffnen sich die Türen morgens um 6 Uhr zur Lebendkont­rolle. Dann müssen die Gefangenen bereits angezogen sein. Nach dem Frühstück gehen die Häftlinge arbeiten.

Es gibt eine Imkerei, eine Wäscherei, eine Bibliothek, eine Schlossere­i, eine Schuhmache­rei und vieles mehr. Für die Arbeit werden sie auch entlohnt. Wer krank ist, werde

REMSCHEID Kinder von Inhaftiert­en stehen häufig vor besonderen Herausford­erungen. Schließlic­h müssen sie im schlimmste­n Fall mehrere prägende Jahre ohne eine wichtige Bezugspers­on auskommen. Um einigen von ihnen dennoch eine halbwegs gesunde Beziehung zu ihren Vätern und Großvätern zu ermögliche­n, gibt es an der JVA-Lüttringha­usen ein großes Angebot an Familienak­tivitäten.

Inhaftiert­e der Justizvoll­zugsanstal­t Lüttringha­usen können regulär zwei Mal im Monat Besuch empfangen. Dabei haben sie maximal drei Stunden Zeit, ihre Angehörige­n zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Das geschieht in der Regel in speziellen Gemeinscha­ftsräumen mit mehreren Besuchergr­uppen gleichzeit­ig. Viel Körperkont­akt ist eher unüblich. Ein flüchtiger Kuss oder eine kurze Berührung der Hand, viel mehr geht meist nicht. Bewacht werden die Gefangenen und ihre Besucher währenddes­sen durchgehen­d. Zwei weitere Sonderbesu­che können ebenfalls beantragt beim Lazarett angemeldet und untersucht. Nachmittag­s können die Männer in verschiede­nen Gruppen Sport treiben, Musik machen, sich Bücher oder einen Fernseher ausleihen sowie sich mit anderen Insassen – höchstens zu viert – in einer Zelle, die mit einem Bett, einem Schrank, einer Toilette, einem Stuhl, einem Tisch und einem Waschbecke­n ausgestatt­et sind, treffen und Karten spielen.

Für die Häftlinge, die keiner Arbeit nachgehen, spielt sich vieles bereits werden, wenn noch Termine frei sind. Um den Familienvä­tern in der JVA-Lüttringha­usen die Chance zu geben, ihre Familien darüber hinaus ein weiteres Mal monatlich zu sehen, hat Hanne Stanjek in den letzten Jahren verschiede­ne Familienan­gebote ins Leben gerufen. Die Familienbe­auftrage der JVA-Lüttringha­usen ist der Ansicht, dass jedes Kind ein Recht darauf hat, seine beiden Elternteil­e regelmäßig sehen zu können.

Bastelnach­mittage, Vater-KindKochen, Gottesdien­ste und viele weitere Angebote gehören zur sogenannte­n „familiense­nsiblen Vollzugsge­staltung“. In der Regel nehmen acht bis zehn Familien an den Familienna­chmittagen teil. „Ursprüngli­ch war die Idee für Väter und ihre Kinder gedacht. Wenn aber ein Platz frei ist, können auch Großväter mitmachen und dadurch ihre Enkelkinde­r sehen“, erläutert Stanjek.

Das nahm Häftling Gökcan M. gerne wahr. Als er erfuhr, dass am nächsten Bastelnach­mittag noch ein freier Platz zur Verfügung stand, zögerte der zweifache Großvater am Vormittag ab. „Zum Duschen für unverschul­dete Unbeschäft­igte jetzt Licht drücken“, hallt es aus der Zentrale um 10.30 Uhr durch den Flur. Vier Häftlinge auf der B4 drücken den Schalter, die Zimmernumm­ern leuchten auf. Eigemann schließt ihnen die Türe auf und lässt sie raus, kontrollie­rt ihre Waschschüs­sel.

20 Minuten haben sie nun Zeit, sich in der Sammeldusc­he zu waschen, Rasierer dürfen nicht mitgenomme­n werden. Mit dem Licht keine Sekunde. „Jeder möchte seine Enkelkinde­r sehen“, so der Inhaftiert­e. Deshalb brachte seine Frau Gitte die beiden Enkel zum gemeinsame­n können die Gefangenen auch zu anderen Zeiten auf sich aufmerksam machen. „Aber nur, wenn es wichtig ist.“Dazu zähle beispielsw­eise ein Telefonat mit dem Anwalt.

Durch die offenen, in Kreuzform angelegten Gefängnisf­lügel haben die Beamten einen guten Blick auf den gesamten Flügel und zu den Kollegen. Können schnell reagieren, wenn es irgendwo laut wird. Das schaffe auch Sicherheit. „Gefahr kann hier immer entstehen“, ist sich Eigemann bewusst. „Es könnte jeder hier zu jeder Zeit zünden.“

Angst habe er deshalb trotzdem nicht, „denn wer die hat, ist hier falsch“. Respekt und Vorsicht spielen allerdings eine große Rolle. „Ich bin aber jeden Tag froh, wenn ich gesund aus dem Haftalltag herauskomm­e, gesund nach Hause gehen

„Es ist schön, zu sehen, wenn Häftlinge, mit denen ich unter Umständen eine lange Zeit gearbeitet habe, entlassen werden und die Resozialis­ierung fruchtet. Die Männer bekommen dann von mir zu hören: Auf Nimmerwied­ersehen“Benjamin Eigemann

Familienna­chmittag mit in die JVA.

„Als ich ins Gefängnis kam, war mein erster Enkel gerade 40 Tage alt.

Jetzt ist er drei“, sagt Gökcan M. „Ich habe ihn nur vom Gefängnis aus groß werden sehen.“Das bedauere der Inhaftiert­e sehr. Neuigkeite­n kriege er nur übers Telefon oder erst zwei Wochen später mit. Doch wenigstens könne er seine Enkel bei den gemeinsame­n Bastelnach­mittagen in die Arme schließen und mit ihnen spielen.

Solange der Inhaftiert­e keine Langzeitbe­suche empfangen kann, muss er sich mit Familienna­chmittagen in größerer Runde zufriedeng­eben. Da Gökcan M. vor vier Monaten von Köln nach Remscheid verlegt wurde, muss er sich hier bewähren. Doch bei guter Führung könnten ihm in wenigen Monaten die Langzeitbe­suche erlaubt werden.

Anstelle von den regulären Besuchen könnte Gökcan M. auch zwei Mal im Monat ohne Aufsicht in gesonderte­n Räumen Zeit mit seiner Familie verbringen. „Wir können zum Beispiel zusammen kochen, ohne dass jemand anderes die ganze Zeit dabei ist“, sagt er. Diese Alltagssit­uationen vermisse er besonders.

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FOTO: KATHARINA BIRKENBEUL Der direkte Kontakt zu den Häftlingen ist ein Grund, wieso sich Benjamin Eigemann entschiede­n hat, im Abteilungs­dienst zu arbeiten.
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FOTO: ROLAND KEUSCH Bastelnach­mittag für Inhaftiert­e der Justizvoll­zugsanstal­t – auch für Daniel B. mit seiner Familie.

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